Sonntag, 1. November 2015

DANZIG - RIGA TEIL 2

Der Alkohol gehörte zum Krieg. Fast alle soffen. Das ausgiebige Feiern lenkte ab, vom
  Krieg und der vielen Arbeit. Wir waren immer todmüde. Und jede Woche klapperten wir die Häfen bis Riga ab. Auf Ausguck, auf dem Peildeck schlief ich im Stehen ein. Der II. weckte mich mit einer Pütz Wasser. Er hielt gerne sein Pausenschläfchen, auf der Flaggenkiste sitzend. "Ich will mit dem Dampfer mal ein Stück mitfahren," war sein Spruch. Es klappte nur bei ruhiger See. Wenn´s schaukelte, drohte er von der Kiste zu fallen. Jerzy und ich mussten den Kahn auf Kurs halten, und nicht zuviel versteuern. Der erste Blick des II. ging, wenn er seine Pause beendet hatte, achteraus. Wieviel haben die versteuert? Der konstante Kurs war doppelt wichtig, da oft, wegen der Angriffe, alle Leuchtfeuer gelöscht waren. Es war eine elende Schipperei. Es gab keine Kurspeilhilfe, um uns nicht orten zu können. Der II. : "Lass´uns mal die Tiefe messen." Er wusste, wo die jeweiligen Tiefen waren, wollte aber eine Bestätigung. Heute ist das keine grosse Prozedur. Damals schmiss man dafür eine kleine Bombe aussenbords. Die Stärke des  Rückschalls vom Grund konnte man auf der Brücke auf dem Echolot ablesen. Ich schmiss. Es knallte viel zu schnell und sehr laut. Wir hatten vergessen, dass die Gangway wegen der vielen Häfen, zur Zeitersparniss, abgeklappt blieb.Sie bremste die Bombe. Der Knall genügte, es war Krieg, um den ganzen Dampfer in Aufruhr zu versetzen. Als erster kam der Alte aus seiner Bude geschossen. Ein Kapitän in Unterhose ( ohne vier goldene Streifen ), war ein wunderlicher Anblick. Der II. musste übers Sprachrohr die Maschinenleute beruhigen. Jerzy und ich liefen durchs ganze Schiff, und klärten die verängstigten Passagiere auf. Zurück auf der Brücke, wie konnte es anders sein, musste auf den Schreck erst einmal ein Schluck genommen werden. In Unterhosen :"Der Seemann an Bord, das bin ich!" Ein Glas für mich, nicht zu klein, stand auf dem Kompass. Der Krieg verdarb die guten Sitten.


