Montag, 15. Juni 2015

ZUGFAHRT MIT KARL UND QUETSCHE

In meiner Karriere war ich jetzt zum Leichtmatrosen aufgestiegen; noch zu leicht für einen Vollmatrosen, der so hiess, weil er meistens voll war, und deshalb nicht für voll genommen wurde. Das waren "Schnacks", die man immer wieder hörte.  
Meine Anwesenheit in Bremerhaven blieb dem Heuerbaas nicht lange verborgen. Ich nannte meine Heimatstadt immer noch "Bremerhaven", obwohl sie 1939 in das hannoversche Wesermünde eingegliedert worden war, und ihren Namen verloren hatte. "Wesermünde" wollte mir nicht über die Lippen. Nach Kriegsende bekam sie zum Glück ihren Namen zurück.
Seeleute waren knapp geworden. Viele trugen jetzt die Mütze mit den goldenen Lettern: "Kriegsmarine". Ich wurde wieder mal, ohne zu wissen :"Wie, was, warum?" gemustert. Ich fühlte mich, als würde ich "shangheit". Der Heuerbaas:"Das Schiff liegt in Stettin und soll als Lebensmittelfrachter nach Schweden fahren." Hörte sich möglich an, entsprach aber nicht der Wahrheit. Es war die "Bremerhaven", ein alter Bananendampfer der "United Fruit Companie", ein so genannter Gurkendampfer. Er gehörte zur Union - Reederei und fuhr vor dem Krieg die Strecke Bremerhaven - Santa Martha. Bananen waren nicht kriegswichtig.
"Morgen früh, sieben Uhr am Hauptbahnhof!" Er kaufte persönlich unsere Fahrkarten. Aus Erfahrung wusste er, dass die Seeleute, sobald sie Geld in den Händen hatten, es sofort in die Kneipe trugen. "Alles muss man selbst machen" auch die Überwachung der Verschiffung seiner "Schäfchen" bzw. "Böckchen", per Reichsbahn nach Stettin. Bezahlt wurde man erst nachAnkunft.

Wir waren zu fünft. Einer reiste mit leichtem Gepäck, einem Hebammenkoffer und einem Behältnis, das auf eine Quetschkommode schliessen liess. Der Besitzer, Karl Wolle sah aus, als hätte er in der kräftig Abschied gefeiert und dann irgendwo den Rest der Nacht hinter einem Busch geschlafen. Karl hatte Nachdurst. Er belatscherte den Heuerbaas:" Gib mal einen aus." "Der Zug fährt gleich." Karl:" Guck´ auf die Uhr." Der Baas:" Gut, ihr bleibt hier." Damit waren wir Anderen gemeint. Karl:" Nichts da, die haben auch Durst." Alle rein in den Wartesaal, halbe Liter bestellen. Karl holte seine Quetsche raus. Er begann zu spielen, im Saal gab es ein grosses Hallo. Der Heuerbaas begann zu schwitzen:" Ihr verpasst den Zug!" Karl überredete ihn noch zu einem Bier, zum Mitnehmen. Der Baas spielte für Karl den Gepäckträger. Geld gab es nur für gelieferte menschliche Ware. Bis Bremen holte Karl Schlaf nach. Als wir in Osterholz - Scharmbeck hielten, murmelte er im Halbschlaf :"Oh, der Holzschandarm ist weg." Es war Karls Heimatdorf. Ab Bremen führte der Zug einen Speisewagen mit. Ein Umstand, der Karl munter werden liess. "Wir trinken erst mal ein Bier." Wir machten einen Zug, nicht durch die Gemeinde, sondern durch den Zug, Karl voran mit Musike. Er hatte das Richtige auf dem Kasten: "Auf dem Dach der Welt, da steht ein Storchennest", "Stern von Rio" und vieles mehr. Volksbelustigung im Krieg. Im Speisewagen lief Karl zur Höchstform auf. Es ging schließlich um Bier. Die Volksgenossen applaudierten und spendierten Getränke. Karls Talent würde uns noch zu manch einem lustigen Abend verhelfen. Bis Berlin hatten wir viel Spass. Dort mussten wir umsteigen. Wir fuhren mitsamt dem Gepäck mit der Strassenbahn zum Stettiner Bahnhof ( Nordbahnhof).Das war erforderlich, weil Berlin nur Kopfbahnhöfe hatte.
Am späten Nachmittag kamen wir in Stettin an. Karl, seine Führungsrolle hatte sich schon gefestigt, gab die Richtung vor :"Ein Schiff liegt immer im Hafen!" Und :"Gepäck am Bahnhof lassen!" So trotteten wir in Richtung Hafen mit der historischen "Hakenterrasse". Solch einen Hafen hatte ich noch nirgendwo gesehen.

