Mittwoch, 29. April 2015

NICHTS AHNEND

JULI 1939
 "What ever will be, will be, the future´s not ours to see..."
Noch lagen sie alle friedlich zusammen an den Piers.Wir am Lloydpier 86, daneben die "Normandie"- Frankreich, die "Rex -Italien, die "Queen Mary" - Grossbritanien. Auch die Hollandlinie und die Polen waren mit von der Partie.
 Der Sport vereinte die Mannschaften. Erst kürzlich war es um den Atlantikpokal im Fußball zwischen der "Normandie" und der "Bremen" gegangen. An mir waren die sportlichen Aktivitäten vorbei gegangen, obwohl ich 1936 zu Hause in einer  Jugendmeistermannschaft gespielt hatte.
Viele Besucher waren täglich an Bord, um das Schiff zu besichtigen. Ich glaubte endlich mal echte Cowboys zu sehen. Aber es waren nur Texaner in ihrer "Landestracht". Für Cowboys waren ihre Stiefel zu hochhackig und die Hüte zu groß. Die Hüte nannte man nach ihrem Fassungsvermögen "3 gallon hat". Das entspricht etwa 10 Liter. Es hiess, "Je größer der Hut, umso größer die Herde. Es gab aber auch den Spruch "A big hat and no cattle".

AUGUST 1939
Die Urlaubsliste hing am schwarzen Brett. Ich trug mich ein zum 9. Sptember. Neben mir stand der Matrose, der nicht lesen konnte:" Les mi dat mol vör, ick heb min brill nich dorbi."
Bremerhaven empfing uns wie immer. Nächstes Auslaufen, wie immer pünktlich, 22. August. Die letzte Reise vor meinem Urlaub. Wenn überhaupt Fragen, Zweifel, Diskussionen wegen eines eventuellen Krieges gab, in unserem kleinen Dunstkreis spürten wir davon nichts.
Obwohl er ihn nicht mehr mochte, war Grossvater der Meinung:" Das hätte der Kaiser nicht mit gemacht, diese ganzen Verhandlungen über Kriegsabkommen mit England, Russland, Frankreich. Der hätte losgelegt." Der Kaiser war aber nach Holland abgehauen, hackte dort Holz und aß von goldenen Löffeln. Letzteres hatte meine Tante erfahren, als ein Flügeladjutant des Kaisers bei einer Führung durchs Haus, stolz auf das goldene Besteck hinwies. "Ein Geschenk des deutschen Volkes." Da war ihr klar geworden, wo die von ihr und meiner Mutter in der Jugendzeit gesparten Goldstücke geblieben waren. "Gold gab ich für Eisen." Hurra".
An Krieg verschwendeten wir keinen Gedanken. Wer sollte uns angreifen? Nach Frankreich hin das Bollwerk des Westwalls. Dafür hatte der Führer gesorgt. Die Polen würden gegen unsere schlagkräftige Wehrmacht keinen Angriff wagen. Und was konnte uns Englands veraltete Flotte anhaben? Hatten wir nicht die modernsten Kriegsschiffe, die "Scheer", die "Spee". Auf der hatte Vater seit 1935 als "Silberling" - Die Verwaltung trug silberne, die Kämpfenden goldene Abzeichen -  seinen Posten.
Von Grossvater hing noch ein Spruch im Wohnzimmer:" Ruft einst das Vaterland uns wieder, als Reservist, oder Landwehrmann, so legen wir die Arbeit nieder, und folgen treu der Fahne dann."

Montag, 22. August
Wir liefen, pünktlich wie immer, aus. Die Reise verlief normal, putzen und pönen. Am Gepäck konnte man erkennen, dass wenig deutsche Passagiere, dafür aber viele Amerikaner an Bord waren. Was hatte das zu bedeuten? Warum wollten die alle nach Hause?  Brockmann musste seinen Spruch ändern:" Denn Fall het wi noch nich haat."