Urlaub
Nach einiger Zeit des Auf und Abs an der Ostseeküste, wurde unser Schiff in Danzig für die Lazarettfahrt ausgerüstet. Aussenbords und an den Schornstein kam das "Rote Kreuz". Sanitäter und Krankenschwestern kamen an Bord. Letztere, jung und nett, wurden im Salon von unseren hohen Herren hofiert. Eine der Schwestern, eine stramme Deern, knallte, kaum an Bord, ihr Gepäck auf die Luke und verkündete :"Ich mache einen Landgang." Zwei Stunden genügten. Vergnügt und mit bester Laune tauchte sie wieder auf. Ihr erstes Opfer, das sie "liebevoll" in den Arm nahm, war unser Bootsmann, der ihr körperlich weit unterlegen war. Es erinnerte an einen Ringkampf. Die Dame brauchte ihr Gepäck gar nicht erst auszupacken. Ihre Seefahrt endete schon vor dem ersten Ablegen. Mit den Ärzten wurde um die Wette gesoffen. Natürlich gewannen die Seeleute. Allen voran Hans Neuss. Er soff wie ein Loch. Ich machte bei diesem Zeitvertreib nicht mit. Mit meiner Vorliebe für Likör, wäre ich nicht weit gekommen. Und obwohl ich immer wieder mal "trainierte", vertrug ich nicht viel.
Wir liefen direkt, ohne Passagiere, nach Riga. Endlich mal keine Häfenabklapperei.
In Riga kam das Grauen an Bord, Kriegsversehrte mit fehlenden Gliedmaßen und grauen Gesichtern, von Sumpffieber gezeichnet. Am bedauernswertesten waren die ganz in Mullbinden Verpackten. Draussen war schwere See. Die Einbeinigen mussten gestützt werden. Alle, auch das Pflegepersonal waren seekrank. Die Verbände wurden kaum noch gewechselt. Der I. Steward hatte Bedenken, dass er den Geruch von Erbrochenem , Blut und Eiter je wieder aus den Kabinen bekäme.
Für mich war das zuviel. Beim Ausguck auf der Back, fasste ich einen grossen Entschluss. Nach der Wache ging ich zum Alten. "Meinen ersten und einzigen Urlaub, habe ich am 9. September ´39 beantragt. Leider kam ein "kurzer" Krieg dazwischen. Jetzt haben wir 1942, es wird Zeit für mich." Wie es die Art des Alten war :"Reisende soll man nicht aufhalten. Hau´ab, bleib´ vier Wochen."
Zuerst fuhr ich nach Kiel zu den Eltern. Mir war langweilig. Alle Bekannten waren auf "Weltreise", von Norwegen bis Afrika, bis zum "Leben, wie Gott in Frankreich". In Russland freute man sich, bald im Kreml zu sein. Vater arbeitete bei der Offizierskleiderkasse, Mutter hatte sich im Marineverpflegungsamt eingerichtet. "Geniesse den Krieg, der Frieden wird schrecklich".
Meine nächste Station war bei den Grosseltern in Bremerhaven. Grossvater war pensioniert, und zog sich die meiste Zeit in seinen Schrebergarten zurück. Man saß wegen Fliegeralarm schon öfter mal im Keller. Grossvater :"Gott strafe England!" Erschrocken entschuldigte er sich sofort. Wir hatten eine englische Mitbewohnerin, die ein Fischersmann, vor dem Krieg, aus Hull mit gebracht hatte. Noch waren es nur überfliegende Verbände. Schäden gab es noch nicht, fast noch nicht. Bei Kriegsbeginn hatte sich eine Bombe nach Bremerhaven verirrt. Wohl ein Notabwurf, um mit verringertem Gewicht noch nach England zurück zu kommen. Das erste Bombenopfer in Bremerhaven war der alte John Gaugk, ironischerweise einer mit echt englischem Namen, und der grösste Kommunist im Ort.
Auch in Bremerhaven, kaum Freunde, kaum Bekannte. Viele hatten sich freiwillig gemeldet. Einen Schufreund traf ich. Ihm hatten sie den Arm steif geschossen. Aber er war zufrieden. Ich war verwundert. Er freute sich, jetzt studieren zu können. Die Welt war rundherum aus den Fugen geraten. Ich hatte auf den verschiedenen Schiffen kaum etwas davon mit bekommen. Ich sehnte mich nach der relativ heilen Welt bei der Seefahrt zurück.
Kalli -  Karl Krause, ein alter Freund vom Segelklub - mein Jahrgang - hatte seinen Einberufungsbefehl schon in der Tasche. Er suchte für einen letzten Segeltörn, einer kleinen Regatta auf der Weser bis nach Vegesack, einen Vorschootmann. Zu dritt, Hans Bäuerle war dabei, schipperten wir los. Trotz des Windes litten wir unter dem Fischgeruch, den Hans meist aus strömte. Er war Lehrling in einem Lebensmittelladen gegenüber der Gaststätte "Drei Kaiser" in der Keilstrasse. Hans war nicht der fleissigste und musste zu Strafe oft in den Keller, um die eingelegten Heringe umzupacken. Auf dem Rückweg hatten wir beim Kreuzen einen Mastbruch. Mit dem "Holzmotor", also rudernd, fuhren wir nach Vegesack zurück. Mit der Reichsbahn traten wir die Heimreise an. Hans versteckte sich die ganze Fahrt über auf der Toilette, weil wir ihm gesagt hatten, wir hätten kein Geld und würden schwarz fahren. Im Herbst wurde Kalli Soldat. Ich sah ihn erst nach dem Krieg wieder. 
Ich wurde gedängt, mir Lebensmittelkarten, zu holen. Nötig hatte ich sie nicht. Mutter hatte mich ( sie saß im richtigen Amt ), mit genügend Reisemarken versorgt. "Frag´ nie, nach dem Woher!" Und bei Freunden gab es immer einen Hering mit Bratkartoffeln. In Tran, vornehm "Fischöl" gebraten, waren sie zwar gewöhnungsbedürftig, aber in der Kriegszeit ein Schatz. "Hol´die Marken," hiess es, "Oma kann sie gebrauchen." Ich ging zum enprechenden Amt. Aber in Bremerhaven stand ich nicht mehr auf der Meldeliste. Also gab´s auch keine Karten. Ich gab Grossmutter meine letzten Reisemarken und verschenkte meine letzten Urlaubstage, an wen auch immer. Ich wollte zurück in meine enge, heile Seefahrtswelt. Dort fühlte ich mich zu Hause, dort waren meine Freunde.


Soldbuch und Wehrpass
Ich wurde mit "Hallo" empfangen. Wilhelm, mein Partner an der Spring :"Du hast mir gefehlt." Die Geschichte von meinem Ersatzmann musste ich mir ein paar Mal anhören. Mit Emil, einem Leichtmatrosen, hatte Wilhelm beim Festmachen seine Last gehabt. Beim An- und Ablegen waren auf dem Vorschiff nur zwei Mann und ein Offizier, und der fehlte oft. Die Winsch war nicht besetzt, man liess sie laufen. Die Geschichte, die Wilhelm erzählte, schmückte er bei jeder Wiederholung mehr aus. Beim Einlaufen in Libau war der Draht an Land fest. Die Fahrt war aus dem Schiff. Wilhelm stand, damit das Schiff den Draht nicht mit nahm, darauf. Emil versuchte, den Draht auf die Winsch zu bekommen. Nur, die Winsch drehte vorwärts. Der Draht kam Emil immer entgegen. "Emil, von unten auflegen!" schrie Wilhelm:" Oder betätige die Umsteuerung!" Die Brücke schrie beides. Die Umsteuerung hätte die Winsch rückwärts laufen lassen. Emil befolgte beide Befehle, die sich aber natürlich gegenseitig aus schlossen. Der Draht wollte wieder nicht auf den Winschenkopf. Der Offizier musste runter, um die Sache zu bereinigen. Und das alles ohne Schlepperhilfe. Emil hiess von da an nur noch :"Umsteuerungs - Emil". Ich war wieder in meiner kleinen, normalen Welt. Aber nicht lange!
Ein Feldwebel, ein so genannter "Kettenhund" und zwei Mann mit Gewehr, kamen an Bord. Ich sollte verhaftet werden. Unser Alter hörte sich das an. Es war die Rede von Wehrkraftzersetzung, Entziehung von der Musterungspflicht, vielleicht auch Fahnenflucht. Ich hatte den Käpt´n noch nie so wütend gesehen. Die Soldateska, wohl auch wegen seiner vier Ärmelstreifen, stand stramm. "Ihre Dienststelle soll mir das schriftlich mitteilen!" Der Brief kam prompt. Er enthielt eine Strafandrohung wegen Fernbleibens von der Musterung, sowie ein Datum zur Nachmusterung. Eine Aufforderung zur Musterung hatte ich aber nie erhalten. Vielleicht, weil ich weder in Bremerhaven, noch sonst irgendwo gemeldet war. Hatte mein Nachfragen nach Lebensmittelkarten in Bremerhaven den Stein ins Rollen gebracht? Bei der Nachmusterung in einer vornehmen Villa in Danzig - Oliva wurde ich erst einmal, wie man so sagt, zusammen geschissen. "Der Jahrgang wurde auch in den Zeitungen aufgerufen!" Wie sollte ich das wissen, wo ich doch so selten an Zeitungen kam. Das ganze war ein schlechtes Schauspiel. Wir waren für das Musterungskomitee alles Verbrecher, die dem Führer den Dienst verweigern wollten. Bevor sie uns nackt durch die Villa scheuchten, fiel ihnen meine blaue Marineturnhose auf. Das schien ihnen verdächtig, sie wollten genau wissen, woher ich die hatte. Die Offizierskleiderkasse in Kiel wollte ich, wegen Mutter, nicht erwähnen. Sie begnügten sich, vielleicht auch mit Respekt, mit meiner Aussage, dass Vater bei der 7. U - Boot - Flotille sei. Sie wurden etwas freundlicher zu mir. Die anderen blieben für sie Gesindel. Einige kamen auch wohl aus dem Knast, andere aus der Irrenanstalt :"Alles bloss Simulanten!" Am Ende waren wir alle k.v. - kriegsverwendungsfähig - . Ich bekam einen Wehrpass, und ein Soldbuch. Von Strafe war keine Rede mehr.