    Blick auf die Hakenterrasse


Von unserem Schiff, der "Bremerhaven" keine Spur. Scharfsinnig stellte Karl fest :"Jedes Schiff hat eine Mannschaft, und jede Mannschaft hat eine Stammkneipe. Unsere Suche bescherte uns einige Biere, aber keinen Hinweis auf unser Schiff. In irgend einem Hafenamt konnte man uns schliesslich helfen.

    Stettin Hafen

Die "Bremerhaven" lag in Pölitz, ca. 20 km von Stettin entfernt. Die Fahrkarten mussten wir aus eigener Tasche bezahlen. Wir schworen :"Das holen wir uns wieder."

Sonntag, 7. Juni 2015

MEIN GLÜCK: KEIN KRIEGSDIENST

Doch dann war leider Schluss damit. Wir nahmen Kurs auf Kiel. Ziel war die Tirpitzmole auf der Marinebasis. Dort lagen die "Gorch Fock", das Ausbildungssegelschiff der Marine, und die "Ubena", als Wohnschiff für die Kadetten. Sie mussten jetzt ohne Fahrt und Seegang in die Masten. Ich sah mit Schaudern hoch. Mir wurde schon von unten ganz blümerant. Dort würde ich auch irgend wann mal hoch müssen.
Ich besuchte meinen Vater, der inzwischen bei der 7. U - Bootflottille gelandet war.
Was mit den Unitasbooten geschehen sollte, ging wieder erst mal nur als Gerücht um. Sie sollten für die U - Bootjagd umgerüstet werden. Nicht viel Unterschied, früher Wale jagen, jetzt U - Boote. Ein erster Marinesoldat zog in eine der, von den Lotsen geräumten, Kammern. Es war, ich bin mir nicht ganz sicher, ein Stabsobergefreiter, ein Reservist älteren Kalibers, der schon am Orlog 1914 - 1918 teilnehmen durfte. Er war ein so genannter Signalgast. Er beherrschte das Flaggenalphabet zur Kommunikation mit anderen
Schiffen. Es hiess, wenn ein Obergefreiter nicht weiter befördert werden konnte, verpasste man ihm noch einen Stern und er wurde "Stabs", Obermatrose.
Der arme Kerl wurde mit Fragen über die Marine gelöchert. Von unserer Besatzung hatte keiner eine militärische Ausbildung. Aber jetzt kam der Befehl: "Antreten zur Einkleidung!" Der Kapitän, der Chief, Theo Naloch und der Koch waren zu alt, um eingezogen zu werden. Ich war zu jung. Zu der Zeit nahm man noch Rücksicht auf das Alter.
An Paul, unserem Koch, hatten wir noch etwas gut zu machen. Ihn hatte ein unschönes Ereignis schwer in seiner Kochsehre getroffen.
In der Fischerei waren Pinseln und Farbe waschen Zeitverschwendung. Man war rund um die Uhr im Einsatz. Dem entsprechend sahen die Kombüsenwände aus. So auch bei uns. Für Paul wars die Hauptsache, dass Pötte und Pannen sauber waren. Unsere bösen Buben verzierten einen Kohlkopf und einer verfasste ein Gedicht:
        Ein Kohlkopf, von Staub ganz braun,
        wurde eines Nachts zum Clown.
        Künstlerhände,
        bemalten Kombüsenwände.
Paul war schwer beleidigt gewesen. Wir wollten uns zum Abschied entschuldigen. Bertie wusste Rat:
 "Paul bekommt auch einen Orden." Wieder musste eine Blechdose herhalten. Der Orden wurde schön bemalt, und mit einem Hakenkreuz versehen. Mit einer Flasche Schnaps als Beigabe, erfolgte die feierliche Übergabe. Paul war gerührt, ob vom Orden oder vom Schnaps, war egal. "Das bleibt in meiner Errinnerung, aber das Hakenkreuz ist verkehrt herum." Bertie, als alter Kommunist, kannte wohl nicht viel von Hakenkreuzen.  Doch auch hier wusste er Rat. "Stell´ dich vor den Spiegel, dann stimmt´s.