Das Gleiche wird er wohl gedacht haben, als am schwarzen Brett die Nachricht stand: Nichtangriffspakt mit Stalin. Jetzt konnte es wirklich keinen Krieg geben!
Die Verbrüderung mit Russland war für mich und viele andere unvorstellbar gewesen. War er nun, anders als wir es gelernt hatten, kein Verbrecher mehr? Hatte er nicht Millionen von Bauern erschlagen? Saßen nicht die meisten der verfluchten deutschen Kommunisten in Moskau?  - Die Propaganda damals verbreitete, dass die ganzen verschwundenen Kommunisten nach Moskau gegangen wären. auf wenige traf das auch zu. Die meisten aber saßen im Gefängnis oder waren ermordet worden.
 Mir fiel die "Boxerbude" auf den Schützenfesten meiner Kinderzeit ein. Die Zuschauer konnten sich 20 Mark verdienen. Sie mussten nur einen der Budenboxer k.o. schlagen. das tollste war die voran gehende, gegenseitige Beschimpfung übelster Art. Es schien für mich blanker, blutrünstiger Hass zwischen den Kontrahenten zu sein - eine Riesengaudi! Das musste man sehen! Für 20 Pfennig rein in die Bude. Der Schock kam für mich nach dem Fest, als ich zufällig sah, wie die grausam verfeindeten Boxer, die aus der Bude und die aus dem Volk, einträchtig ihre Bude abbauten. Da wusste ich auf einmal, was einer von Grossvaters Lieblingssätzen bedeutete: "Die Welt will betrogen sein".
Die "Bremen" lief ganz normal mit ihren 1700 Passagieren Kurs New York. Keiner wusste, dass es das letzte mal sein würde. Aber irgendetwas stimmte nicht. Bei meinen nächtlichen Temperaturmessungen wurde das Wasser immer wärmer. wir liefen nicht mehr auf der nördlichen Sommerroute.Wir liefen, trotz fehlender Schlechtwettermeldung, auf südlicher Route. Der pünktliche Lloyd, man sah es an den täglichen Positions-meldungen, bekam Verspätung.

Montag, 29. August
Immer noch 300 Meilen bis New York. Jeder der von der Brücke kam, wurde bestürmt: "Wo sind wir? Warum auf dieser Route?"
Acht Uhr Nantucket Fireship. Jetzt war es gewiss, die "Bremen" hielt den Fahrplan nicht ein. Vorm Abend wären wir nicht an der Pier.
Meine Sorge war, ob wir noch zeitig von Bord kämen. Ich hatte ein paar Dollars gespart und wollte mir noch in der 42. Strasse einen Second Hand Anzug kaufen, bevor ich rüber nach Hoboken führe.
Laufende Kursmeldungen: Fire Island, Ambrose Fireship. Das hiess, wenn alles glatt liefe,  18 Uhr fest an der Pier. 12 Stunden Verspätung. Wofür? Die "Normandie", die wir ausgangs Ärmelkanal, als Mitläufer hatten, lag schon an ihrer Pier. Die müssen sich auch über unsere Verspätung gewundert haben.

Ein erster "Kriegsschaden"
Sobald wir Landgang hatten, lief ich schnell in die 42. Str. in einen Second Hand Shop. Dort hing ein brauner Anzug, wie für mich gemacht. Acht Dollar, wir einigten uns auf vier. Die hatte ich zwar, wollte aber noch etwas in Reserve behalten. Auch er wusste, das wir pro Reise nur zwei Dollars bekamen und machte den Vorschlag, jetzt zwei Dollars, und nächste Reise die anderen zwei zu bezahlen. Auch er dachte nicht an Krieg. Ein Irrtum, der ihn zwei Dollars kosten sollte, und mir zu einem billigen Anzug verhalf.

Auf nach Hoboken. Die Zeitungsschreier überschlugen sich. Je nach Zeitung brüllten sie: "War now" oder "No war now". Ich hatte mich nicht angemeldet, platzte in meine "Familie" und wurde mit:" Es gibt Krieg!" empfangen. Ich war gerade erst noch im  friedlichen Deutschland gewesen und versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Es gelang mir aber nicht. Sie waren gegenüber der "Friedensliebe" des Führers und der neuen Freundschaft mit Stalin mißtrauisch. Es wollte keine frohe Stimmung aufkommen, obwohl auch noch Mildred, meine neue Freundin auftauchte.
"Good bye, bis zum nächsten Mal" hiess es aber trotz Allem, als ich zurück an Bord musste. Mildred wollte auch zurück nach Bremerhaven. Da die "Bremen" aber unverständlicher Weise keine Passagiere mitnahm, hatte sie für die "Saint Louis" gebucht.
"Wir sehen uns in Bremerhaven". Ein Irrtum!