   Danzig - Oliva  (Aus "Danzig u. seine Seebäder")

Ich war der einzige, der an Bord einen Wehrpass hatte. Ich packte ihn in meinen Spind, wo er lag, bis ich in Riga eine neue Nahrungsquelle entdeckte: Das Offizierskasino! Standardmenue waren Spaghetti mit Fleischklösschen. Die Wache am Tor, lettische Wehrmachtssoldaten, wollten mich Zivilisten nicht hinein lassen. Der UvD hatte, nachdem wir eine Zigarette geraucht hatten, keine Bedenken und die Macht. Bei weiteren Besuchen nahm ich zur Überzeugung der lettischen Kameraden meinen Wehrpass mit.
Eines Tages traff ich an meinem Tisch auf einen "Raupenträger". Meine Kenntnisse über militärische Ränge endete beim Hauptmann mit zwei Sternen auf den Schulterstücken. Die, mit den geflochtenen Bändern, den "Raupen, mochten Majore, oder Oberste sein.Er druckste herum :"Gestatten Sie, das ich Sie einer Zigarette beraube?" Meine Zigaretten, die auf dem Tisch lagen, waren von einer Qualität, die er lange vermisst hatte. "Wir rauchen hier nur noch Machorka. Darf ich mich erkenntlich zeigen?" Eine Flasche französischen Beuteweins zu fünfzig Pfennig kam auf den Tisch. Er stellte sich vor :"Marseille" , und er hätte Grund, zu feiern. Ein Verwandter hatte zum Ritterkreuz Schwerter, Diamanten oder Eichenlaub bekommen. Ich weiss es nicht mehr genau. Ich feierte also in Riga die lang ersehnte Erfüllung eines Wunsches, zu den "Halsschmerzen", wie das Ritterkreuz auch genannt wurde, noch eine Verzierung zu bekommen.
Ich überliess ihm zum Abschied meine Zigaretten.

Immer was los
In Danzig - Neufahrwasser spielte Gottfried in der Gaststätte "Zur Hütte" auf einem verstimmten Klavier. Ein Koch von der "Steuben", die hier lag, feierte seine Hochzeit. Acht Tage dauerte das Fest. Jedermann war eingeladen. Es waren auffällig viele Damen aus dem Rotlichtmilieu anwesend. War das Buffet won den Massen leer geräumt worden, gab es Nachschub von der Steuben. Wir wurden von Gottfried mit dem Lieblingslied der Braut: "Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt" von Camilla Horn, dauerberieselt. Später hörte man, dass der Koch, als er wieder nüchtern war, sich hatte scheiden lassen. Als ich ihn nach dem Krieg in Bremerhaven wieder traf, war er wieder verheiratet und hatte Familie. "Heinz, erzähl´bloss nichts von meiner Eskapade in Danzig. Hier weiß keiner davon."

Sommer, Sonne und alles relativ friedlich; die Ostsee spiegelglatt und eine Luft, die die Nase umschmeichelte. 12-4 Tageswache, Mittagszeit. Ruhe im Schiff, auf dem Vordeck einige sonnenhungrige Passagierinnen. Hans, der II. :"Die würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen!" Jerzy stand am Ruder, wir dösen vor uns hin: Hans auf der Steuerbordnock, ich auf Backbord. Nock ist das, was Landratten einen Balkon nennen würden. Plötzlich, hundert Meter vor uns ein Fischkutter im toten Winkel des Vorschiffs, man sah ihn nur seitlich von der Nock aus! Ich in die Brücke, schrie :"Jerzy! Hart Backbord!" Jerzy guckte mich verdutzt an. Ich griff ins Ruder. Wann reagierte der Kahn? Endlich! Der II., die Ruhe selbst :"Jetzt wieder hart Steuerbord, sonst erwischen wir ihn mit dem Arsch." Das war gerade noch mal gut gegangen. Der II. :"Wieso die Aufregung? Der ist aus Holz, wir sind aus Eisen." Der abrupte Kurswechsel hatte den Alten im Mittagsschlaf gestört. "Was war los?" "Ach, da ist uns bloss einer in die Quere gekommen." Für die Sonnenanbeter war es eine spannende Abwechslung.