Die Neugier, was käme, war groß. Der Signalgast wusste auch nicht mehr. U - Boote hatte er auch noch nicht erlebt. An der Mole, in ganz Kiel wimmelte es von "Marine". Unseren wilden, verlotterten Haufen dazwischen, auf dem Weg zur Einkleidung, zu sehen, war göttlich. Schwer bepackt, mit Seesack, kamen sie zurück. Alles gab es in doppelter Auführung. Strümpfe, Unterwäsche, es fehlte nichts. Stahlhelm und Gasmaske baumelten am Seesack. Ein "Kulani", der Rock eines echten "Seelords", war das Prunkstück. "Kulani" war der Name eines alten Kieler Schneiders, der den Mantel für die kaiserliche Marine entworfen hatte. Der Reichtum an Klamotten war für unsere Fischersleute neu. Man denke nur an die Gemeinschaftshose von Hein und Willy. Blau - weiss karierte Bettwäsche für alle, sollte den Kojen militärische Einheit verpassen.
Ein Landgang wurde geplant, fein heraus geputzt. Wie würde die holde Kieler Weiblichkeit staunen! Der Reservist stellte seine Kenntnisse von einer ordnungsgemässen Marineuniform in den Dienst der guten Sache. Wo wird der Stern, wo dies, wo jenes, angenäht? Rechter Ärmel? Linker Ärmel? Der Adler, dieses oft gerupfte Vieh, saß schon an richtiger Stelle. Spannend war das Binden des Knotens. Er war komplizierter, als ein Netzsteertknoten. "Mit Gott" auf dem Koppelschloss, löste gemischte Gefühle aus. Bertie,  empfand das, als abartig. "Wenn das der Führer wüsste!"
Fred Wagner, unser "Intellektueller", stand in seiner neuen Montur an Deck, am Niedergang. Oben auf der Pier ging ein Offizier vorbei. Fred glaubte, grüssen zu müssen. Der Offizier schüttelte verständnislos den Kopf. Fred sauste mit rotem Kopf den Niedergang runter. Der Reservist, selbst ernannter Ausbilder für unseren wilden Haufen, klärte ihn auf :"Ohne Mütze grüsst man nicht mit der Hand am Kopf."
Bertie, der Uraltkommunist aus Barmbeck meinte :"Ich bin ja so stolz auf meine Uniform, und darauf, meinem Führer dienen zu dürfen. Allgemeine Feststellung :"Schön ist das Soldatenleben. Wir machen Landgang!"
Die lange Tirpitzmole und das belebte Kasernengelände wurden zum Grussproblem. Anscheinend mussten nicht nur die mit den "Kolbenringen" am Arm, sondern auch einige untere Dienstgrade gegrüsst werden. Wenn es unterblieb, gab es einen Anpfiff. Das hätten sich die Fischdampferleute früher nicht gefallen lassen. Uniform diszipliniert. Um nicht zu sehr aufzufallen, grüssten unsere "Neumariner" alles, was Blau trug, was bei den falsch zu Ehre Gekommenen, Verblüffung auslöste. Am Ausgang fiel dem Wachhabenden beim Anblick der Truppe die Kinnlade herunter. So etwas war ihm noch nicht begegnet. Es war nichts Weltbewegendes, es fehlten nur die "kriegswichtigen" Spanndrähte in den Mützen. "Zurück, marsch, marsch!"
Befehle in dieser Form waren unsere Fischersleute nicht gewohnt. Aber es nützte nichte, zurück an Bord. Wo waren nur die verflixten Drähte geblieben? Bertie wusste Rat. Schweissdrähte eigneten sich als Ersatz. Sie hatten sogar eine noch höhere Spannkraft. Anderntags erfuhr ich, dass auch der zweite Anlauf gescheitert war. Es fehlten die Urlaubsscheine. Keiner an Bord fühlte sich ermächtigt, diese auszustellen.

