Sonntag, 24. Mai 2015

EISWINTER IN HAMBURG


Wir hatten unseren Liegeplatz in der Nähe der Kornhausbrücke. Nicht weit davon, an der Brandstwiete war im "Kornhauskeller" unser allabendlicher Ankerplatz. Pflichtgemäß besuchte ich einmal meine Tante Dina in Langenhorn. Onkel Rudolf war nicht da. Er war als Ingenieur bei Hapag Australienfahrer gewesen. Jetzt war er auf der Howaldt - Werft in Kiel untergekommen.
Mehr habe ich damals von Hamburg nicht gesehen. Die Kneipe war gemütlich, der Wirt lustig und die weiblichen Bedienungen sehr entgegen kommend. "Fühl´ mal meinen Puls." Die beste Stelle dafür, schien den Damen zwischen Oberkante Strumpf und Strumpfgürtel zu liegen. "Das darfst nur du", galt für alle guten Gäste. Ich gehörte nicht dazu, war wohl noch zu grün hinter den Ohren.
Ein Bier kostete 15 Pfennig. Für Hamburg preiswert, für uns teuer. Es gab immer wieder
finanzielle Engpässe. Der Freilagertabak und der Schnaps halfen uns aus der Misere. Der Wirt war ein dankbarer Abnehmer. Das Geld, das wir einnahmen, floss umgehend in seine Kasse zurück. Ein Problem wurden nur die Zöllner an der Kornhausbrücke. Sie kannten uns schon und vermuteten bei uns keinen Freilagerschatz, bis sie unseren Matrosen Karl Palluch erwischten. Karl versuchte sich heraus zu reden, dass er den Schnaps für kriegswichtige Zwecke brauchte. Er müsse eine Soldatenfrau trösten. Doch der Zoll liess sich nicht erweichen. Es war doch Krieg! Karls Schnaps war weg und sie hatten uns auf dem Kieker. Mir fiel Italien ein. Dort waren die Zöllner verhandlungsbereiter gewesen.
Eine der Kneipentouren war unserem Karl schlecht bekommen. Es war spät, wir schliefen schon. Plötzlich lautes Schreien. Karl war in den Hafen gefallen. Die Eisschollen waren noch gefährlicher für ihn, als das eisige Wasser. Mit einem Rettungsring an einer Leine zogen wir ihn zur nächsten Leiter an der Kaje. Hein Berlin kletterte hinunter, wickelte ihm das Tau um den Bauch und wir zogen unseren Karl nach oben. Er schrie und bibberte, trotz mehrer Decken und einer ordentlichen Portion Schnaps, noch in der Koje. Irgendwer musste telefoniert haben. Es rollte der ganze kriegsgemäße Apparat an. Die Kaje stand voll mit Feuerwehr, Rettungswagen, Polizei, und irgendwelchen Soldaten, ausgerüstet, wie zum Gefecht, mit Karabiner und Gasmaske.
Von da an, kontrollierte uns auch der Zoll immer genau. Wie so oft im Leben, war es ein Zufall, der unser Problem löste. Ich lernte im "Kornkeller" Fietje kennen. Er war Barkassenführer, konnte aber bei dem Eis nicht arbeiten. Er kannte den Hafen aber besser, als jeder Zöllner. Er übernahm den Schnapstransport und erzielte auch höhere Gewinne, als wir. Fietje wohnte in Altona. Ich besuchte ihn dort. Seine Frau mochte mich nicht. Sie gab mir die Schuld an Fietjes hohem Schnapskonsum. Seine Tochter Anneliese mochte mich um so mehr. Anneliese war reizend, aber noch anziehender war ihre Tätigkeit: Platzanweiserin im Kino! Der "Kornhauskeller" sah mich seltener. Ich verbrachte meine Zeit mit Filme gucken. Anneliese war dabei oft ein lieber Störfaktor. Der Krieg schien in weiter Ferne. Ein gefügeltes Wort war damals :"Geniesse den Krieg, der Frieden wird fürchterlich. Mit dem Tauwetter endete die schöne Zeit in Hamburg. Tschüß, geliebte Anneliese! Ich komme wieder.



