Montag, 30. März 2015

KURZES INTERMEZZO IN HARLEM


 
Auf der "Bremen" hatte ich nicht viel persönliche Kontakte, geschweige denn einen Freund. So stromerte ich allein durch die grosse Stadt. Ich besuchte das deutsche Viertel in den 80er Strassen. Man sprach hier noch viel Deutsch, sehr altes Deutsch.
Viele von der Mannschaft gingen tanzen. Ungewöhnlich war, dass man Bons kaufen musste, deren Gegenwert ein Tanz mit einer Dame war. Ich war auf der Tanzfläche eine Gefahr für die Damenfüsse. Es lag mir nicht. Als ich später erkannte, dass Tanzen eine vertikale Verführung war, um eine Dame in die "Waagerechte" zu bekommen, musste ich mir Anderes einfallen lassen.
Unmusikalisch, aber musikliebend hatte ich einmal die Gelegenheit, zwei Musikern unserer Bordkapelle beim Üben auf dem Arbeitsdeck zu zuhören. Sie  spielten Saxophon und Klarinette. Harry fragte mich:"Gefällt dir das? Das ist Niggermusik". Mir sagte das nichts, aber es gefiel mir sehr. Er lud mich ein, eimal mit nach Harlem zu kommen, er
hätten dort Freunde.Ich war neugierig und sagte gerne zu.
In Harlem zeigte er auf einen Kellereingang. "Da müssen wir rein". Unten befand sich eine Bar. Wir waren kaum drin, da bekam ich schon eine Flasche Bier in die Hand. Die erste Flasche Bier meines Lebens. Es war sehr voll. Außer Harry und mir nur Schwarze. Die Musik war sehr laut und klang in meinen Ohren wie fürchterlicher Krach. So etwas hatte ich noch nie gehört. Ich war froh, als wir wieder draußen waren. Diese Art von Jazz war etwas ganz anderes, als die gemäßigte Variante, die an Bord gespielt wurde.

RETOUR



Es ging wieder über den Atlantik. Bis Bremerhaven wieder nächtliches Deckschrubben. Eine Abwechslung war die gelegentliche Telefonwache. Man saß in einem kleinen Kabuff. Mir war die sicherlich wichtige Bedeutung  dieser Aufgabe nicht bekannt, aber ich hoffte immer, dass das Telefon nicht klingeln möge. Es tat mir den Gefallen und schwieg. Das Gute an der Wache war, dass es immer eine Riesenkanne Kaffee, und noch wichtiger für mich, ein ganzes Paket Würfelzucker gab. Das überstand die Wache nie. Zu Feierabend um vier Uhr besuchte ich die Bäckerei. Die ersten warmen Brötchen, aufgebrochen mit etwas Butter darin, eine Delikatesse, die nicht wenig zu meinem "Lloydbäuchlein beitrug.

Die "Bremen" hatte rund 1000 Mann Besatzung. Wir waren Wanderer zwischen den Welten, wie sie verschiedener nicht sein konnten für mich. Zweimal im Monat im Wechsel Bremerhaven - New York. Was mir als erstes auffiel, in Deutschland trug zwar nicht jeder eine Kravatte, aber es lief auch keiner, wie vielfach in New York im Unterhemd durch die Strassen. Dafür gab es  sehr viele "schicke" Uniformen.
Zu Hause wollte man wissen, ob ich die Freiheitsstatue gesehen hätte. Hatte ich nicht, aber das wollte ich nicht zugeben und so gab ich eine Beschreibung ab, wie noch keiner die alte "Dame"gesehen hat. Ich nahm mir aber fest vor, auf einer der nächsten Touren das Versäumte nachzuholen.
Meine alten Freunde in Bremerhaven waren mir fremd geworden.Herbert Hartmann, der Fischdampfermatrose, mein Begleiter durch die nächtliche Vergnügungswelt von Bremerhaven war oft auf See, so streifte ich allein durchs Nachtleben. An fast jeder Ecke war eine Kneipe, also pro Kreuzung vier! Es hiess damals:" Selbst wenn man in jeder nur ein kleines Bier- damals noch 0,2 Liter- trinkt, kommt man nicht durch die ganze Stadt". Die Bar "Tarantella" war beliebt. Die Kneipiers waren oft frühere Lloydstewards. Die Besatzungen ihrer ehemaligen Schiffe waren treue Stammkunden und ließen sich von ihrem alten Kollegen das Geld aus der Tasche ziehen. Ich fragte nach jeder Reise bei meinen alten Italienfahrern von der "Der Deutsche" nach Maria. Hatte sie vielleicht auf dem Schiff nach mir gefragt?
 Die zwei Tage Liegezeit waren schnell herum und es ging wieder an Bord.