Ich schlief bis zu meiner Abmusterung bei meinen Eltern. Vater war auch jeden Tag da. Er sprach nicht viel über seine Arbeit. "Psst, Feind hört mit." Das holte er später nach. Er erzählte dann oft von seinen Erlebnissen mit U-Bootkommandant Prien. Er war mit ihm zusammen in Saint - Nazaire gewesen. Zum Beispiel die Geschichte, als die Meldung kam, dass ein U-Boot in der Bucht von Scapa Flow das Schlachtschiff "Royal Oak" versenkt hatte. Da meinte Vater in der Messe :"Das war Prien." Diese Äusserung genügte, um zum Rapport zu müssen. "Woher wissen sie das?"
"Ganz einfach, ich sah Prien beim Studium der entsprechenden Karten." Es ging gut aus, es war keine Spionage und wohl kein Geheimnisbruch.

Meine Zeit in Kiel war schnell zu Ende, und ich landete wieder am Ausgangspunkt meiner Seefahrtzeit, in Bremerhaven.
Von keinem der Boote, von keinem Besatzungsmitglied habe ich je wieder etwas gehört.
"Unitas II.", Ade!

AN DER MINENSPERRE IM KLEINEN BELT

Als wir Hamburg im Frühjahr 1940 verliessen, wusste ich noch nicht, dass ich die Stadt, so, nie wieder sehen würde. Für mich, als Fünfzehnjährigen, war die Welt noch in Ordnung.
Dieses Mal kannten wir unser neues Ziel: Flensburg. Über unsere neue Aufgabe wurde weiter gerätselt. Kiel - Kanal, wie oft noch?Wir lagen im Hafen mitten in der Stadt und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Noch einmal wurde Freilager empfangen. Flensburg = Bommerlunder. Es sollte das letzte Mal sein. Nach der nächsten Fahrt würden wir, wegen des Kriegs, heimische Gewässer nicht mehr verlassen. Besuch kam an Bord, hochrangige Militärs von der Marine und vom Heer. Generatoren wurden an Bord gesetzt. Überall waren Kabel verlegt. Wir dampften die Flensburger Förde auf und ab. An Bord war hektisches Treiben. Dauernd wurde irgend etwas am Schiff gemessen, anscheinend mit Erfolg. Es gab Sekt für Alle. Für die hohen Herren etwas mehr. Man hatte es geschafft, das Schiff zu entmagnetisieren. Später sah man an allen Metallschiffen die Kabelanlagen zur Abwehr von Magnetminen. Beim Auslaufen hiess dann immer :"MES  (Mineneigenschutz) einschalten." Die Minensuchboote waren aus Holz. Auf sie reagierten die Magnetminen nicht. Doch da es schwierig war, auf der weiten Fläche alle Minen zu finden, mussten alle Metallschiffe geschützt werden. Die Flugzeuge warfen die Minen nachts ab. So wusste man nie, wo sie lagen, und oft gingen sie erst nach mehrmaligem Überfahren hoch. Bei Geräuschminen, die auf Maschinengeräusche reagierten, musste man anders vor gehen. Man versuchte den Biestern beizukommen, mit Hilfe einer Rabatzboje, auch Klabautermann genannt. Sie liefen Aussenbords mit, machten voraus mehr Krach, als die Maschine und brachten so die Minen zum Explodieren. Krieg bedeutet auch immer wissentschaftlichen Fortschritt.