Es war immer irgendwas los. Auf Revierfahrt, den langen Törn von Riga die Daugav hinunter, sollte der Lotse mal verwöhnt werden. Im Krieg ging das am besten mit Schnaps. Der lettische Lotse liess sich nicht lange bitten. Der Alte öffnete seinen "Giftschrank". Ich stand am Ruder und bekam auch mein Glas. Jerzy musste aus der Kombüse Brot holen. Der Lotse wollte, wie im Osten üblich, seinen Schnaps nur in Verbindung mit etwas zu essen trinken. Hein Bremer hätte gesagt :"Das is hier Usus." Der Krieg war "Usus". Der Alkohol war "Usus".
Die "Stoffbeschaffung" kostete immer viel Energie. In Riga bekamen wir einmal eine seltene Ladung: hochprozentigen, russischen Wodka in kleinen, ca. Halbliterflaschen; wahrscheinlich Beuteware. Mein Ladungsoffizier war Hans :"Lös´mal einen der Letten an der Winsch ab. Er soll mal Pause machen. Das war der Hinweis für meinen Einsatz. Es dauerte nicht lange, und - Ach, wie ungeschickt! -  setzte ich einen Hief auf die Lukenkante. Das ging nicht ohne Bruch ab. Der zweite Lette an der Winsch grinste. Der Ladungsoffizier tat seine Pflicht und registrierte den Schaden. "Ist ja versichert." Die beiden Letten, die Gesichter strahlten, bekamen eine Flasche. Ich stopfte mir noch vorsorglich in jeden Gummistiefel eine Flasche. Die Korken waren keine, sondern kriegsbedingt Pappstopfen. Bald stand ich mit einem Fuß in Wodka. Ich rettete so viel wie möglich davon, indem ich auch meine Wollsocke auswrang. In Danzig verschwand er dann unter grossen Hallo im "Pot of Pi".
Wir hatten Werftzeit in Riga. Alle Ritzen wurden verstopft. Tod den Kakerlaken! Wir schliefen im Hotel. Allgemeine Meinung: Gute Gelegenheit, mal wieder ins Kino zu gehen. Ich hatte ewig keinen Film mehr gesehen. Es lief irgendetwas mit Heinz Rühmann. Ich, was Wunder, schlief ein. Rühmann sang :"Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern,..."

Was mich Seemann erschüttern konnte, war der Gedanke an den Zahnarzt.
 Ein Zahn machte mir Ärger. Vor Beginn meiner Lehrzeit hatte ich zum Zahnarzt gemusst. Ich hatte panische Angst. Der junge Anfänger hatte es nach etlichen Klimmzügen auf gegeben, mir einen Backenzahn zu ziehen. "Wir machen eine Wurzelbehandlung." Dieser Zahn meldete sich jetzt wieder. Es war gar nicht so leicht, in Danzig einen Arzt zu finden. Die meisten waren an der Front, zur Versorgung der Soldaten. Ich fand mich in einem "plüschigem" Wartezimmer wieder, die Wände voller Urkunden. Der Zahnarzt war im vorigen Jahrhundert ein grosser Sportler gewesen. Er musste so um die Achtzig sein. Dass ich der einzige Patient war, verstärkte mein mulmiges Gefühl noch. "Bitte sehr!" Ein kleines Männchen bat mich auf einen mittelalterlichen Folterstuhl. Ich dachte an die Klimmzüge. Ob mit, oder ohne Betäubung, ich weiß es nicht, zack! war der Zahn  raus. Mit noch weichen Knien, aber erleichtert kam ich zurück aufs Schiff.

Die nächtlichen, sommerlichen Wachen waren immer ein Erlebnis. Hans war einer meiner grossen Lehrmeister. Ich erfuhr viel über den Sternenhimmel. Spannend war auch die Seekarte, die flach auf dem Tisch liegt, während die Erde rund ist. Mit dem Funkpeiler konnte man fremde Musik empfangen. Einen Funker gab es nicht an Bord. Wozu auch, es durfte sowieso nicht gefunkt werden. Jerzy hatte an all dem überhaupt kein Interesse. Andauernd gab es Schwierigkeiten durch den Ausfall der Landfeuer oder durch Fliegeralarm, obwohl kein Flugzeug auftauchte.
Mein Vater drängte. Er hatte das Geld für die Steuermannsschule liegen. Sie lag ganz in der Nähe, in Gotenhafen, dem polnischen Gdynia. Der II. meinte, ich solle bis nach dem Krieg warten. Den Satz: "Weihnachten ist der Krieg aus", hörte man immer seltener.
Wir bekamen vom Krieg selbst nicht viel mit. Doch er musste irgendwo stattfinden. Wir holten wieder Verwundete aus Riga.Dort wurden auch riesige Mengen an Kriegsbeute ein geschifft. Wir lachten über Geschütze mit Ackerwagenrädern. Kannten wir doch die modernen gummibereiften Geschütze. Man klärte uns darüber auf, dass die hohen, breiten Ackerwagenräder im russischen Matsch besser geeignet waren.
Gefangene maschierten im Hafen, zu verschiedenen Arbeitseinsätzen vorbei. Sie sprachen nicht russisch, sondern deutsch. Was das für Leute waren, darüber machte sich keiner Gedanken.


