Dienstag, 11. Juni 2013

Bella Italia Teil 2

Kurs Süd und wieder Nord


Kurs Süd lag an. Navigare necesse est. "Schiffen ist notwendig."
Navigation besagt, dass man trotzdem ankommt. Neapel -Napoli- in Sicht. Neue Gerüche, mediterane, trotz Herbst milde warme Luft, sonnig warm. Sogar die Geräusche südlich fremd, laut aber nicht störend.
Die Bucht von Neapel empfing uns, der Vesuv war Wolken verhangen. Später erfuhren wir, dass an seinen Hängen ein vorzügliches Tröpfchen wächst. La Crima Christi, die Tränen Christis. Profaner: "Engelchen pissen einem auf die Zunge".

Alles ging seinen gewohnten Gang. Für den Ausflug der Passagiere nach Ischia, der Inselschwester von Capri, wurde von der ganzen Küchencrew Butterbrote geschmiert. Alles im Zuge der Devisenknappheit.
Neapel erleben, einmal sehen und sterben, vorher aber noch einmal wiederkommen. Dafür muss man eine Münze in einen der vielen Brunnen werfen. Das gleiche in Rom und wo noch? Schlau von diesen Italienern, dass wäre auch etwas für Bremerhaven. Man könnte damit das Taschengeld aufbessern. In Bremerhaven gibt es leider wenig Brunnen.

Routinemässig umrundeten wir alle vierzehn Tage den italienischen Stiefel und waren somit zweimal im Monat in den Häfen, die wir anliefen. Vieles wurde zur Gewohnheit. Der morgendliche Ausflugsdampfer von Neapel, der zu den Inseln fuhr, hatte beim Passieren unseres Schiffes immer das gleiche Musikstück auf dem Plattenteller.
Die Läden an jeder Ecke mit Espresso. Ein Massenkonsum in Tassen, etwas größer als ein Fingerhut. Daran hatten wir "Tedesci", wir Deutschen, wie ich allgemein vernahm keinen großen Anteil. Anders die Öfen in den Straßen mit heißen Maroni, diese schmeckten vorzüglich. Probierten sie aber erst, nachdem wir aufgeklärt waren, dass es sich nicht um unsere Kastanien, sondern um Esskastanien handelte. Auf Reisen lernt man, Reisen bildet. Einige Male nahm ich an dem Ausflug der Passagiere nach Ischia teil. So schön ist Italien nicht überall.
Ebenso Pompei, die Stadt bei Neapel, die der jetzt ziemlich friedliche Vulkan vor ca. 1000 Jahren zerstörte, stand mehrfach auf meiner Besuchsliste. Ein Spruch an einem der alten Wände, von einem unzufriedenen Bürger, lautete sinngemäß, vom Fremdenführer übersetzt: "Das Volk sollte wissen mit wie viel Dummheit es regiert wird." Das gab es schon vor tausend Jahren und später schien es mir sehr aktuell zu sein.

Wir gingen in Neapel öfters zum Fußballplatz, auch die Fußballbordmannschaft spielte einige Male gegen Napoli. Die Fahrt mit der Straßenbahn zum Fußballplatz war abenteuerlich, das gab es nicht in Deutschland. Offen Wagen mit Scherengittern, Geschwindigkeitsbeschränkung gab es scheinbar nicht. Die alten Klapperkästen schwankten und die Scherengitter sausten hin und her. Es war eine Gaudi, später habe ich immer wieder erzählt, dass ich gegen Napoli Fußball gespielt habe. Wir verloren immer.

In dieser Wintersaison 1938/39 waren wir weit weg von Ereignissen der großen Weltgeschichte. In unserer kleinen Welt verspürten wir nichts vom Eiseshauch jenseits der Alpen, nichts von der Zerstörung der Synagogen, nichts von der Reichskristallnacht kam uns zur Kenntnis. Oder man hat nicht hingehört. Wir Jugendlichen hatte sowieso andere Interessen.

Nächste Station Palermo Sizilien. Es wurde, wir hatten doch auf unserem Teil des Globus Winter, immer wärmer. Das Mittelmeer zeigte sich von der schönsten Seite. Beim Einlaufen in den Golf von Palermo wurde ich mit meinem Hang nach Gerüchen, überwältigt. Ein süßer, fast dekadenter, betäubender Duft aus einer anderen Welt. Später glaubte ich jeden Hafen mit verbundenen Augen an seinem Geruch, Duft oder auch Gestank zu erkennen. Venedig sollte mich mit Gerüchen bald noch überraschen.
Hier in Palermo war alles bunt, noch bunter. Die Taxen an der Kaje, bunt bemalte Karren mit Pferden, bessere Klepper, oder waren es Esel, Mulis? Nicht zu erkennen, waren sie doch über und über mit buntem "Gebammel" bedeckt. Man hatte den Eindruck, dass ein südlicher Schleier alles Laute leiser werden ließ.
Händler kamen mit Booten längsseits, Körben mit Apfelsinen und "Vina Truba" (die Sprache lebt).
Leine runter ein Körbchen hoch, immer erst die Lire hinein, sie hatten wohl schon schlechte Erfahrungen gemacht. Alles gab es in Mengen und für unser Empfinden billig.
Neu für mich, auch ein Schuhmacher kam per Boot ans Schiff. Wieder das Spiel mit dem Korb, Schuhreparatur alles handgenäht, man konnte warten und zusehen. Alles preiswert. Italien war für uns in deutscher Währung sehr günstig.

