Dienstag, 11. Juni 2013

Bella Italia Teil 2

Kurs Süd und wieder Nord


Kurs Süd lag an. Navigare necesse est. "Schiffen ist notwendig."
Navigation besagt, dass man trotzdem ankommt. Neapel -Napoli- in Sicht. Neue Gerüche, mediterane, trotz Herbst milde warme Luft, sonnig warm. Sogar die Geräusche südlich fremd, laut aber nicht störend.
Die Bucht von Neapel empfing uns, der Vesuv war Wolken verhangen. Später erfuhren wir, dass an seinen Hängen ein vorzügliches Tröpfchen wächst. La Crima Christi, die Tränen Christis. Profaner: "Engelchen pissen einem auf die Zunge".

Alles ging seinen gewohnten Gang. Für den Ausflug der Passagiere nach Ischia, der Inselschwester von Capri, wurde von der ganzen Küchencrew Butterbrote geschmiert. Alles im Zuge der Devisenknappheit.
Neapel erleben, einmal sehen und sterben, vorher aber noch einmal wiederkommen. Dafür muss man eine Münze in einen der vielen Brunnen werfen. Das gleiche in Rom und wo noch? Schlau von diesen Italienern, dass wäre auch etwas für Bremerhaven. Man könnte damit das Taschengeld aufbessern. In Bremerhaven gibt es leider wenig Brunnen.

Routinemässig umrundeten wir alle vierzehn Tage den italienischen Stiefel und waren somit zweimal im Monat in den Häfen, die wir anliefen. Vieles wurde zur Gewohnheit. Der morgendliche Ausflugsdampfer von Neapel, der zu den Inseln fuhr, hatte beim Passieren unseres Schiffes immer das gleiche Musikstück auf dem Plattenteller.
Die Läden an jeder Ecke mit Espresso. Ein Massenkonsum in Tassen, etwas größer als ein Fingerhut. Daran hatten wir "Tedesci", wir Deutschen, wie ich allgemein vernahm keinen großen Anteil. Anders die Öfen in den Straßen mit heißen Maroni, diese schmeckten vorzüglich. Probierten sie aber erst, nachdem wir aufgeklärt waren, dass es sich nicht um unsere Kastanien, sondern um Esskastanien handelte. Auf Reisen lernt man, Reisen bildet. Einige Male nahm ich an dem Ausflug der Passagiere nach Ischia teil. So schön ist Italien nicht überall.
Ebenso Pompei, die Stadt bei Neapel, die der jetzt ziemlich friedliche Vulkan vor ca. 1000 Jahren zerstörte, stand mehrfach auf meiner Besuchsliste. Ein Spruch an einem der alten Wände, von einem unzufriedenen Bürger, lautete sinngemäß, vom Fremdenführer übersetzt: "Das Volk sollte wissen mit wie viel Dummheit es regiert wird." Das gab es schon vor tausend Jahren und später schien es mir sehr aktuell zu sein.

Wir gingen in Neapel öfters zum Fußballplatz, auch die Fußballbordmannschaft spielte einige Male gegen Napoli. Die Fahrt mit der Straßenbahn zum Fußballplatz war abenteuerlich, das gab es nicht in Deutschland. Offen Wagen mit Scherengittern, Geschwindigkeitsbeschränkung gab es scheinbar nicht. Die alten Klapperkästen schwankten und die Scherengitter sausten hin und her. Es war eine Gaudi, später habe ich immer wieder erzählt, dass ich gegen Napoli Fußball gespielt habe. Wir verloren immer.

In dieser Wintersaison 1938/39 waren wir weit weg von Ereignissen der großen Weltgeschichte. In unserer kleinen Welt verspürten wir nichts vom Eiseshauch jenseits der Alpen, nichts von der Zerstörung der Synagogen, nichts von der Reichskristallnacht kam uns zur Kenntnis. Oder man hat nicht hingehört. Wir Jugendlichen hatte sowieso andere Interessen.