Im Konvoi
Gedanken machte sich aber die oberste Heeresleitung. Vom Krieg war nichts zu sehen, aber wir mussten im Konvoi fahren. Die Wache wurde durch einen III. Offizier verstärkt. Der Alte kam nicht mehr von der Brücke. Der II. saß nicht mehr, um "ein Stück mit zu fahren", auf der Flaggenkiste. Es gab eine grosse Debatte darüber, wie nahe die Schiffe sich im Geleit kommen dürften, ohne in den Sog zu geraten.
Das Lampenmorsealphabet musste aufgefrischt werden. Die Geleitschutzsicherungsboote, ehemalige Fischdampfer und KFK - Kriegsfischkutter - hatten es sehr wichtig mit ihrer Morserei. Kommandant an Kommandant :"Brake, schliessen Sie auf !", oder :"Fallen Sie zurück !" durch das Sprachrohr an Maschine :"Zwei Umdrehungen mehr, zwei Umdrehungen weniger."
Die ganze Morserei musste, obwohl sie nicht immer uns betraf, natürlich immer mit gelesen werden. Wir wussten ja nie, wann eine Nachricht für uns dabei war. So hörten wir auch die internen Informationen. Bei schwerer See einmal :"Unsere Wasserbomben haben sich los gerissen. Man konnte sich vorstellen, dass es für die Besatzung kein Vergnügen war, Die losen Dinger an Deck zu haben.
Obwohl für uns die Navigation entfiel, wir mussten nur hinter her trotteln, bestand der Alte aufs Kursabstecken. "Was ist," so seine Überlegung,"wenn sich bei einem Angriff der Konvoi auflöst? Ich will dann den richtigen Kurs haben - Der Seemann an Bord, das bin ich!" Es wurde auch darüber diskutiert, welches die beste Position im Konvoi wäre. Eine Aussenposition wäre bequemer und sicherer. Man hätte nur Einen an der Seite, und könnte bei einem Fliegerangriff ausscheren. Andererseits wäre man bei einem U-Bootangriff am gefährdesten.
Da wir Riga direkt anliefen, die Zwischenhäfen ausliessen, konnten wir auf Freiwache endlich mal wieder durchschlafen. Einige vermissten in Pillau die Pause, um in der "Ilskefalle", der Kneipe an der Abfertigungshalle ein schnelles Bierrunter zu kippen.
          Irgendwann schien sich die Lage beruhigt zu haben. Es kam ein Befehl der obersten Heeresleitung. Wir fuhren wieder solo, ohne Konvoi. Die Gefahr schien gebannt. Täglich leierte der Wehrmachtsbericht :"Leningrad ist eingeschlossen, unsere tapferen Truppen stehen vor Moskau." "Vielleicht sind wir doch Weihnachten wieder zu Hause. Und in St. Martha sind die Bananen schon überreif. Die Mädchen dort warten wohl auch schon sehnsüchtig auf ihre Flasche "Koibri". "Kolibri" war die große, billige Flasche Parfum vom Zollfreilager. Sie garantierte in vielen Häfen "Eine Nacht voller Seligkeit".
Das Leben ging wieder seinen gewohnten Gang. Wir gondelten über die Dörfer - Pillau, Memel, Libau - Endstation: Riga. In Danzig wurde der "Pott off Pi" trotz Versorgungsschwierigkeiten weiterhin gefüllt, und wir streiften wieder durchs Nachtleben. "Cafe´ Langfuhr" in der Adolf-Hitler-Gasse war jetzt fest in Marinehand und musste ausgelassen werden. Wir Zivilisten hatten keine Chance. Die Damen standen auf Uniform, aber nur von der Marine. Es half auch kein Ritterkreuz.


Seifenstein
Ein Wort geisterte durch das Schiff :"Seifenstein". Ich wusste nicht, was das war, und wofür man ihn verwendet. Durch fragen erfuhr ich, dass man für diesen "Pfennigartikel", der in Danziger Apotheken und Drogerien gekauft wurde, in Lettland hohe Preise erzielen konnte. Aber warum? Aus Seifenstein und viel Fett wurde Seife hergestellt. Brauchte man in Lettland soviel Seife? Es ging das Gerücht um, es fände Verwendung bei der Herstellung von Sprengstoff. Wie war das im letzten Krieg mit dem Salpeter aus Südamerika? Was vorher Dünger war, wurde ein Rohstoff für Sprengstoff. Das führte zum Untergang vieler Clipper. Die Engländer versenkten jeden, den sie erwischten. Einige davon hatte mein Grossvater noch auf der Geestemünder Tecklenborgwerft mit gebaut. Jeder, auch die Mittschiffsleute handelten damit. Aber alles lief unter einem geheimnisvollen :"Nicht darüber reden!" Das sah ganz nach verbotenem Tun aus. Ich spannte für den Einkauf meine "Pisspottkameraden" ein. Auch sie :"Wofür wird das gebraucht ?" Sie grasten, während ich auf See war, Danzig und Umgebung ab. Man fragte verschämt immer nur nach einem Kilo in Drogerien und Apotheken, Mehr zu verlangen, wagte man nicht, um Fragen nach dem Verwendunszweck aus dem Weg zu gehen. Kriegswichtig schien Seifenstein für Deutschland nicht zu sein. Er war nicht rationiert. Die Händler müssen über die grosse Nachfrage verwundert gewesen sein. Wir waren nicht das einzige "Schmuggelschiff" auf der Rigatour. Bald wurde der Stoff, wie alles, kriegsbedingt knapp. Andererseits sah ich in Riga, während ich nur Kilomengen hatte, wie ein 50-Kilo-Kanister auf der Wasserseite in ein Ruderboot abgeseilt wurde.
Seifenstein wurde in Plättchenform verkauft. Er war ätzend. Unterm Fingernagel sitzend, wie geschehen, frass es den halben Finger weg. Der Lette im Ruderboot kontrollierte die Ware mit der Zungenspitze und spülte mit Hafenwasser nach.
Das ungute Gefühl bei unserem Handel wurde durch die Art der Bezahlung verstärkt. In Lettland wurde nicht mit Reichsmark bezahlt. Man bekam Reichskreditkassenscheine, das Besatzungsgeld für die besetzten Ostgebiete.
Wir lebten im wahrsten Sinne des Wortes, wie die Made im Speck. Seifenstein im Tausch gegen Butter und Speck. Lettische Schweine hatten reichlich dicken, fetten Speck. Maden wurden mit geliefert. Nach acht Tagen lief der Speck von alleine. In welchem Zustand hat er wohl, von treusorgenden Familienvätern nach Hause geschickt, die Heimat erreicht? Mit steigenden Umsätzen lieferten wir nur noch gegen Bares, und kauften in der Rigaer Markthalle nach Bedarf ein.