HOBOKEN

 

Jetzt war ich ein Amerikafahrer. Meine erste größere Tour durch New York ging damit los, die Auftrage aus der Heimat zu erfüllen. Willis Büffelkopfgürtel und die Lockenschere für die Nachbarin. Doch zuerst wollte ich die Schallplatte bei Herberts Tante in Hoboken abgeben.
An der Pier gab es ein Telefon, reichlich fremd. Ich fand keine Wählscheibe." Hello?" kam es aus dem Höhrer." Hello?" - wohl das meist benutzte Wort in Amerika beim telefonieren- "Hoboken 3-2878". Diese Telefonnummer werde ich, weil viel geübt, nie vergessen. "Hello!" Was noch? Ah ja! Money in den Schlitz! 5 cent, 1 Nickel.

Ein Nickel
In Amerika schien alles einen Nickel zu kosten. Ganz Amerika war  "vernickelt". "Coca Cola", Subway, Bus, Kaffee, zweite Tasse frei, oder auch satt, alles ein Nickel; bei Kaffee auch kein Wunder. Trotz des schönen Namens "Maxwell" war es dünne Plörre. Kaugummi, ein Nickel; alles kaute, dann klebte es auf der Strasse. An allen möglichen Orten standen "Wurlitzer" juke boxes, auch "nickel odeon" genannt. 5 Cents, ein Nickel, was sonst, und ab ging die Musik: "Rosamunde", die "böhmische Polka", "The donkee serenade" oder: "Roll out the barrell, roll out the barell of beer. Die Kästen machten sogar für sich selbst Reklame: "Put another nickel into the nickel odeon".

Ich versuchte, Tante Lissies telefonischer Wegbeschreibung zu folgen: Zwei Blocks bis zur 42. Strasse, 42.street ferry über den Hudson nach New Jersey, Weehawken Bus.

  Mein Schulenglisch war keine grosse Hilfe beim Durchfragen nach der 42. Strasse. Die Strassenschilder waren nicht wie zu Hause "ordentlich" an den Häusern angebracht, sondern an irgendwelchen Pfählen irgendwo an den Strassenecken. Warum überhaupt
Nummern statt Namen? Alles war sehr verwirrend für mich. Wenn ich fragte, wurde ich immer nur zu irdendwelchen Blocks geschickt. An jeder Strassenecke begann ein Block. Als ich es begriffen hatte, merkte ich,wie praktisch diese Einteilung war. Ich fragte wieder:
" Is this the fourty two street?" Antwort: "No, this is the fourty second street". Eine humorvolle Antwort. Da entdeckte ich auch das Schild an einem Laternenpfahl. Fourty second werde ich nie vergessen.
 In einem Gebäude schien ein Kino zu sein.Ich hatte lange schon keinen Film mehr gesehen und opferte einen Quarter, 25 cents. Das Publikum johlte. Es wurde geraucht und getrunken, untermalt von Gelächter und Babygeschrei. Aus Riesentüten wurde Pop Corn gefuttert. Mais kannte ich nur als Hühnerfutter. Später lernte ich, dass man ganze Kolben essen konnte; mit Salz und triefend vor Butter.
Von Kinntopp keine Spur.Auf der Bühne wurde herum gehopst. Die Attraktion sollten wohl ein paar spährlich bekleidete Damen sein, die, als wären sie Dekoration, reglos herum standen. Man erklärte mir, dass ich in einem "French Follies" gelandet sei. Es war Einiges erlaubt, es wurde Einiges geboten, aber es war den Damen verboten, sich zu bewegen. Ich hatte mich auf Kino gefreut. Der Quarter tat mir noch lange leid.