Nächste Station Palermo Sizilien. Es wurde, wir hatten doch auf unserem Teil des Globus Winter, immer wärmer. Das Mittelmeer zeigte sich von der schönsten Seite. Beim Einlaufen in den Golf von Palermo wurde ich mit meinem Hang nach Gerüchen, überwältigt. Ein süßer, fast dekadenter, betäubender Duft aus einer anderen Welt. Später glaubte ich jeden Hafen mit verbundenen Augen an seinem Geruch, Duft oder auch Gestank zu erkennen. Venedig sollte mich mit Gerüchen bald noch überraschen.
Hier in Palermo war alles bunt, noch bunter. Die Taxen an der Kaje, bunt bemalte Karren mit Pferden, bessere Klepper, oder waren es Esel, Mulis? Nicht zu erkennen, waren sie doch über und über mit buntem "Gebammel" bedeckt. Man hatte den Eindruck, dass ein südlicher Schleier alles Laute leiser werden ließ.
Händler kamen mit Booten längsseits, Körben mit Apfelsinen und "Vina Truba" (die Sprache lebt).
Leine runter ein Körbchen hoch, immer erst die Lire hinein, sie hatten wohl schon schlechte Erfahrungen gemacht. Alles gab es in Mengen und für unser Empfinden billig.
Neu für mich, auch ein Schuhmacher kam per Boot ans Schiff. Wieder das Spiel mit dem Korb, Schuhreparatur alles handgenäht, man konnte warten und zusehen. Alles preiswert. Italien war für uns in deutscher Währung sehr günstig.

Palermo und Venedig hatten in Italien die größten Souverenitätsproduktiosstätten. In Venedig Glas aus Murano. In Palermo schleppten die Passagiere die Miniaturen, der oben erwähnten Bauernkarren, an Bord. In Venedig waren es die Gondeln und die Rialtobrücke, letztere sogar mit Beleuchtung.

Über Bordlautsprecher erteilte der Reiseleiters auf jeder Reise Geschichtsunterricht. Sizilien war einmal unter einem Stauffenkönig sogar deutsch. Viel ist davon nicht mehr zu sehen. Jetzt Kurs Bari auf der anderen Seite des Stiefels. Den Stromboli, ein weiterer Schornstein unserer Erde, der auch noch, wie der Vesuv, Rauchzeichen von sich gab, hatten wir auch passiert.

Aus dem thyrrenischen Meer kamen wir jetzt in das adriatische Meer. Am Wasser konnte man das nicht erkennen, man musste schon in einen Atlas sehen. Den hatte ich in Bremerhaven gekauft, das heißt er wurde mir von einem Vertreter von Velhagen und Clasing mit den Worten: "Ein Seemann braucht so etwas!", schmackhaft gemacht. Es war mein erster Ratenkauf, bei einer Summe von 35.- RM musste ich monatlich 5.- RM abzahlen. Ob er wohl wusste, dass auf Grund meines Alters, es ein schwebend rechtlicher Geschäftsvertrag, nach Paragraf 110 (Taschengeldvertrag) war. Die Nazis hatten am BGB nicht gerüttelt. Schlimm waren nur die neuen Paragrafen von fürchterlichen Juristen geschaffen.
Jedenfalls ist der Atlas noch heute in meinem Besitz, ein Helfer für Deutschland in den Grenzen von 1937.

In vorhergehenden Jahren wurde noch die afrikanische Küste mit Tripolis angesteuert. Wie Barcelona ausfiel, weil es Franco es so wollte, fiel Tripolis aus, weil Mussolini einen Feldzug gegen Abessinien, heute Äthiopien, zu erledigen hatte.

Zur Zeit umrundeten wir friedlich die Stiefelspitze von Bella Italia, Kurs Nord: Berg rauf, so unser lustiger Reiseleiter über Mikrofon, geht es immer etwas langsamer. Bari laufen wir nur an, um uns von der Bergfahrt zu erholen.
Bari war der Hafen mit dem kürzesten Aufenthalt. Er wurde genutzt, für einen kurzen Ausflug mit dem "Bärenführer", so wurde sinnigerweise der Leiter unser Passagierherde genannt. Das Schiff lag weit draußen an der Mole. Kaum einer der Besatzung ging während der ganzen Saison in Bari an Land. Auch für mich blieb Bari, auch für meine Nase, ein weißer Fleck auf der Appenin-Halbinsel. Vom Reiseleiter über Bordmikrofon hörten wir, dass dieser Teil Italiens, Apulien, einer der geschichtsträchtigsten ist. Die Griechen hinterließen Spuren, auch die Normannen, die Römer sowieso. Die Alten grüßten sich noch mit Calimera, dem griechischen Guten Tag.
Auslaufen Bari - Kurs Venedig. Wieder ein längerer Seetörn. Für die Passagiere Zeit für die beliebten Spielchen. Wenn es dem Führer auch nicht gelang den Äquator zu verschieben, durfte eine Äqutortaufe nicht fehlen. Kein Äquator, trotzdem schritt Neptun zur Tat. Eine Gaudi, viele weiße Blusen, Taufwasser, ein durchsichtiger Höhepunkt.
Der Lautsprecher: "Wem haben wir das alles zu verdanken?" Jeder wusste wer gemeint war, auch Robert Ley wurde lobend erwähnt.
Auf dem jeweils letzten Törn der Reise, entweder vor Venedig oder vor Genua wurde zum Abschiedsball, ein Kostümfest geblasen. Matrosenanzüge waren gerfragt. Diesen zweck erfüllten die vom Lloyd gestellten Arbeitsklamotten aus Leinen, steif wie ein Brett. Vor Gebrauch mußten sie erst mit P3, ein scharfes Reinigungsmittel, mehrfach gekocht werden. Der Verleih war bei weiblicher Nachfrage immer mit intensiver Anprobe verbunden. Man sieht KdF hatte Freuden parat.