Samstag, 16. Mai 2015

EIN WILDER HAUFEN

Deutschland hatte drei Walfangflotten gehabt, "Unitas", "Jan Willem" und die "Rauflotte". Sie hatten seit 1936 in der Anarktis gejagt. Deutschland war auf das Fett, den Tran, angewiesen. Jeweils ein Mutterschiff, auf dem die Wale verarbeitet wurden, wurde von ungefähr zehn Fangbooten begleitet. Die Kapitäne waren alles erfahrene, norwegische Harpunierer. Die jungen, deutschen Walfänger hatten noch keine Erfahrung. Die mit ihnen besetzten Boote konnten nur Zubringerdienste leisten. Der Kriegsbeginn erfreute die Wale. Sie hatten Ruhe vor den Killerflotten, da alle Norweger entlassen wurden.
Der "Blitzkrieg" mit Polen war beendet. Es herrschte Ruhe vor dem Sturm.Die Schiffe und Boote wurden umgerüstet. Wir lagen mit einigen "Unitas"- Booten zur Ausrüstung bei der Nordsee Reederei in  Geestemünde. Die Bauaufsicht hatte ein ehemaliger Walfänger. Bluhm, wegen seiner geringen Grösse Blümchen genannt, erzählte sehr spannend von den sechs Monate dauernden Jagden. Die Wale wurden mit Harpunen an armdicken Seilen beschossen. Diese wurden von großen Winschen gehalten. Die Leine lief über starke Federn, die jeden Ruck des Wals vom Boot fern hielten. Notfalls wurde noch eine Harpune mit Sprengstoff abgeschossen. Die Wale hatten keine Chance. Als letztes kam die Druckluftharpune dran, die den Wal an der Wasseroberfläche hielt. Der Wal bekam ein Fähnchen mit der Nummer des jeweiligen Fängerboots, dann wurde er zum Mutterschiff geschleppt.Jeder war am Fang beteiligt, man verdiente gut. Die Kapitäne und Harpunierer waren sehr wohlhabend.
Für welche Aufgaben sollten die Schiffe jetzt umgebaut werden? Wieder mal wusste keiner was. Wie immer: "Alles geheim, es ist Krieg." Unser Boot, die "Unitas II." war völlig entkernt worden. Noch hatten wir weder Koje, noch Tisch, noch Stuhl. Wir sassen auf Bierkisten. Es gab keine Beschäftigung, kein Putzen, kein Pönen. Das Schiff kam ja gerade frisch aus der Werft. Wir vertrieben uns die Langeweile mit Bier trinken. Dafür, dass wir an Land schliefen und aßen, zu Hause oder im Seemannsheim, bekamen wie Extrageld. Uns ging es gut. Die ersten Matrosen, die eintrudelten, kamen aus der Fischerei. Der Fischfang war sehr reduziert worden. Ich habe nie wieder Menschen gesehen, die fauler waren als Fischersleute, wenn kein Fisch da war. Sonst arbeiteten sie rund um die Uhr, aber ohne Fisch, schien Arbeiten unvorstellbar zu sein. Ihnen und mir gefiel unsere momentane Lage. Beim "Lloyd" hätte ich, beim Bier trinken erwischt, welche an die Backen bekommen. Ich fing auch an, zu rauchen Einer der Matrosen bot mir so überraschend eine Zigarette an, das ich ganz verdattert annahm. Bald kaufte ich mir selbst "Eckstein" , "wo der Hund dran pisst", wie wir immer sagten, oder "Golddollar". Drei Packungen für einen Groschen. Es war der Beginn einer langen Sucht.
Mit meinen alten Schulkameraden hatte ich keinen Kontakt mehr. Mein Kumpel Herbert vom Fischdampfer war stolzer Mariner geworden. Wie kam er wohl bei seinem Getränkekonsum mit dem mageren Sold zurecht. Ich habe ihn nie wieder gesehen. War Mildred, meine "Flamme", wohl noch nach Kreigsbeginn nach Bremerhaven zurück gekommen? Ich schlich öfter um die Kneipe ihrer Eltern herum, Traute mich aber nicht, nach zu fragen. Auch sie habe ich nie wieder gesehen.
Im Schiff tat sich einiges. Jeder verfügbare Raum wurde mit Kammern ausgebaut. Unsere Behausung vor dem Mast bekam Kojen, Bänke und einen Tisch, alles neu. Der Winter 39/40 war ein böser Eiswinter, aber im Schiff verbreitete die Heizung wohlige Wärme. Nur die Brücke hatte keine Heizung. Das wunderte uns bei einem Schiff, das in der Antarktis zu Hause war. Die Mannschaft war vollzählig. Morgens wurden wir freundlich von "Hein, tut mol" geweckt. Hein war Schipper auf einem der kleinen Werftarbeiterboote. Er liebte seine Tute, und machte reichlich Gebrauch davon. Ein Zuruf genügte: "Hein, tut mol!" Tuuut, Tuuut.
Die Freilagerjuden, wie die dort ansässigen Händler genannt wurden, versorgten uns mit den üblichen zollfreien Waren: Mit "Lucky Strike" statt der billigen "Eckstein", gutem holländischem Tabak, "Black Star" in Halbpfundspaketen, und billigem, aber gutem Schnaps. Ein Zeichen, dass es bald los ginge. Alles war noch unter Zollverschluss. Wir sollten die Ware sofort bezahlen und nicht erst wie früher üblich am Ende der Fahrt, wenn Alle ihre Heuer bekommen hatten. Die Händler glaubten wohl nicht an unsere Rückkehr.   Abtretung an die Reederei ging auch nicht. Wir wussten gar nicht, zu welcher wir gehörten, haben es auch nie erfahren. Es war Krieg, alles geheim. "Unitas" gab es nicht mehr und zur Kriegsmarine gehörten wir nicht.