    Rigaer Markthalle (Aus: "Nordsee Zeitung")


Die Markthalle, ein imposanter Bau, quoll über vor landwirtschaftlichen Produkten. 1942 im deutschen Reich schon ein unbekannter Anblick. Riesige Klötze Butter luden ein zum probieren. Sachkundige Hausfrauen schabten mit dem Daumennagel Proben ab. Wir taten es ihnen nach und waren bald satt.
Auch in Danzig konnte man das Besatzungsgeld stellenweise los werden. Ich versuchte es in der Strassenbahnlinie 8 von Danzig - Neufahrwasser mit kleinen Scheinen. 
Die Schaffner der letzten nächtlichen Bahn kannten uns alle. Sie bekamen fürs Wecken in Neufahrwasser immer ein paar Zigaretten. Einer der Schaffner war ein ganz lustiger, aber er machte gefährliche Scherze. Eine Haltestelle hiess "Schichau - Kolonie". Es war das Wohngebiet der Schichauwerftarbeiter. Bei Ansage der Haltestelle konnte er sich folgenden Kommentar nicht verkneifen :"Der Führer freut sich, hat er doch Danzig wieder und eine Kolonie dazu."

                     Innenansicht einer Danziger Straßenbahn, ca. 1929
                     (Aus "Einst in Danzig")


Holzgasse 29
Mit dem ersten der fremden 100 Markscheine bezahlte ich in der "Alhambra - Bar" problemlos meine Likörchen. Ich kannte die urige Bar in einem Kellergewölbe eines der mittelalterlichen Häuschen der Brotbänkengasse von meinen Streifzügen. Als Wechselgeld bekam ich "echtes" Geld. Was ich sonst noch mit den Scheinen anfangen könnte, wusste ich nicht, aber mit diesem Verwendungszweck war ich zufrieden. Ich hielt die Quelle meines "Reichtums" geheim, nannte die Strasse "Geldbänkengasse" und wurde gern gesehener Stammgast in der "Alhambra". So war das Geld "Wie gewonnen, so zerronnen". Ich war froh, es los zu werden, hatte ich doch ein schlechtes Gewissen. Die Gaststätte wurde für mich ein neuer Anlaufpunkt, da die Pisspottbande sich langsam auflöste. Gottfrieds Bruder, der Assistenzarzt wurde wieder an der Ostfront gebraucht. Seinen "Kommissarstern", den er immer im Portemonnaie hatte, wird er wohl nicht mit genommen haben. Er hatte erzählt, es hätte einen Kommissarbefehl gegeben. Das hiess, dass alle russischen Offiziere, die Politkommissare waren, bei Gefangennahme sofort erschossen werden sollten. Deutschen Soldaten, die den Russen in die Hände fielen und einen Kommissarstern als Trophäe bei sich hatten, blühte das gleiche. Johannes hatte ihn im Lazarett einem toten Russen abgenommen.
Marianne, die Bardame, schmiss den ganzen Laden. Der Chef hatte nichts zu sagen. Marianne war eine ehemalige Klosterschülerin. Ihr Wahlspruch war :"Gott sprach, es werde Licht,doch "Scheisse!" es funktionierte nicht. Sie hatte sowieso die halbe Bibel drauf und nahm es mit der ganzen nicht so genau. Die Musik, drei Mann, waren auf der Höhe der Zeit :"Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei und im Dezember gibt´s auf Abschnitt B wieder ein Ei!" Sie unterlegten jedes Stück mit eigenem Text, der, den Damen ins Ohr gesungen, diese aufjauchsen liessen. Nach dem Rausschmeißer :"Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, bleib´nicht so lange fort, nachher wird´s nochmal so schön...," wurde es in kleinem Kreis, wie besungen "Nochmal so schön".
Fast regelmässig verpasste ich die letzte Bahn. Ich pennte, ewig müde, im Bahnhof oder wegen Verhaftungsgefahr im Park auf einer Bank. Als Marianne davon hörte, es war wieder spät geworden, hatte sie als Christenmensch Mitleid :"Komm´ mit, aber nur !" "Ja, ja!" Todmüde dachte ich sowieso nur ans Schlafen. Marianne :"Versprich´es mir !" "Was? Ja, ja!" Marianne abschliessend :" Wegen der Zimmerwirtin musst du ganz leise sein und im Zimmer wird nicht geraucht!"
Ich war zufrieden, und Marianne, nach dem guten Frühstück zu urteilen, wohl auch. Die letzte Bahn zu verpassen wurde zur Gewohnheit.
Sie wohnte in der Holzgasse 29. Als Drachenfutter für ihre Wirtin musste ich immer ein Fläschchen mit bringen. Ich erfuhr erst vor wenigen Jahren, dass es gar nicht ihre Wirtin, sondern ihre Mutter gewesen war.Ich bin ihr nicht böse. Jeder versuchte damals über die Runden zu kommen.
Mariannes Freundin arbeitete in der "kriegwichtigen" Schokoladenproduktion. Sie wurde nur das "Schokoladenmädchen" genannt. Schokolade, sonst nicht zu bekommen, hatten wir in Hülle und Fülle. "Geniesse den Krieg, der Frieden wird schrecklich". Hans, mit dem ich  inzwischen privat per "Du" war wunderte sich über meinen Schokoladenreichtum. Auf nächtlicher Wache gab ich mein Geheimnis preis. Ich nahm Hans mit ins "Alhambra". Er fand das Schokoladenmädchen nett und lernte, weil es auf Gegenseitigkeit beruhte, die Holzgasse kennen. Zu viert machten Schnaps und Schokolade und Beisammensein noch mal so viel Spaß. In Zukunft beteiligten wir uns mit manch einem Fläschchen an den Mietkosten. Die Wirtin könnte so schlafen, trotz der Störung und hätte keine kalten Füsse mehr berichtete Marianne.