Sonntag, 9. Juni 2013

Bella Italia

Ja, ja der Chianti Wein


Chianti war billig und in unseren Augen ein ziemlich saures Gesöff in bauchigen 1 Liter Flaschen und größer. Erich, der mit den Sternen, versuchte die Säure mit Zucker abzumildern. Ein paar Tage später, die Buddel hing in seinem Schrank, gab es einen Knall. Die Gärung des Zuckers hatte seine Schuldigkeit getan.

Genua als internationaler Hafen, war eine andere Welt. Man traf die halbe, wenn nicht die ganze Welt. Unsere alten Seebären waren echte Kosmopoliten. Hein M. erzählte oft von seinen Fahrzeiten auf amerikanischen Schiffen der zwanziger Jahre. Sie brachten in der Hochzeit der Inflation echtes Geld, und zwar Dollars, nach Deutschland. Manch einer kaufte sich für ein paar Dollars ein Haus in Bremerhaven. Die Superinflation machte es möglich.

Treffpunkt für die deutsche Besatzung in Genua war die "American Bar".

Wir von der Besatzung nahmen oft teil an den Ausflügen der Passagiere. Erstes Erlebnis in Genua, mit einer klapprigen Zahnradbahn hoch in die Berge, oben auf dem Berg ein Camposanto, ein Friedhof. Ich wußte gar nicht, dass dieser Ziel unserer Fahrt sein sollte. Wäre es mir bekannt gewesen, wäre ich gar nicht mitgefahren. Im Nachhinein bin ich froh über meine Unwissenheit.
Alle verstorbenen sind in einer Wand übereinamder in kleine Nischen eingemauert. Überall viel Blumen und es brannten Kerzen. Ein ungewohnter Anblick. Der Besuch eines Friedhofs stand nicht auf meinem Programm, aber der weite Blick über die Bucht von Genua, mit dem Hafen und der Stadt, das Mittelmeer bis zur französischen Küste, war für einen Flachländer einfach fantastisch.

Auch war es eine Erholung vom Krach des Bunkerns, der sich auch nachts fortsetzte. Es dauerte dann noch Tage, um mit allen Deckwaschschläuchen auch die letzten Kohlekrümel außenbords zu befördern.
Zusammen mit dem, was von den Bunkerleuten über Bord ging, muß der Hafengrund eine Kohlegrube sein. Auch im Schiff selbst, der Kohlenstaub war durch alle Ritzen gekommen, dauerte es einige Zeit bis wir von dem schwarzen Gold befreit waren.

Der nächste Zug mit Volksgenossen aus Deutschland traf ein. Bei jedem Aufenthalt in einem italienischen Hafen bekamen ein paar italienische Schulklassen frei, um im Zuge der Völkerverständigung mit Fähnchen schwenkend und musikalischer Begleitung voller Inbrunst "Faccetta Nera" vorzutragen und Hitler, Hitler, Duce, Duce und Faschista, Faschista zu rufen. Es war die Jugend der Schwarzhemden, wie bei uns die Braunhemden. Viel Musik, viel Getöse.  Es nutzte sich im Laufe der folgenden Reisen für uns ab.
Das Wort Faschisten war für uns gar kein Begriff, in Deutschland wurde diese Bezeichnung zu der Zeit nicht verwendet.