Wir lagen mit fünf ehemaligen "Unitas"- Booten an der Ausrüstungspier der "Nordseewerft. Nach Wochen des süssem Nichtstuns wurde es Ernst. Proviantaufnahme und Auslaufen zur Probefahrt Richtung Helgoland. Am ersten Tag mit warmer Bordküche gab es die berühmte Erbsensuppe, etwas, was es beim Lloyd nie gegeben hatte. Dann     hiess es "Leinen los" und damit begann das Theater. Der Kapitän und der "Erste", beide von Dickschiffen, erwarteten, dass jemand an Land wäre, der die Leinen losschmeissen würde. Hein Berliner kannte es von der Fischerei, dass einer dafür an Land sprang . Man so einfach geht es nicht auf grosser Fahrt, auch nicht mit kleinen Schiffen. Der "Erste": "Berlin, kommen Sie sofort zurück!" Hein hatte Widerworte: "Stüer!"  Das war zuviel. Wie konnte er den "Ersten" zum Steuermann degradieren. "Berlin, das ist hier bei uns nicht Usus.""Hein tut mol" tutete zum Abschied. Die auf der Brücke glaubten jetzt auch noch, wir bekämen Schlepperhilfe für unseren Kahn. Aber nichts da. Es gab noch ein unmögliches Herumgekurve im Hafenbecken und die Fischersleute hatten jeglichen Respekt verloren.  
Kriegsbebingt, war die Mannschaft ein zusammen gewürfelter Haufen. Der Kapitän war ein Hapagfahrer aus Hamburg, der I. Offizier kam vom Lloyd. Wir wurden ein Zweiwachen-Schiff. 6 -12 und 12 - 6 rund um die Uhr. Hein Berliner aus der Fischerei , und der Leichtmatrose Fred Wagner wurden der Kapitänswache zugeteilt. Zur Wache des "Ersten" gehörten Willy Münchmeyer und Karl Palluch, auch beide vom Fisch. Willi und Berliner waren Freunde. Das merkten wir besonders beim Skat. Sie waren ein ein- gespieltes Team und gewannen fast immer. Auf unserer späteren Station in Warnemünde gingen sie immer in die Hafenkneipe zum Bierskat. Das wurde immer, auch für mich fiel was ab, ein billiger Abend.
Hein und Willy hatten in der Fischerei gut verdient, aber zuviel Geld für Kleidung ausgeben, das musste nicht sein. Sie hatten zusammen nur eine der warmen Filzhosen für den Winter. Das gab manchmal Probleme bei der Ablösung am Ruder. Der "Erste" wartete auf seinen Matrosen zum Wachwechsel. Auf solch einem kleinen Schiff lief alles gut durch Zuruf: "Münchmeyer, wollen Sie nicht ablösen?"  "De schall mi ers mol min Büx trüch geben!" Jeder behauptete, es wäre seine Hose. Ich, als Jünster war wieder zum Moses degradiert worden und ging keine Wache, stand aber die meiste Zeitden für irgend jemanden am Ruder. Es war die faulste Besatzung meiner ganzen Seefahrtszeit. Nur ich als Moses hatte ich immer was zu tun. Backen und Banken, wie man das Dienen an Bord nennt. Dazu die Buden sauber halten und der elende, ewige Abwasch.
Der Leichtmatrose Wagner tat sehr vornehm. Er sprach nicht mit Jedem, vor allem nicht mit dem "unghobelten" Schiffsvolk aus der Fischerei. Er war, wie ich auf dem Weg zum Kapitän, hatte aber Abitur.
Der I. Ingenieur kam von Woehrmann, von der Afrikafahrt. Er und der Heizer Bertie Bramman kannten sich von einem gemeinsamen Schiff. Berties Spruch war immer: " Wer dreissig Mal Suez bei 50° C erlebt hat, und auf jeder Wache einen halben Liter Rum schluckt, Tripper und Syphillis überstanden hat, der ist immun gegen alles, auch gegen den Krieg. Nur im Kopf stimmt nicht mehr alles." Seinen Chief, den I. Ing schloss er dabei ein. Der Chief war von Woehrmann grössere Maschinen gewohnt. Dort hatte er seine Leute gehabt. Von unserer kleinen, aber starken Maschine verstand er nicht viel. Er überliess alles dem II. Ing, der aus der Fischerei ähnliche Maschinen kannte. Die Ingenieure von dort, wurden Meister genannt. Sie hatten kleinere Patente, und wurden von den "Grossen" scheel angesehen, aber nur unser Meister beherrschte die Maschine. Ein Beispiel bei einem Wachwechsel: I. Ing :" Ich habe die Pumpe aufnehmen lassen." II. Ing an seinen Heizer:" Mach´ wieder dicht." Theo Narloch kam auch vom Fisch. Sein Name führte zu einem eher unschönen Spitznamen. Er nahm es gelassen. Der Meister und er duzten sich. Theo war auch der Älteste an Bord.
Der "Erste" lauschte immer in die Maschine hinein. "Brammann, hören Sie etwas?" "Nein." So ganz befriedigte ihn das nie. Er drehte auch nie bei "Voll voraus" alles auf: "Brammann, sehen Sie mal nach, wer uns da verfolgt." Brammann:" Feindliche U-Boote". "Brammann, Sie sind ein Trottel." Drehte aber voll auf.
Bertie Brammann kam aus Barmbeck, nicht aus Hamburg. Darauf war er stolz. Er war überzeugter Kommunist gewesen, bis er den Sirenenrufen unseres Führers gefolgt war. Ganz Barmbeck war rot und Teddy Thälmann bezeichnete er als Freund. Er war ledig und sein "Zuhause" war die Kneipe von "Sahling". Er schwärmte von den herrlichen Saalschlachten mit den Nazis, die er dort erlebt hatte.
Seltsamerweise war das ganze gemeine Schiffsvolk ledig. Nur der Koch machte eine Ausnahme. Er war kein Deutscher, wie er immer betonte, sondern Ostfriese. Er war ein Meister in der Zubereitung von Eintöpfen, insbesondere Erbsensuppe. Sein zweites Spezialgebiet waren Fischgerichte. Er schlief achtern beim vornehmen Volk. Sein Kochsmaat vorne bei uns. Nur der Kapitän war ein echter Mitschiffsmann. Wie jeder ordenliche Kapitän der christlichen Seefahrt hatte er seine Bude hinter der Brücke. Mit dem Schiffsmaat waren unsere Kojen alle besetzt. Was mit den anderen Kammern passieren sollte, war immer noch geheim. Sollten wir Spione an irgend welchen Küsten absetzen? Die Fantasie blühte.