Wenn wir im Hafen lagen, lagen auf der faulen Haut. Paul, unser Fischdampferkoch lief zur Höchstform auf. Schon in Hamburg hatte er uns mit Fisch aller Art verwöhnt. Wo er den, bei dem vielen Eis, her hatte, blieb sein Geheimnis. Er konnte es nicht begreifen, wenn es hiess, es käme zu viel Fisch auf den Tisch. In der Fischerei gab es jeden Tag Fisch. Hier in Flensburg kam er mit Makrelen oder Muscheln vom Einkauf zurück. Beides kannte ich nicht, aber es schmeckte mir, und unseren Fischdampferleuten sowieso.

Müssiggang ist aller Laster Anfang und war das Ende etlicher Flaschen "Bommerlunder". So auch an einem schönen, sonnigen Tag. "Supen mokt Spaß." Wir sassen an Deck und der Alkoholspiegel war schon ordentlich hoch. Ich hinkte wegen mangelnder Routine sehr hinterher und nippte erst an meinem dritten Glas. Daher war ich auch der Einzige, der die kommende Situatuon überblickte. Theo Narloch, der auf der Verschanzung saß, ging langsam in Rückenlage. Ich machte einen Hechtsprung, und bekam gerade noch seine Beine zu fassen. Weil die Rehling nicht sehr hoch war, blubberte sein Kopf schon im Wasser der Förde. Es dauerte, bis mir die Anderen zur Hilfe kamen. Am Ufer sammelten sich Zuschauer. Einige empörten sich, andere waren belustigt und klatschten Beifall. Es wurde nicht mit guten Ratschlägen gespart. Mit vereinten Kräften bekamen wir Theo wieder an Bord. Nach der Menge Hafenwasser war Theos, ansonsten so großer Durst, erst einmal gelöscht. Über die Gangway kam die Obrigkeit, in Form zweier Polizisten. "Was ist hier los? Wo ist der Kapitän?" Hein Berlin, besoffen, wie er war, meldete sich: "Dat bünn ick." Sein zweifelhafter Anblick liess die Ordnungsmacht zweifeln. Aber sie fühlten sich auf den Decksplanken der rechtlichen Situation nicht gewachsen. Gefahr schien nicht im Verzuge. "Herr Kapitän, sorgen sie für Ruhe!" Damit zogen sie sich zurück. Hein konnte nicht mal mehr sein "Usus" anbringen. Für uns war er aber jetzt auch noch zum Kapitän aufgestiegen.

Endlich lüftete sich das Geheimnis der Kammern. Nach und nach trudelten fünf Leute ein, alles Lotsen. Das warf natürlich wieder Fragen auf.
Erst einmal waren die Neuen von unserem Bommerlundervorrat überwältigt. Es wurde ein rauschendes Besäufnis. Diesmal machte ich mit. Es endete mit einem elenden Brand. Lange noch drehte sich mir der Magen um, wenn ich nur Bommerlunder oder ähnliche Getränke roch. Wir erfuhren vom Brand und dem Untergang der "Bremen" an der Columbuskaje in Bremerhaven. Ein gewisser Schmidt sollte der Brandstifter gewesen sein. War es der Schmidt, der in der Koje unter mir gelegen hatte? Die Lotsen erzählten uns auch, dass es für uns in den kleinen Belt auf Lotsenstation ginge. Zwischen dem dänischen Festland und der Insel Fünen sollte die Schifffahrt durch die Minensperre gelotst werden. Dort angekommen, gingen wir für 14 Tage vor Anker. Ein Fischkutter diente als Lotsen-versetzboot. Der Kutter mit Heimathafen Lübeck - Schlutrup gehörte Kapitän Wilwater. Er und sein Sohn hatten die Fischerei an den Nagel gehängt.
Der Schiffsverkehr hielt sich in Grenzen. Für uns war es eine Sommerfrische. Baden, Dorsch fangen und viel klönen. Leute abeiten lassen, nur um der Arbeit Willen war zum Glück nicht die Sache unserer Herren.