Start der ersten Reise um den Stiefel, nächster Hafen Neapel.
Erst einmal kamen wir aber wie der Seemann sagt in einen bösen Kuhsturm. Ich hatte Freiwache, schlief und wurde wach, als die Wache vom Dienst durch das ganze Schiff ging, um die Panzerblenden zu schließen. Diese sollten bei Bruch des Bullauges den Wassereinbruch verhindern. Unser Logis, unsere Bude, lag im Vorschiff. Hier geht ein Schiff beim Sturm am stärksten zur Kehr. Der Kahn stampfte ganz schön, wenn es ins Wellental geht setzten die beiden Anker aufs Wasser, ein Knall wie von Kanonen. Das Mittelmeer ist bekannt für schönes Wetter, aber wehe, wenn Neptun böse ist, glaubt man in der Hölle zu sein. "Dante" war hier zu Hause.
Beim ins Wellental fallende Schiff, ist man wenn, man Treppen steigt leicht wie eine Feder, man schwebt aufwärts. Steigt das Schiff dann wieder, bleibt man besser stehen, ein Eimer Wasser wird in dieser Situation zu Blei.
Die Bewegung im Schiff war so stark, dass die Wände zitterten. Sie waren aus Holz -Nut und Feder-, es quietschte und beim Verschieben der Verkleidung wurde meine Jacke, die an der Wand hing eingeklemmt. Was tun? Auf den nächsten Sturm warten? Ein kurzer Ruck, die Jacke war befreit, aber mit dem Verlust eines beträchtlichen Stückes Stoff, war sie unbrauchbar für repräsentative Zwecke.
Viele Jahre später hatte ich nochmals Gelegenheit das Schiff zu betreten. Beim Besuch meiner alte Bude stellte ich fest, dass der Stoffrest meiner Jacke noch immer in der Wand klemmte.

Mittlerweile war ich so gut wie seefest, brauchte nicht mehr Fische füttern. Allerdings hatten einige Gerüche, wie Huhn mit Curryreis, der Auslöser meiner ersten Seekrankheit, noch magendrehende Wirkung.
Deswegen musste ich, wenn es schaukelte einen Umweg zum Vorschiff machen. Nicht durch das "Versaufloch", sondern über das Vordeck. Das Versaufloch war ein unteres offenes Deck. Dort hatten die Chinesen ihre Wäscherei. Sie hatten, wie auf allen Schiffen des NDL, das Monopol für die Wäschereien und hatten auch ihre eigenen Küchen, aus denen oft der kritische Geruch nach Reis und Curry aufstieg.

Aktuell

 

 

Donnerstag, 6. Juni 2013

Von Norwegen nach Italien

Es war alles noch so schön!


So verging der schöne Sommer 1938 mit den KdF Norwegentouren. Es war für mich der reine Urlaub.

Da Norwegen herbstlich ungemütlich wurde, wendeten wir uns nun dem Süden zu. Wir fuhren mit "Der Deutsche" nach Italien.
Die deutschen Volksgenossen sollten in den Genuss der politischen Freundschaftsaktie Berlin-Rom kommen. Sie kamen per Reichsbahn nach Genua, um dann per Schiff um den italienischen Stiefel geschaukelt zu werden. Von Venedig aus ging es dann per Bahn zurück Richtung Heimat. Eine neue Reisegruppe kam, um in umgekehrter Richtung mit den Stationen Bari, Palermo und Neapel, Endstation Genua zurück, um an den Errungenschaften der Freundschaft Hitler/Mussolini teilzuhaben.
Mitten im Winter kamen sie dann braun gebrannt, und voll des Lobes für den Führer, per Bahn in die Heimat zurück.

Vor der Italienreise gingen wir erst einmal in die Werft. Dort hieß es "schneiden und fönen". Der Muschelbewuchs musste runter, es brauchte viel neue Farbe, Ratten und Kakerlaken wurde durch den Kammerjäger der Garaus gemacht.
Großeinkauf der Mannschaft für ein halbes Jahr bei den "Freilager-Juden", die gar keine Juden waren, sondern, warum auch immer, nur so genannt wurden, den Schiffsausrüstern Varoga und Graue. Bezahlt wurde immer nach Rückkehr von der Fahrt, wenn die Taschen der Seeleute wieder gefüllt waren. Wir Jungs bekamen weder Tabak noch Alkohol.
Dann kam die Meldung: "Morgen ausdocken." Großes Staunen, der Dampfer sah noch aus, als wenn er gar nicht fertig war, Kabel, Farbe, Drähte und großes Durcheinander. Es sah aus, als ob das Schiff noch fertig gebaut werden müsste. Aber, wie ein Wunder war am nächsten Tag alles fertig.