Bis vor Helgoland wären die Engländer noch nicht vorgedrungen, dachten wir. Wir sollten uns täuschen. Es war der 18. Dezember. Auf der Weser trieben große Eisschollen. Wir krachten durch sie hindurch. In unserer Kammer waren zwischen uns und dem Eis nur ein paar Zentimeter dicke Stahlplatten. Es rummste ordentlich, ein Höllenlärm. Unser erster Gedanke war: Eine Mine! Es ist doch Krieg. Dazu heulte das neue Boschhorn infernalisch in unserem kleinen Raum. Wir hatten es vorher noch gar nicht zur Kenntnis genommen und die Lautstärke haute uns um. Uns fielen fast die Ohren ab und das Schiff war für alle Zeiten kakerlakenfrei. Das Chaos war komplett. Wir stürzten nach oben. Es war falscher Alarm. Der Lotse drückte mit seinem Bauch auf den Alarmknopf unter dem Brücken-fenster. Der Meister, der Praktiker von der Fischerei, musste ran. Mit Bordmitteln wurde ein Schutzblech gegen dicke Bäuche installiert. Er löste auch das Problem der heizungslosen Brücke. Ein Paar Kupferrohre mit Dampfanschluss wurden rundherum knapp über dem Boden verlegt. Es half gegen die grösste Kälte, brachte aber neue Probleme. Man kam beim Reinigen der Brücke mit dem nassen Feudel andauernd an die glühend heissen Rohre. Das Wasser verdampfte zischend. Es stank fürchterlich und die Scheiben beschlugen. Order vom Kapitän: "Nur noch Trockenreinigung." Kam jemand aus Versehen mit den Schuhen den Rohren einen Augenblick lang zu nahe, hörte man Schmerzensschreie und die Socken qualmten. Wir drehten unsere Runde in der deutschen Bucht. Die See war kabbelig und alles war ruhig. Kein Gedanke an Krieg, als das Boschhorn wieder los brüllte.Hatte da wieder jemand seinen Bauch nicht unter Kontrolle? Es war doch eine Sicherung angebracht worden.
Und warum unser Zickzackkurs? Kampfflugzeuge waren über uns. Erst in Cuxhaven erfuhren wir, dass die Engländer Wilhelmshaven angegriffen hatten und wir in die Luftschlacht über der deutschen Bucht geraten waren. Das hatte uns nicht direkt in Gefahr gebracht, aber in helle Aufregung versetzt. Bei der Kurverei waren zwei unserer Boote zusammen gestossen. Es war aber nicht viel passiert. Nur den Chief des einen konnte man vielleicht als ersten Gefangenen des Krieges bezeichnen. Seine Kammertür hatte sich  verklemmt und er kam nicht raus.Ich hatte nur die Kurverei und die Flugzeuge mit bekommen. Wenn das Krieg war, war er auszuhalten.
Jetzt lagen wir schon wieder untätig an einer Kaje, in Cuxhaven am Lenzkai. Was unsere Bestimmung war, wussten wir noch immer nicht.
 Das Eis hatte uns im Griff. Wir würden wohl hier überwintern müssen.Unser Freilager war gut gefüllt. Schnaps und Zigaretten würden reichen. Böse Zungen behaupteten, wir wären nur bis Helgoland geschippert, um ausserhalb des Hohheitsgebiets die Zollplombe loszuwerden.
Das "Usus" vom "Ersten" ging Hein immer noch nicht aus dem Kopf. Was bedeutete "Usus" ? Unser vornehmer Leichtmatrose, Fred Wagner wusste es:" Usus, lateinisch für gebräuchlich. Es wurde Heins Lieblingswort. Bei allen Gelegenheiten, passend oder nicht, kam von ihm: "Das ist nicht Usus", auch wenn der "Erste"in der Nähe war. Später, in Warnemünde, als Hein und Willy ihr Abzockskat spielten, hörte ein Gast neben mir an der Theke Heins "Usus". Er meinte, dass sei wohl ein Studierter. Hein genoss die hohe Ehre, und hatte einen neuen Spruch: "Ick hebb studeert!"
Dann ging es aber doch los. Die Ablegemanöver klappten jetzt besser. Die Fischdampferleute hatten sich mit ihrer Methode durchgesetzt. Es ging Elbe aufwärts. Wohin, wurde uns immer noch nicht gesagt. Wieder das laute Gerumse der Eisschollen. Es wurden immer mehr. Wir waren Führerboot und kamen nur langsam voran. Unsere Schwesterschiffe in der freien Kiellinie hatten es leichter. Die Boote hatten wegen ihres ursprünglichen Einsatzgebiets in der Antarktis die Eisklasse, den verstärkten Bug. Rechts und links lagen schon mehrere Schiffe, die es nicht weiter geschafft hatten. Spät abends liefen wir in Hamburg ein. Wofür brauchte man hier Walfänger ? Am nächsten Tag wurden wir aufgeklärt. Wir sollten Eisbrecher im Hafen spielen, Versorgungsschiff für die, im Eis fest liegenden Schiffe - Proviant, Bunkeröl, Post. Auch mancher Reedereivertreter nutzte unsere Dienste für Besuche. Arzt- und Zahnarzt- besuche der Mannschaften standen auf dem Programm. Wir gingen nur Tageswache. Doch abends waren wir völlig geschafft. Das Schaukeln bei Seegang hat einen Rythmus, den man ausgleichen kann. Das Eis aber schmeisst das Schiff ruckartig hin und her. Man muss immer irgendwo festen Halt finden. "Mors an Poller".

