  
                             St. Katharinen

                 


Nächste Verhaftung
Uns ging´s gut. Doch als der Bootsmann eines Tages zu mir sagte :"Sollst zum Alten in den Salon kommen. Was hast du denn schon wieder verbrochen?" und ich kurz darauf vor ein paar Militärs stand, packte mich das schlechte Gewissen. Das konnte nur der Seifenstein sein. Der Alte :"Wo ist dein Wehrpass ?" "Im Spind!" Was hatte der Wehrpass mit dem Seifenstein zu tun?" "Hol´ ihn und fahr´ mit den Leuten!" Es ging wieder zur Villa nach Danzig - Oliva.
Ich saß auf einem Stuhl in der Mitte eines großen Zimmers. Aus allen vier Ecken kamen immer die gleichen Fragen. Alle drehten sich um den Wehrpass ; nichts mit Seifenstein.
"War der Wehrpass im Ausland?" "Ja." "Wer hat ihn gesehen oder in der Hand gehabt?" "Keiner ausser mir." Das mit dem Kasinobesuch in Riga verschwieg ich lieber. Immer wieder die gleichen Fragen. "Ist das ein Kreuzverhör?" Ich konnte ihnen nicht mehr sagen, ich wusste nichts. ich saß da, wie blöd. Sie gaben schliesslich auf und fuhren mich zurück. Warum ich verhört worden war, erfuhr ich nie. Im Krieg passiert allerhand Seltsames.
Hermann, unser Bootsmann konnte seinen Lieblingsspruch los werden :"All´ deine Leiden trage mit Geduld. Wer zur See fährt, der ist selber schuld!"
                          (Aus: "Danzig u. seine Seebäder")

Frauen an Bord
Unsere beiden Mädchen hatten einen Wunsch. Sie wollten uns mal an Bord besuchen. Das Problem war, es war nicht erlaubt. Hans hatte die Lösung. "Nächste Woche fährt der Alte in Urlaub. Didi, der I. hat Besuch von seiner Frau, und sie wollen ins Binnenland fahren. Wir nehmen die Bude vom Alten. Hoch oben auf dem Bootsdeck hinter der Brücke hört uns niemand und wir stören keinen."
Der grosse Tag kam. Wir schauten dem Alten nach, wie auf der Kaje Richtung Heimat maschierte, um sicher zu gehen, dass er auch wirklich weg war.
Wir bereiteten alles vor. Die notwendigen Fläschchen wurden besorgt, die Privatsachen vom Alten versteckt und die Bude mit Signalflaggen geschmückt. Mein Koffergrammophon kam endlich einmal wieder zu Ehren. Ich hatte deutsche und auch englische alte Platten. Viele klangen sehr wellig. Sie hatten einmal in der Sonne gelegen. Eine Platte passte zum Wunsch unserer Mädchen, einmal an Bord zu übernachten :"So ein Traum erfüllt sich schnell, eventuell...". Auf diese Melodie gab es auch einen Text der Alhambramusiker. Bei ihnen gab es kein Lied mit Originaltext.

                            "Bei uns zu Haus´auf dem Balkon,
                             da steht ein alter Pappkarton.
                             Da wohnt Frida, unser Hühnchen,
                             und neben an schläft Maxe, das Kaninchen.
                             Eines Nachts, da war´s passiert,
                             da hat der Max das Huhn verführt.
                             Nun stell´ dir einmal vor,
                             ein Hühnchen mit Kaninchenohr!"