Unter den Seeleuten war schlechte Stimmung. Am nächsten Tag sollte das Schiff durch amerikanische Behörden kontrolliert werden. An der Mannschaftsbar saßen wie immer, unsere Policemen und andere Freunde. Keiner glaubte an einen Krieg, keiner ahnte, dass es für lange Zeit das letzte deutsche billige Bier war, dass sie tranken.

Dienstag,30. August
Parolen liefen durch das Schiff :"Wir laufen erst heute Abend aus". Die Durchsuchung begann. Zoll und Polizei filzten jeden Winkel, auf der Suche nach Waffen. Während dessen schleppte ich Schwimmwesten. Ich war endlich mal raus aus dem täglichen Trott. Wir sammelten alle Schwimmwesten aus dem ganzen Schiff, es waren ca. 3000, auf dem Bootsdeck, überprüften sie, und lagerten sie in Fünferpacken griffbereit im Salon. Für mich war das Ganze ein Spaß.
Das ganze Schiff war in Aufruhr. Die Inspektoren steckten ihre Nasen überall hinein. Es war reine Schikane. Viele von ihnen waren alte Bekannte, Freunde, die mit uns an der Mannschaftsbar gesessen hatten. Ihnen war es sehr peinlich. Doch sie waren nur die Ausführenden. Wer die Durchsuchung angeordnet hatte, und warum, wussten wir damals noch nicht.

Eine Enscheidung
Mit dem Auslaufen an diesem Abend wurde es nichts. Die Inspektion dauerte an. Noch einmal überraschend Landgang. Schnell wieder nach Hoboken. Als ich bei Millers ankam, hingen alle vorm Radio. Überrascht schauten sie mich an, wie einen Geist. " Es gibt Krieg. Heinz, bleib´ hier." Ich scherzte :"Wenn ihr mir einen 40 Dollar Wochenjob verschafft (das war viel Geld), bleibe ich." Die Antwort kam ganz ernst:" Bleib´ und sei mit 25 zufrieden.
Ich blieb nicht. "Du hast keinen savvy!" "Du hast keinen Verstand."
Wie sich die Dinge gleichen. Schon in Italien wollte man mich zum Bleiben überreden. Auch dort blieb ein geliebtes Wesen zurück, Maria. Hier in Amerika war es Mildred, von der ich hoffte, sie in Bremerhaven wieder zu sehen. Leider sah ich auch sie nie wieder. Wie konnte ich so kurzsichtig sein, oder war es Naivität, zu glauben, die Welt bliebe friedlich.
An dem Abend sah ich viele liebe Menschen zum letzten Mal.

Mittwoch, 31.August
An Bord wurde es immer bunter. Erst Bootsmanöver, alle Boote mussten ins Wasser. Dort dümpelten sie, zur Freude zahlreicher Zuschauer, auf dem Hudson herum. Dann Feuerübung, alle Mann auf Station, alle Bullaugen - es gab davon eine Menge - verschliessen, um ein schnelles Sinken zu verhindern. Jeder, dem ein Feuerlöscher unterstand, musste an sein Gerät. Ich war stolz, denn ich war verantwortlich für einen Feuerlöscher, der Tetrachlorkohlenstoff enhielt, geeignet für jede Brandart.
Abends, sie konnten uns wohl nicht länger aufhalten, Leinen los. Keiner der Mannschaft hatte in New York abgeheuert. Es glaubte wohl wirklich niemand an Krieg.
Die Schlepper drehten uns von der Pier weg. Drei lange Töne, zum Abschied von New York. Anstatt der Passagiere stand die ganze freie Mannschaft auf den Decks. Die Besatzung der "Normandie", welche in New York blieb, winkte uns zum Abschied.

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