Dorsch mit einem Blinker zu angeln, war mühsam. Wir erwischten nur kleine Fische. Die Grossen waren wohl zu schlau. Kapitän Wilwater lachte und hatte ein Einsehen mit uns. Er fummelte ein kleines Schleppnetz zurecht, und brachte uns vom Lotseneinsatz oft ein paar ordentliche Dorsche mit. Auch von vorbei kommenden Fischdampfern wurden wir versorgt. Man kannte sich aus Bremerhaven. Geld wurde nie verlangt.
Die Fischersleute aßen am liebsten die Köpfe, Pomuchelsköppe genannt. Sie sagten, es sei das Beste am Fisch. So ein Kopf wurde gespalten und füllte die ganze Pfanne aus. Wir anderen hielten uns an den Rest, gekocht oder gebraten. Einen wahrhaften Segen an Fischen bekamen wir, als das uns ablösende Schiff einmal beim Drehen eine Mine erwischte. So viele und so grosse Fische hatte ich noch nicht gesehen. Zum Glück war ausser den Fischen niemandem etwas passiert.

 Als Moses war ich der Einzige, der in den täglichen Arbeitsablauf eingespannt war. Die Fischdampferleute meinten, dass der Bestmann, wie der Moses bei ihnen genannt wurde, ein weit schlechteres Leben hätte. Er müsse neben seiner Arbeit und der im Fisch auch noch den Kanonenofen im Logis mit Bunkerkohle am Laufen halten, bei schlechtem Wetter kein Vergnügen.
Ich hatte aber genügend Freizeit, auch, um auf blöde Ideen zu kommen. Meine Tabakspfeife musste gereinigt werden. Ich wollte es gründlich, aber ohne viel Arbeit machen. An der Vorkante der Brücke war noch das Ventil für den Druckluftschlauch, mit dem die Wale, um sie an der Wasseroberfläche zu halten, aufgepumpt worden waren. Mit Druckluft durch gepustet, wäre meine Pfeife schnell picobello sauber. Ich hielt das Mundstück vors Ventil, und öffnete es. Schneller, als ich gucken konnte, sauste meine halbe Pfeife im hohen bogen durch die Luft, und verschwand im Belt, wo sie wohl noch heute liegt.
Unser Kapitän hatte als Assistenten einen Schwaben. Als er mal mit seinem Glas den  Strand von Fünen beobachtete, meinte er: "Schöne Metschen." Wir starrten ihn verwundert an. Metschen sind in Norddeutschland Regenwürmer. Er aber meinte schöne Mädchen. Unsere Fischersleute sprachen meistens Plattdeutsch, besonders gerne in Gegenwart unseres Schwaben. Er versuchte es auch immer wieder. Dabei kamen dann solche lustigen Missverständnisse zustande.
Ich dachte in meiner jugendlichen Unbedarftheit wie schon so oft, Krieg sei doch gar nicht so schlimm. Aber es kam immer öfter über die Lautsprecher die Sondermeldungsfanfare. Da hatte wieder irgend ein U-Bootheld zig Bruttoregistertonnen Schiffsraum versenkt. Unsere gute Stimmung ließ langsam nach. Es waren nicht nur Kameraden ums Leben gekommen. Für uns Seeleute hatte auch jedes Schiff, und wars der älteste Pott, eine Seele. Sie wurden nur selten abgewrackt. Das einzig richtige Ende war absaufen. Zum Abschied läutete dann bei Lloyds - London die Glocke.