ich

Sonntag, 10. Mai 2015

AUF DER "POTSDAM" INS BALTIKUM

In Bremerhaven blieb mir nicht viel Zeit. Es vergingen nur ein paar Tage bis zur nächsten Anmusterung. Die Sache mit dem fehlenden Abmusterungsstempel in meinem Italien- seefahrtsbuch war schnell erledigt.
Das Neue Schiff, auf das ich kam, war der Schnelldampfer "Potsdam". Das Schiff, auf dem mein Weg zum Kapitän mit Sandschleppen begann, und wo ich meinen ersten "Sack", meinen ersten Rausschmiss erlebte. Der Bootsmann von damals war noch an Bord. Das gefiel mir gar nicht.
Auf dem Schiff war Hektik. Wahrscheinlich musste der Lloyd sein Schiffsvolk unbedingt unterbringen, um es nicht an die Konkurenz zu verlieren. Man wusste ja nicht, wie es weiter ginge, hoffte aber, dass bald wieder die ganze Welt für die Seefahrt zur Verfügung stände. Die meisten Stewards, bis auf die alten, bekamen die "Ehre", Soldat zu werden.
Die "Potsdam" war überbelegt. Aus Mangel an Mannschaftsräumen schliefen drei andere Schiffsjungen und ich im Schiffshospital. In dieser etwas abgelegenen Bleibe wurden wir völlig vergessen. Keiner weckte uns, keiner wollte etwas von uns; wunderbar! Die Arbeit ging an uns vorbei. Wir erkundeten das Schiff von oben bis unten, und in der
Messe gab es immer was zu Essen. So schön konnte Krieg sein, so liess er sich aushalten. Ohne Krieg müsste ich jetzt Deck schrubben. Aber alles Gute hat einmal ein Ende.
"Wer bist du denn? Dich habe ich noch gar nicht gesehen." Erwischt! So konnte nur mein "Freund" , der Bootsmann fragen. "Wir schlafen im Hospital", rutschte es mir heraus. Aus war es mit dem schönen Leben. Für meine Mitbewohner war ich ein Verräter, sie hielten mir aber zu Gute, dass ich dem Bootsmann vorgelogen hatte, wir hätten schon die ganze Zeit mit den Anderen Matrazen geschleppt.
Mit Matrazen, sie wurden zu Hunderten mit Kränen aufs Schiff gebracht, hatte ich von der "Bremen" her meine Erfahrung. Matrazen schleppen schien Seemannslos zu sein. Nur diesmal war es lustiger. In der Funkerbude stand ein Plattenspieler, der fleissig bedient wurde. Aus allen Lautsprechern schallte Musik über die Decks. Wo man ging und stand, traf man auf Männer mit Stapeln von Matrazen. Sie wurden in alle Salons und sonstigen Räume verteilt. Es schien Eile geboten, sogar die Offiziere waren zum Schleppen abgestellt. Was war der Zeck der Aktion? Keiner wusste was, aber alle waren am spekulieren, und jeder schien genau zu wissen, was los war.
Lazarettschiff? Truppentransporter? Gefangenentransporte? Viele Fragen, keine Antworten. Warum wurden die Stengen von den Masten genommen? Ohne sie war das ganze Schiff verschandelt. Wofür war das gut? Sollten die Masten bei Feindberührung nicht so schnell über der Kimm auszumachen sein?
Keine Idee war zu abwegig, um nicht geglaubt zu werden.
Banal war dann die Lösung des Rätsels. Wir fuhren durch den Kiel- Kanal und wären mit ungekürzten Masten mit den Brücken in Konflikt geraten.
Ich hatte den Kanal erst kürzlich von Ost nach West kennen gelernt. Nun ging es zur Abwechslung mal in die andere Richtung. Was war das Ziel der Reise? Die Gerüchteküche kochte. Die beste Aussage war: "Im Krieg ist alles geheim!" So geheim wars nun doch nicht. Auf der Brücke sickerte etwas durch. Ein unerlaubter Blick auf den Kartentisch, war nicht immer zu verhindern: Lettland, Riga. Also doch Verwundete. Falsch, ganz falsch!
Die Baltendeutschen wollten heim ins Reich. Der Führer hatte gerufen. Ein neues Kapitel der Weltgeschichte fing an. In Riga stömten die Menschenmassen an Bord. Jemand bat mich :"Helfen Sie doch bitte der Baronin bei dem Gepäck." Es war die erste Baronin meines Lebens, und ich erhielt von ihr ein wunderbares Dankeschön :" Ich wünsche Ihnen eine reiche Frau." "Na denn man to."
In meiner Freizeit butscherte ich gerne durch Riga. Ich kaufte mir, wie auch schon in Portugal, Italien und Amerika Briefmarken, um meine Sammlung zu vervollständigen. Später bedauerte ich es sehr, auf der "Bremen" nicht das Schiffspostamt genutzt zu haben. Die Schiffspoststempel wurden bei Sammlern sehr begehrt. Noch interessanter wäre die Post vom Katapultflugzeug gewesen. Doch leider war das vor meiner Zeit. Man liess, damit die Post einen Tag eher New York erreichte, ein kleines Wasserflugzeug per Katapult von der "Bremen" starten. Es soll sich aber nicht bewährt haben. In Riga gab ich für Marken meine letzten Dollars aus. Als ich mein Geld in einer Bank tauschen wollte, sprach mich davor ein Mann an. "Lats? Geld tauschen?" "Ja, Dollars." Er wurde ganz aufgeregt und blass. Als er aber hörte, dass ich nur ein paar einzelne hatte, beruhigte er sich wieder. Dollars hatten wohl schon immer ihren Reiz.
Auf drei Fahrten zwischen Riga und Gotenhafen bei Danzig, ehemals und heute wieder Gdynia evakuierten wir 50000 Flüchtlinge. Dann hatten wir das "Deutsche Blut" aus dem Baltikum gerettet. Auf der letzten Reise hatte sich das Publikum geändert. Die Reichen und Adeligen hatten, wie immer im Leben, Vorrang gehabt. Jetzt kamen mehr bäuerliche und einfache Flüchtlinge an Bord. Es waren die "Hirschendörfer", und sie brachten blinde Passagiere mit. Flöhe. Überall auf dem Schiff konnte man ihre artistischen Sprünge bewundern. Sie vermehrten sich rasant. In Gotenhafen war es schwer, wirksames Flohmittel zu bekommen. Ich lag bis nach Hause in einer gelben Wolke in meiner Koje. Wieder kam ein Abschied von einem Schiff. Lebe wohl "Potsdam".
In Bremerhaven gab es eine Überraschung. Die "Bemen" lag an der Pier. Man hatte sie
auf einer gefährlichen Fahrt durch englisch kontrolliertes Seegebiet, heim geholt. Als  Belohnung dafür erhielt die Mannschaft einen warmen Händedruck vom Führer. Ich hatte noch Klamotten an Bord. Obwohl sie mir schon vergütet worden waren, konnte ich sie trotzdem abholen, und musste wieder für den Erhalt von "Effekten" unterschreiben. 
      So, gut ausgerüstet, dauerte es nicht lange, bis ich wieder Planken unter die Füsse bekam.Von der grossen "Bremen", die "Potsdam"war auch nicht klein, kam ich jetzt auf ein Schiff, kleiner als ein Fischdampfer. Mit Fischen, obwohl es ein Fangschiff war, hatte es aber auch nichts zu tun. Ich war auf einem Schiff der Walfangflotte "Unitas" gelandet. Mein Weg zum Kapitän verlief nicht gradlinig. Mir fiel auf, dass ich bisher noch nie gefragt wurde :" Willst du auf dieses oder jenes Schiff?" Ich wurde immer geschickt, ohne ein "Geschickter" zu sein, oder zu werden. Es wurde auch niemals eine Erklärung über die Art des Schiffes, und seines Einsatzes, abgegeben.