In Hoboken fand ich keine Bushaltestelle. Die gab es in New York auch nicht. Man winkte einfach einem heran nahenden Bus. Der Busfahrer  sprach Deutsch, wie die meisten Menschen dort. Als ich ihm die Adresse nannte, erwiderte er:" Ick lat di dor rut". Hoboken war fest in deutscher Hand.
 Tante Lissies Haus, war ein "boarding house", eine Art Pension mit Verpflegung und Familienanschluss. Sie war eine richtige runde Tante, wie man sie sich vorstellt. Sie freute sich, etwas aus der Heimat zu hören. Insbesondere, mit Tränen in den Augen, die "Nordseewellen" auf dem Grammophon.
 Als Erstes aber wurde ich im Bekanntenkreis herum gereicht. Hier lernte ich die gebutterten Maiskolben kennen, traute mich aber nicht, etwas so Fremdes zu probieren. Sieht er verhungert aus? Mein "Lloydbäuchlein" beantwortete die Frage von selbst. Erst später verstand ich den Sinn der Frage. Man lebte gedanklich noch im Amerika der dreissiger Jahre mit sechs Millionen Arbeitslosen. Doch diese Zeit war längst vorüber. 1936 hatte Roosewelt mit Hilfe von Keynes durch den "new deal" die Wirtschaft angekurbelt.  Die Rezession war beendet. Alle waren in Lohn und Brot.
Was ich in Deutschland noch nicht kennen gelernt hatte, erlebte ich in Amerika- Judenhass. "Du siehst ja gar nicht verhungert aus. Das ist alles Propaganda der Juden, man sollte nochmal in die 42.Str., die Juden bescheissen und dann zurück nach Deutschland.
Um die Ecke hatten die Millers ihren"Delicatess Store". Es schien , als seien alle diese Läden in New York in deutscher Hand. Hier gab es rund um die Uhr alles, was essbar war. Hatte jemand um Mitternacht Appetit auf ein Chicken Sandwich, dann auf zu Miller.
In deren Sohn Fredy fand ich einen Freund. Er ging noch zur Schule, war Anführer einer Strassengang, die, ich dabei, Hoboken unsicher machte. Mein Name war "fifty eight". Den hatte ich von Vater Miller. "Heinz Soup" gab es in 57 Variationen. Ich war die achtund-fünfzigste.
Vater Miller hatte sich ein Auto gekauft. Um den Stolz und die Bedeutung auszudrücken, hiess es immer:" A 2000 Dollar car". War auch ein stolzer Preis für ein Auto. Zum Einkauf, wir Jungs fuhren mit, ging es durch den Lincoln Tunnel. Wir besuchten eine "Life Poultry". Wieder viel Neues. Die Fahrt durch durch den Tunnel war kostenpflichtig. Sicherlich mehr als ein Nickel. Die Life Poultry war ein großer Schuppen voller Käfige mit Geflügel aller Art. Man suchte sich eine fette Henne aus. Sie wurde geschlachtet und gerupft und lag bald gekocht und zerteilt zwischen Sandwichscheiben in Millers Store.

Alles war neu und spannend für mich. Meine Freizeit in New York verlebte ich jetzt immer bei Tante Lissy und den Millers.




 

Mittwoch, 11. März 2015

Ahoi! Da bin ich wieder.


Aus gesundheitlichen Gründen konnte ich meinen Bericht nicht fortsetzen. Doch jetzt geht es weiter. Ob ich bis zum Kriegsende 1945 komme,steht altersbedingt in den Sternen geschrieben. Vorab eine kleine Vorschau:

I.
1939 "D.Bremen" Bremerhaven - New York

II.
Bei Kriegsausbruch Blockadebrecher nach Murmansk; per Bahn nach  Leningrad,dann mit der "Sierra Cordoba nach Bremerhaven.

III.
"D.Potsdam" Umsiedlung der Baltendeutschen,immer Riga-Gotenhafen hin und her

IV:
"Unitas II", Fängerboot der Walfangflotte; 1939-40 im strengen Winter Freihaltung des Hamburger Hafens und Versorgung der festgefrorenen Schiffe;dann als Lotsenwohnboot bei den Minensperren in der Ostsee - Station Warnemünde und Flensburg; 1940 Abmusterung

V.
"D.Bremerhaven" (Union) in Stettin-Pölitz , Wohnschiff für ca. 1000 polnische Zwangsarbeiter für Aufbau eines Hydrierwerks. Tragische Erlebnisse

VI.
Beförderung zum Matrosen und nach Danzig-Neufahrwasser; "D.Brake" (Union) für den "Seedienst Ostpreussen"

VII.
10.02.43 Verhaftung durch Gestapo Danzig; Lagerhaft bis 10.02.45

VIII.
03.03.45 "D.Benue" und "D. Mungo" der Woermannlinie; für den "Endsieg" noch auf der Unterelbe, unter Feindeinwirkung Übersetzung von Truppen der Westfront zum Kampf  gegen die Russen

IX.
Kapitulation 08.05.45 ; im Juli nach Helgoland, um die letzten ca. 2000 Soldaten ab zu holen; Schiff wird abgeliefert in Firth of Forth; Rückreise als Passagier auf der "Ubena" (Woermann Linie)

In Hamburg Entnazifizierung; Ende der Seefahrt