So pendelten wir zwischen kleinem Belt und Flensburg. Dann, nach ein paar Ruhetagen, ging es zur Ablösung in eine andere Minensperre, nach Warnemünde - Gedser. Die Minensperre lag in der engsten Stelle der Ostsee, der Kadetrinne. Dort herrschte  erheblicher Schiffsverkehr. Die Lotsen waren Tag und Nacht im Einsatz. Wir verbrachten unsere Freizeit in der Hafenkneipe. Unsere Skatexperten waren wieder am Werk. Ich, als Moses bekam meinen Teil ab, und Hein Berlin fiel wieder als Intellektueller auf. So war es bei uns "Usus". Die Zeit wurde ausgefüllt mit Erzählungen der alten Fahrensleute.
       Die lustigsten Geschichten hatte Bertie Brammann von der Afrikafahrt. Es war alles, beschwor er, immer die reine Wahrheit. Angeblich hätte er alle Geschlechtskrankheiten, auch so seltene, wie "Bubo", überstanden. Er sei jetzt immun. Sich zu schützen, wäre für ihn nicht mehr nötig. Gegen die afrikanischen Biester helfe sowieso kein Gummi, nicht mal in Fahrradschlauchstärke.
      Eins seiner Döntjes ist mir noch in Erinnerung geblieben: Bei 50°C standen die Heizer nackt, nur mit einer Lederschürze bekleidet, vor den Feuern. Manchmal wollten Gäste die Maschine und den Heizraum besichtigen. Das war die Aufgabe des Chiefs. In weisser Tropenuniform übernahm er die Führung. "Achtung, der Chief kommt!" Die Feuertüren wurden aufgerissen, und es wurde eifrig mit den Krücken - den Schürhaken der Heizer - das Feuer geschürt. Es wurde hell und noch heisser. Nicht nur die Hitze, auch die Heizerrücken mit Anhang, trieben zumindest den Damen den Schweiss auf die Stirn. "Bammann, ihr seid Schweine!" Der Chief war empört. Dass er während dessen, von hinten, mit kleinen Kohlestückchen beworfen worden war, und aussah wie ein Dalmatiner, wurde ihm erst bewusst, als man ihn an Deck, unter Gelächter, darauf aufmerksam machte
Zwischen unserem Chief und Bertie bestand trotzdem ein freundliches Miteinander. "Fünfzig Mal Suez bei 50°C, das schweisst zusammen." Auf Wache erlaubte sich Bertie oftmals Spässchen. Er schoss polternd aus dem Maschinenraum hoch und hielt horchend eine Hand ans Ohr. Der Chief, der immer Angst um seine Maschine hatte, schreckte aus seinem Nickerchen, auf der Twistkiste, hoch. "Hören sie was, Brammann?" "Nein," antwortete Bertie lakonisch und verschwand wieder nach unten. Er konnte nie an Schlaf denken. Der Chief kam alle Nase lang in den Heizraum, um den Dampfdruck, auf dem  Manometer, zu kontrollieren. Bertie lieh sich meinen Knipskasten. Er hatte sich schon wieder etwas ausgedacht. Aus einer Blechdose schnitt er einen Orden, ein eisernes Kreuz. Das heftete er seinem, auf der Twistkiste schlafenden, Chief an die Brust, und knipste  den so Ausgezeichneten. Als der es merkte, hiess es nur :"Brammann, was soll das?" Ärger gab es für seinen Afrikakollegen nicht. Das Foto war wegen der schlechten Lichtverhältnisse in der Maschine ziemlich dunkel geraten, machte aber noch eine Zeit  lang, ohne dass der Chief es wusste, die Runde auf dem Schiff.
     Während unseres nur achttägigen Aufenthalts in Warnemünde gab es einen Zusatzauftrag. Die "Unitas IX." war überfällig. Auslaufen, zum Suchen. Kein Boot hatte eine Funkausrüstung. Die "Unitas IX." war kein Boot unserer Klasse. Es war ein alter Norweger und hatte als Übungsboot für die deutschen Harpuniere dienen sollen. Denen fehlte aber noch so viel Übung, dass das Boot zum Einsammeln der getöteten Wale eingesetzt worden war.. Jetzt war die IX. verschwunden. Wo, in der nicht so kleinen Ostsee, sollte man suchen? Vielleicht war sie auch versenkt worden. Bald stellte sich heraus, dass sie, anstatt nach Warnemünde, nach Flensburg gedampft war.

Mir hat die Art von Seefahrt auf der "Unitas II." gefallen. Ich stand oft am Ruder. Die Matrosen liessen sich, besonders Nachts, gerne ablösen. Nur das schwache Kompasslicht vor mir, fuhr ich in eine scheinbare Unendlichkeit. Oft waren der Mond und die Sterne stille Begleiter. Im Gegensatz zu den grossen Pötten, spürte ich unseren kleinen Kahn mit jeder Faser des Körpers, dazu kam die Melodie der dreifachen Expansionsmaschine. Am Ruder war ich glücklich und vergass die Zeit.