Freitag, 8. Mai 2015

MURMANSK - LENINGRAD - BREMERHAVEN

Meinen Urlaub am 9. September musste ich wohl verschieben. Eine Küste kam in Sicht, aber wir liefen nicht Bremerhaven an. Norwegen, hiess es. Aber ich, der ich Norwegen kannte, wusste es besser. Norwegen war anders, andere Landschaft, anderes Klima. Ich konnte mich auf meine Nase verlassen. Norwegen roch anders. Dann sprach es sich herum. Es war Russland, die Halbinsel Kola. Ein Torpedoboot oder ähnliches tauchte achteraus auf. Wir schienen keine Chance zu haben. Die "Bremen" drehte noch einmal auf. Bald müssten wir in russischem Hoheitsgebiet sein. Das Boot holte auf. Woher kam es? Was wollte man von uns? Dann kam das übliche hin- und her Gefunke und das Flaggen setzen. Wir sahen die Lotsenflagge, Erleichterung! Das Boot kam längsseits. Es war ein Glücksfall, einer der Stewards sprach russisch. Einlauf in die Kolabucht, in den Hafen von Murmansk. Wir waren nicht die Ersten, die bei unserem neuen Freund, Stalin, Schutz gesucht hatten, und täglich liefen neue Schiffe ein. In der Nähe lag auch die "Saint Louis". Wie war Mildred wohl nach Hause gekommen?
Die Heimat und der Krieg waren erst mal weit weg. Wir schliefen wieder, ohne warme Klamotten, in unseren Kojen "vor dem Mast". An einem der nächstenTage musste ich zum Zahlmeister. Der Bootsmann war mißtrauisch. Was hatte der Kerl jetzt wieder angestellt? Es war Mannschaftskontrolle durch die Russen. Alle Seefahrtsbücher wurden kontrolliert. Da hatte doch einer zwei Seefahrtsbücher. Mein altes Buch aus Italien, das mir beim Anheuern auf der "Bremen" gefehlt hatte, und mein neues Buch. Das Russisch unseres Stewards reichte wohl für die Übersetzung dieser schwierigen Sachlage nicht aus. Die Mienen der Russen zeigten, dass sie die Geschichte für sehr fragwürdig hielten. Die Situation entspannte sich erst, als der Zahlmeister mir auf Befehl der Russen die Auflage machte, mir in Bremerhaven nachtraglich den Abmusterungsstempel zu holen. Die alte Ordnung war wieder hergestellt.