Die ersten Passagiere kamen: "Oh, ein schönes Schiff!" (Der alte Kasten). "Hier ist der Mast, das ist vorne!" Sie standen bei diesen Worten am hinteren Mast. Alles war fröhlich und gut gelaunt.

Erste Station Lissabon, dann kam Genua. Barcelona, das früher auch angesteuert wurde, wurde auf Grund der Kriegsfolgen in Spanien aus dem Programm genommen.
Lissabon war damit der Fleck auf dem Globus, an dem ich meinen ersten Schritt in ein fremdes Land machte. Eine Reichsmark tauschte ich um in 10 Escudos, wofür ich sie ausgab weiß ich nicht mehr. Im Hafen bettelten uns schon 5-6jährige an um Zigaretten, so etwas gab es in Deutschland nicht.

Da der Kohlevorrat schon reichlich dezimiert war, mussten wir in Genua neu bunkern, ein Erlebnis.
In Bremerhaven wurden die Kohlebunker mit Kränen oder mit ganzen Waggons an einem Tag voll geschüttet. In Genua dauerte der Vorgang 8 Tage und war eine spaßige Sache. Wir lagen mit dem Heck an der Kaje und längsseits vom Schiff und von der Wasserseite lag ein Kahn mit Kohlen. Kleine Körbchen, wirklich sehr kleine, wurden voll Kohlen geschippt. Kleine Winschen hieften die Körbchen an Deck, von dort fuhren sie auf extra ausgelegten Schienen mit kleinen Wägelchen an die Kohlenbunkerluke. Die leeren Körbe wurden zurück geschmissen. Was sich da vor unseren staunenden Augen abspielte ging mit verblüffender Geschwindigkeit vor sich. Acht Tage lang genossen wir Seeleute die sogenannten Bauernnächte, bei denen wir, ohne die übliche Wache schieben zu müssen, durchschlafen konnten.


Aus dem Archiv

 





 

 

Mittwoch, 5. Juni 2013

Backbord und Steuerbord

Wieder etwas gelernt


Erich, mein Kollege, der wie ich als Offiziersanwärter war, trug jetzt schon zwei silberne Sterne am Kragen. Er hatte sie seit der Schulung in Bremerhaven nicht wieder entfernt. Mein Anspruch war, es müssten goldene sein und dass wir bald mal ins Heiligtum, auf die Brücke und dort ans Ruder, kommen sollten.

Jetzt wird es spannend: ein Ruder ist nicht wie im Rettungsboot ein Riemen, sondern wird von der Brücke aus mit dem Steuerrad, entsprechend den Anweisungen der Steuerleute oder nach Vorgabe eines Kompasskurses bewegt. Der Wachthabende Offizier guckt des öfteren achteraus, um am Fahrwasser zu prüfen, ob der Rudermann nicht zu viel kurbelt.
Wenn das passiert kam zur Ermahnung: "Du willst wohl deinen Namen mit Kielwasser im Ozean verewigen."
Wenig zu versteuern, möglichst geraden Kurs zu halten, spart Energie und Zeit und bringt die Navigation nicht durcheinander.
Kielwasser nennt man auch Schraubenwasser, weil es von der Schraube erzeugt wird. Schrauben gibt es viele an Bord, darum heißt die Schraube, die das Schiff antreibt auch Propeller. Vor dem Schraubenantrieb hatte man Raddampfer mit seitlichen Rädern. Der Schiffspropeller wurde weit von der Küste entfernt, von einem Österreicher erfunden.
Der Bootsmann äußerte einmal, dort gäbe es eine Menge schlauer Laute. Da hatte man die Musik (Mozart) erfunden und ein gewisser "Parzer" hat den Grill entwickelt und nannte sich fortan Grillparzer.
Auch unser Führer Adolf Hitler kam aus der Gegend. Braunau am Inn. Später habe ich gemerkt, dass der Bootsmann auch ein Kenner der Literatur war.