Palermo und Venedig hatten in Italien die größten Souverenitätsproduktiosstätten. In Venedig Glas aus Murano. In Palermo schleppten die Passagiere die Miniaturen, der oben erwähnten Bauernkarren, an Bord. In Venedig waren es die Gondeln und die Rialtobrücke, letztere sogar mit Beleuchtung.

Über Bordlautsprecher erteilte der Reiseleiters auf jeder Reise Geschichtsunterricht. Sizilien war einmal unter einem Stauffenkönig sogar deutsch. Viel ist davon nicht mehr zu sehen. Jetzt Kurs Bari auf der anderen Seite des Stiefels. Den Stromboli, ein weiterer Schornstein unserer Erde, der auch noch, wie der Vesuv, Rauchzeichen von sich gab, hatten wir auch passiert.

Aus dem thyrrenischen Meer kamen wir jetzt in das adriatische Meer. Am Wasser konnte man das nicht erkennen, man musste schon in einen Atlas sehen. Den hatte ich in Bremerhaven gekauft, das heißt er wurde mir von einem Vertreter von Velhagen und Clasing mit den Worten: "Ein Seemann braucht so etwas!", schmackhaft gemacht. Es war mein erster Ratenkauf, bei einer Summe von 35.- RM musste ich monatlich 5.- RM abzahlen. Ob er wohl wusste, dass auf Grund meines Alters, es ein schwebend rechtlicher Geschäftsvertrag, nach Paragraf 110 (Taschengeldvertrag) war. Die Nazis hatten am BGB nicht gerüttelt. Schlimm waren nur die neuen Paragrafen von fürchterlichen Juristen geschaffen.
Jedenfalls ist der Atlas noch heute in meinem Besitz, ein Helfer für Deutschland in den Grenzen von 1937.

In vorhergehenden Jahren wurde noch die afrikanische Küste mit Tripolis angesteuert. Wie Barcelona ausfiel, weil es Franco es so wollte, fiel Tripolis aus, weil Mussolini einen Feldzug gegen Abessinien, heute Äthiopien, zu erledigen hatte.

Zur Zeit umrundeten wir friedlich die Stiefelspitze von Bella Italia, Kurs Nord: Berg rauf, so unser lustiger Reiseleiter über Mikrofon, geht es immer etwas langsamer. Bari laufen wir nur an, um uns von der Bergfahrt zu erholen.
Bari war der Hafen mit dem kürzesten Aufenthalt. Er wurde genutzt, für einen kurzen Ausflug mit dem "Bärenführer", so wurde sinnigerweise der Leiter unser Passagierherde genannt. Das Schiff lag weit draußen an der Mole. Kaum einer der Besatzung ging während der ganzen Saison in Bari an Land. Auch für mich blieb Bari, auch für meine Nase, ein weißer Fleck auf der Appenin-Halbinsel. Vom Reiseleiter über Bordmikrofon hörten wir, dass dieser Teil Italiens, Apulien, einer der geschichtsträchtigsten ist. Die Griechen hinterließen Spuren, auch die Normannen, die Römer sowieso. Die Alten grüßten sich noch mit Calimera, dem griechischen Guten Tag.
Auslaufen Bari - Kurs Venedig. Wieder ein längerer Seetörn. Für die Passagiere Zeit für die beliebten Spielchen. Wenn es dem Führer auch nicht gelang den Äquator zu verschieben, durfte eine Äqutortaufe nicht fehlen. Kein Äquator, trotzdem schritt Neptun zur Tat. Eine Gaudi, viele weiße Blusen, Taufwasser, ein durchsichtiger Höhepunkt.
Der Lautsprecher: "Wem haben wir das alles zu verdanken?" Jeder wusste wer gemeint war, auch Robert Ley wurde lobend erwähnt.
Auf dem jeweils letzten Törn der Reise, entweder vor Venedig oder vor Genua wurde zum Abschiedsball, ein Kostümfest geblasen. Matrosenanzüge waren gerfragt. Diesen zweck erfüllten die vom Lloyd gestellten Arbeitsklamotten aus Leinen, steif wie ein Brett. Vor Gebrauch mußten sie erst mit P3, ein scharfes Reinigungsmittel, mehrfach gekocht werden. Der Verleih war bei weiblicher Nachfrage immer mit intensiver Anprobe verbunden. Man sieht KdF hatte Freuden parat.

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