Die Kolabucht im hohen Norden hatte für mich etwas trist-melancholisches. wir waren hier dem Winter schon sehr nah. Die kaum bewaldeten Berge ringsum wirkten düster. Es fehlten die, sonst immer zahlreichen, Menschen, die freudig, neugierig am Ufer standen, "Schiffe gucken". Vielleicht war es verboten.
 Wir mussten unseren Notgroschen, die drei Dollars wieder abgeben. Devisen waren knapp. Bekämen wir jetzt Rubel? Sind das auch Devisen? Wir brauchten uns keine Gedanken darüber machen, wir bekamen keinen Landgang.
Ich hatte aber doch Gelegenheit, etwas von Murmansk zu sehen. Die grossen Motorrettungsboote der "Bremen" wurden als Versorgungsboote für die anderen in der Bucht ankernden Schiffen eingesetzt. Die "Bremen" gab Einiges von ihrem überschüssigen Proviant ab, aber sie wurden auch durch Einkäufe in Murmansk versorgt und es gab einen regen Tausch von Filmen. Mehl fehlte auf allen Schiffen. Angeliefert wurde es uns an einer maroden Kaje. Im Stundentakt kam ein wunderliches Vehikel, das mit einem Sack  ausgelastet war. Eine kleine Holzbude der Hafenarbeiter diente uns in der Wartezeit zum Aufwärmen. Es stank fürchterlich in der Bude. Die Russen qualmten ihre Papirossi, bestaunten uns schweigend, und lehnten unsere edlen "Lucky Strike", die eigentlich immer halfen, um Sprachbarrieren zu überwinden, ab. Die Packung lag am nächsten Tag noch unberührt auf dem Tisch. Die Russen wollten keinen Kontakt.
Unsere Touren von Schiff zu Schiff waren eine willkommene Abwechslung im täglichen Einerlei. Gut eine Woche war es her, dass wir mit den Booten vor der Kulisse von New York unseren Manöverzirkus veranstaltet hatten, jetzt belebten wir, einige 1000 Kilometer östlich, die Bucht von Murmansk und taten ein gutes Werk. Der Urlaubsplan mit den Daten meines ersten Urlaubs meiner seemännischen Laufbahn hing noch immer am schwarzen Brett. Mein Urlaub war dahin. "Wenn das der Führer wüsste!" Hätte ich es gewusst, wäre ich in New York geblieben.
Hermann Göring, der Reichsfischfuttermeister - das war sein Spitzname bei der Marine -  schickte in seiner Eigenschaft als Reichsinnenminister ein Telegramm, in dem er unsere Heldentat besang. Am 18. September war Ordensverleihung für uns Blockadebrecher. Wir sollten fast vier Wochen nach dem letzten Auslaufen aus Bremerhaven, die Heimat wieder sehen.
Doch nicht per Schiff, wie es sich für einen ordentlichen Seemann gehört, sondern mit der Bahn durch Russland, von Murmansk nach Leningrad fuhren wir nach Hause.
Schon einmal fuhr ich mit der Eisenbahn mehr als 1000 Kilometer in die Heimat, von Italien aus. Jetzt, auch wieder nur mit Handgepäck, ging es durch die Weite Russlands bis nach Leningrad, und von dort mit dem Schiff weiter.
Ich sah in meinen jungen Jahren schon viel von der Welt. Darum hatte ich mich ja auch für eine Seefahrtslaufbahn entschieden. Doch die jetzigen Umstände, der Krieg, darauf hätte ich gerne verzichtet.
Im Moment zuckelten wir durch die Stille der russischen Wälder. Birken, nichts als Birken. Als Bahnhöfe dienende Schuppen erkannte ich nur als solche, durch, in für mich unleserlichen Zeichen, angebrachte Schilder. Frauen bei der Eisenbahn, für uns ein ungewohntes Bild. Sie klopften, was ich vorher auch noch nie gesehen hatte, mit Hämmerchen die Bremsen und Räder ab. Sie sorgten für unsere Sicherheit.
Tempo:" Blumenflücken während der Fahrt verboten".
Für die Fahrt von drei Tagen und drei Nächten waren Liegewagen notwendig. Die Länge der Fahrt war bedingt durch die Eingleisigkeit der Strecke. Wir mussten alle paar Kilometer auf einem Ausweichgleis warten. Entgegen kommende Züge waren überwiegend Truppen - transporte Richtung Norden. Unsere Verbündeten. Stalin mit dem Führer gegen Engelland?
Der Krieg konnte nicht mehr lange dauern. Polen war schon "abgehakt".
"Aber nicht alles muss so sein, wie es zu sein scheint." ( Kant)
Wir alle im Zug irrten, und das im Verlauf der großen Weltgeschichte nicht zum letzten Mal. Stalin hatte vorerst einen kleinen Privatkrieg mit Finnland zu erledigen. Der Führer hielt still, er schaute zu.
Mit dem Zugpersonal kamen wir uns in den drei Tagen auch ohne Sprache näher. Wussten sie etwas von der Freundschaft ihres großen Führers mit dem neu gewonnenen Freund aus Berlin? Es gab weder Radio, noch Zeitungen im Zug. Unser Steward-Dolmetscher, der meist beschäftigte Mann, fand heraus, dass keiner etwas wusste, auch nichts von einem Krieg. Oder durften sie nichts sagen? Spione konnten überall sein. Zu den Transporten ihrer eigenen Truppen, sie waren ja nicht zu übersehen, meinten sie, nach ihrem Wissen wäre das immer so.
Das Essen war gut. Es gab viel Kohl. Alle waren freundlich zu uns. Tee gab es zu jeder Tages- und Nachtzeit aus einer wunderlichen Maschine.
Ankunft in Leningrad. Was wusste ich noch aus der Schule? War ja noch nicht lange her. Früher hiess die Stadt St. Petersburg, davor Petrograd. Die Namen wechselten immer mit den Herrschenden. In Deutschland gab es noch kein "Hitlerburg". Das würde sicher nach dem Sieg kommen. Welche Stadt müsste ihren Namen hergeben? München oder Nürnberg? Vielleicht auch Berlin.