Auf einem Schiff heißt es nicht "rechts" und "links". Es heißt Steuerbord und Backbord. Die Schiffsseiten werden mit den Farben Grün für Steuerbord und Rot für Backbord gekennzeichnet. Wichtig in der Nacht. Die Farben zeigen die Fahrtrichtungen der Schiffe an. Entgegenkommer oder Mitläufer. Sieht man von einem Entgegenkommer rot und grün auf sich zukommen, schließt man besser die Augen, denn dann knallt es gleich.
Das alles stand auf meinem Lehrplan. Wie merkt man sich das? Es genügt bekanntlich nicht, zu wissen, dass der Daumen links oder rechts ist. Eben rot oder grün. Deshalb war die Eselsbrücke: "Wenn dir ein Rechtshänder eine Backepfeife haut, wird die linke Backe rot." Das war wieder so eine Weisheit des Bootsmanns.
Der Ursprung liegt auch hier wieder im Englischen. Bevor  man ein Ruderblatt am Heck zum Steuern hatte, steuerte man mit einem Riemen/Ruder an der rechten Seite des Schiffes. Das war Steuerbord, englisch Starboard. Um das Ruder nicht zu beschädigen, ging man niemals mit dieser Seite das Schiffes,  mit Steuerbord an die Pier, sondern mit der Gegenüberliegenden. Hafen heißt im Englischen Port, daher nennt man die Gegenseite von Steuerbord "Portside". Der Mann am Ruder rechts, steht zwangsläufig mit dem Rücken zur Portside. Hinten, englisch back, daher im Deutschen Backbord. So einfach soll das sein.
Man sieht hier, welche Intelligenzanforderungen auf einen angehenden Kapitän einstürmten.

Unter den Seeleuten wurde eine Geschichte von einem alten Segelschiffskapitän erzählt. Er hatte einen verschlossenen Kasten in seiner Kajüte, den er häufig benutzte. Er starb auf See und wurde dort bestattet. Die Mannschaft war gespannt auf das Geheimnis im Kasten. Was hatte den "Alten" getrieben, so oft in diesen Kasten zu gucken. Zur Überraschung der Männer enthielt er nur einen kleinen Zettel auf dem stand: "Steuerbord ist rechts und grün und Backbord ist rot und links."

Mit der englischen Bezeichnung Portside oder Starboard hatte es zur Zeit der englischen Kolonialmacht noch eine besondere Bewandtnis. Viele Schiffspassagen erfolgte zwischen dem Mutterland und den Kolonien, unter Anderem nach Ostasien.
Die Majors und Colonels, die zum Zeichen der Würde das traditionelle Stöckchen unter dem Arm trugen, besonders aber die Damen, die öfter ihre Ehemänner besuchten, genossen auf Schiffsreisen das Privileg "Posh", was so viel wie sehr nobel bedeutete. Bei den Schiffspassagen stand P.O.S.H als Abkürzung für "Portside Out Starboard Home". Das war klimatisch bedingt.
Die Schiffe, auch jene für die Tropenfahrt hatten noch keine Klimaanlagen, nur Windhuzen, die den Fahrtwind zum Kühlen ins Schiff pusteten. Auf den in Richtung Indien fahrenden Schiffen, war Portside immer die nördliche, die kühlere Seite der Schiffskabinen. Umgekehrt war es auf der Rückreise.

Auf diese Weise wuchsen auch meine Kenntnisse der Englischen Sprache. Im Grunde war es wohl mehr das Englisch des Bootsmanns, von dem ich einmal den herrlichen gegenüber einem vermeintlichen Engländer geäußerten Satz hörte: "Kumm mi nich an mien Damper, un piss not an my Verschanzung, das is no good for you."
Verschanzung ist der Teil des Schiffes, der aus dem Wasser ragt, also die sichtbare Bordwand. Es stellte sich übrigens heraus, dass der Engländer ein Holländer war. Es muss ein Seemann gewesen sein, denn er verstand das merkwürdige Englisch des Bootsmanns. Vielleicht lag es an der Sprachverwandtschaft des Ostfriesischen zum Niederländischen.

So verging der Sommer 1938 mit den Norwegentouren, mit "Kraft durch Freude". Der reine Urlaub. Zum Spätsommer hin wurde Norwegen herzlich ungemütlich. Unser Schiff drehte auf Richtung Süden, nach Italien. Die Deutschen Volksgenossen sollte in den Genuss der politischen Freundschaftsachse Berlin-Roms kommen.

Ich hatte jetzt die zweite Beförderung hinter mir. Nach den Stationen als "Moses und Decksjunge" erklomm ich auf dem Weg zum Kapitän die nächste Sprosse. Nun war ich ein "Jungmann". Erich, ebenfalls befördert, heftete sich einen neuen Stern an den Kragen. Er fühlte sich nun wie ein "Oberkapitänsanwärter", hatte aber doch Bedenken, denn über die Sterne hüllte er sich allen gegenüber in Schwiegen