Die "Sierra Cordoba", ein ehemaliges  "Kraft durch Freude"- Schiff, lag bereit, uns abzu- holen. Man wartete aber noch auf weitere Züge aus Murmansk. Die Liegezeit nutzte ich für einen Bummel durch die Stadt. Ich verlief mich prompt, wurde aber durch die Entdeckung eines herrlichen Museums entschädigt. Der Eintritt war frei. Völkerfeundschaft? oder  Stalinismus? Auf jeden Fall sparte ich meine wertvollen Dollars. Der Weg zurück zum Schiff wurde für mich zum Problem. Ich hatte, und habe immer noch keinen Orientierungssinn. Ich verstand kein Russisch und hatte keinen Kompass. Erst mal an den Fluss, an die Newa. Nur wo Wasser war, konnte ein Schiff sein. Dann in die Richtung, zu der hin der Fluss breiter wurde und die Strömung lief. Es war in Leningrad schon sehr kalt, 10 Grad Minus. Für mich erstaunlich war, dass ich in meinen Sommerklamotten nicht fror. Ich kannte nur die feuchte Kälte bei uns zu Hause. Die Russen liefen aber schon in Pelzmänteln und -mützen. solch eine schöne Mütze wollte ich auch haben. Ich versuchte es im Geschäft mit meinen Dollars. Aber nix Dollar, Kopeken. Keine Kopeken, keine Mütze. Schade.
Auf der Reise durch die Ostsee genossen wir es, Passagiere zu sein. Als Seeleute hatten wir aber nicht das Bedürfnis, auf den Decks zu flanieren und uns den Mond, oder die Sonnenuntergänge anzusehen. Wir pendelten zwischen Speisesaal und Salon. Ich vervollkommnete meine Skatkenntnisse, dabei erlebte ich zum ersten Mal einen "Neger" (damals noch kein Schimpfwort), der Skat spielen konnte und Hamburger Platt sprach. Er war Heizer von einem Woermannschiff der Afrikalinie. Weiss der Teufel, wie sich ein Afkikafahrer nach Murmansk verirren konnte, aber im Krieg war alles möglich. Auf dem Umweg - Murmansk - Leningrad - Kielkanal - traf nach wochenlanger Reise der größte Teil der Bremenbesatzung wieder in Bremerhaven ein. Der Rest der Mannschaft blieb in Murmansk, um das Schiff zu versorgen.
Die Rückkehr ohne eigenes Schiff aber war eine Niederlage, wie ein Schiffbruch. Sogar unserem grimmigen Bootsmann, von der 12-4 Wache hatten beim Abschied von der "Bremen" Tränen in den Augen gestanden. Seine schiefe, plattgedrückte Mütz , ein Zeichen langer Lloydzugehörigkeit - fünfzig Jahre war er dort- hing ihm noch schiefer auf dem Kopf. Er ging danach in Rente, und blieb mir als ein lieber, grimmiger Kerl in Erinnerung.
Es war eine lange Reise gewesen. 20.000 Seemeilen dürften zusammen gekommen sein. So hatte ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt.

    


Mittwoch, 6. Mai 2015

GEISTERFAHRT

1. SPTEMBER 1939
Krisenversammlung! Der Kapitän meldete: Krieg mit Polen! Brockmann konnte wieder einmal sagen:" Denn Fall het wi all mol hart." Wir waren uns sicher, dass das kann nicht lange dauern könne, und gingen, ohne uns große Sorgen zu machen, weiter unserer Arbeit nach.Wir waren vollauf beschäftigt. Die mit Farbe verschmierten Decksplanken mussten nun doch wieder gereinigt werden. Wir kratzten den ganzen Tag auf Knien die Tarnfarbe vom Holz, während unserer gespenstischen Nebelfahrt. Ungewöhnlich, wir fuhren mit voller Fahrt, ohne Nebelsignale. Das Schiff krängte, harter Kurswechsel! Wir mussten einem hell erleuchteten Mitläufer ausweichen. Wir wollten nicht bemerkt werden.

3. SEPTEMBER
Frankreich und England erklärten Deutschland den Krieg!  Was wollten denn die Engländer von uns? Haben die denn nicht unsere starke Flotte zur Kenntnis genommen? Die "Graf Spee", der Stolz der neuen Flotte, zeigte sich doch mit seinen bedrohlichen 28 cm Kanonen, anlässlich der Königskrönung 1936 bei Spithead in England.
Wir mussten jetzt auch noch Matrazen um und auf der Brücke stapeln. Es fing an mit Einschränkungen. In der Messe gab es beim Frühstück nur noch 70 Gramm Butter pro Person. Obwohl keiner bisher soviel benötigt hatte, gab es jetzt großen Protest.

Das Schiff war seekriegsklar, zur Versenkung vorbereitet. Die Hektik ließ nach. Wir kratzten weiter mit einem Dreikantschaber die Decks ab. Bei Versenkung würde das Schiff mit Lloydreinheitsstandard in die Tiefe rauschen. Ich lernte in der Zeit aber auch Skat zu spielen und sah mir alle Zarah Leanderfilme an.
Dafür gab es dann später einen Orden. Die Engländer hatten in der Nordsee eine Blockade errichtet. Von uns einfachen Seemännern unbemerkt, war die "Bremen" zum Blockadebrecher geworden.