Jetzt konnten wir die Damen von der Straßenbahn abholen. Um sie möglichst unauffällig an Bord und auf die Brücke zu lotsen, täuschten wir eine Schiffsbesichtigung vor. Alles ging glatt. Wir freuten uns. Was noch folgen sollte, ahnten wir nicht.
Hans hatte - "Frag´nie, woher" - was gutes zu Essen besorgt. Auch die Damen hatten Vorsorge getroffen. Neben "Flüssigkeiten" gab es echte "Metka", fette Mettwurst, die ihre polnische Herkunft nicht verleugnen konnte.
Das Schokoladenmädchen wollte auch heute nicht mit ihrem Namen raus rücken. Nach dem Motto des Liedes :"Du kannst mich lieben für drei tolle Tage, nur nach meinem Namen frage bitte nicht !" "Nennt mich Heidi", sagte sie. Später erfuhr ich von Marianne, dass sie sich ihres polnischen Namens und ihrer polnischen Herkunft schämte.
Es wurde lustig und lustiger. Wir hatten viel Spaß. Wir tranken, aßen und sangen die Lieder mit. Doch dann kam das abrupte Ende. Wir erschraken mordsmässig. Es gab Geräusche nebenan im Kartenhaus, die Tür wurde aufgestossen, und im Raum stand schwankend der Alte, Scheissendick! Er starrte uns verwundert an, und wir starrten zurück. Wo kam er jetzt her? Er müsste längst im Zug Richtung Heimat sitzen. Unser Kapitän lallte :"Wusste garnicht, dass ich Besuch habe. Nette Damen!" Hans bedeutete mir in Zeichensprache :"Schenk´ihm einen ein." Ein Doppelter reichte. Bald schnarchte er glückselig. Wir beseitigten alle Spuren genau. Die Damen hatten Spaß an der Situation, wir weniger. Der alte Spruch :"Alles, was nicht über die Reling pinkeln kann, gehört nicht auf ein Schiff !" hatte schon seine Berechtigung.
Am nächsten Tag ging ich dem Alten aus dem Weg. Hans hatte eine beruhigende Nachricht :" Er weiß nicht mehr viel von gestern." Glück gehabt! Ich musste das Gepäck
vom Alten von einem Schiff in der Nähe holen. Dort hatte er etwas zu ausgiebig mit seinem Freund Wilhelm Abschied gefeiert, und den Zug verpasst. Damit war das Rätsel seines plötzlichen Erscheinens gelöst. Ich brachte ihm das Gepäck an den Bahnhof und holte gleichzeitig den eingetroffenen Ersatzkapitän ab. Er war auch alter "Unionsfahrer" und allen an Bord, ausser mir bekannt.
                                    Frauengasse, Dresden
Der Herbst zog ins Land. Keiner hatte mehr Hoffnung auf ein Kriegsende zu Weihnachten. Der Alte schien kaum noch dem Beruhigungsmittel unserer Zeit, dem Alkohol zu zusprechen. Kommentar Hans :"Die saufen heimlich unheimlich." Der Schlachtruf der "Union" war damals :
                                                      "Schwarzes "U" am Schornstein,
                                                       himmelhoher Brand,
                                                       Unionpiraten werden wir genannt!"

Auch die Besatzungen der Bremerhavener  Bugsierreederei Schuchmann benutzten diesen Spruch, allerdings besangen sie ihr schwarzes "S" am Schornstein. Piraten, das passte auch besser zu Schuchmann. Neben seinen Bergungsschleppern, "Seefalke" und anderen hatte er noch eine "Never come back" Linie. Von denen man glauben konnte, das Schuchmann sie vom Grund des Meeres hatte.Es waren schrottreife Seelenverkäufer, die wohl mehr Beton, als Ladung schleppen mussten. Der Beton diente zum Abdichten der Lecks. Wenn bei schlechtem Wetter das Schiff arbeitete, knallten die Nieten raus. Die Lecks wurden dann mit einer Speckseite abgedichtet. Davor wurde zwischen den Spannten ein Holzkasten verkeilt und mit Beton verfüllt. Ein ehemaliger Schuchmannfahrer meinte mal, dass er sich zuerst gewundert hatte, wofür so viel Zement an Bord kam.


                                          Artushof, Dresden

 
                                  
Wir gondelten weiter unsere gewohnte Tour :Pillau - Memel - Libau - Riga.
Wilhelm, mein Partner an der Spring, ärgerte sich beim Festmachen in den Häfen über unseren neuen Käpt´n. "Der soll doch sein Maul halten!"
Nachts auf Wache, in der Eisamkeit der Ostsee merkten wir nichts vom Krieg, nichts von der aufgeregten Zeit. Jerzy am Ruder hatte keine anderen Interessen ausser dem, wann der Krieg endlich zu Ende sei. Er sehnte sich nach Polen zurück. Hans drückte auf die Morselampe. Im Lichtkegel über der Brückennock sahen wir den ersten Schnee. Er fiel fast waagerecht und nahm uns jegliche Voraussicht. Auf der Brücke bemerkte man durch die Windabweiser nichts davon. Mit dem Schiff blind durch die Ostsee. Danke an den Kompass. Sein sanftes Licht hatte etwas beruhigendes.
Einen Kompass für die Fahrt durchs Leben, durchs Weltgeschehen gab es leider nicht. Hätte es in Danzig nicht die "Alhambra" und Marianne gegeben,  wäre ich recht einsam gewesen. Gottfried büffelte für den Steuermann, sein Bruder flickte deutsche Soldaten an der Ostfront zusammen. Der "Pisspott" wurde weiter benutzt, aber es waren neue Leute. Drei, vier - ein Lied :"Es geht alles vorüber,....!".
Meinen ersten Fliegerarlarm in Danzig erlebte ich im tiefen, sicheren Gewölbe der "Alhambra - Bar". Marianne steckte mir eine Flasche Likör in die Brusttasche meines Mantels. Getränkt wurde dann nicht ich, sondern, weil die Flasche keinen Korken hatte, mein Mantel. Später machten sich in meiner Bude dann die Kakerlaken darüber her.

                         Staatstheater, Danzig



Danzig und Umgebung schienen mittlerweile seifensteinfrei. Alle Lettlandfahrer hatten damit gehandelt. Aber Marianne hatte ihre Beziehungen. "Wenn du denkst, es gibt nichts mehr, kommt von irgendwo Seifenstein her !" Ihr Originalspruch war :"Wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein arschtritt her !" Marianne war bibelfest.
In Riga gab es noch immer Berge von Butter und Speck in der Markthalle. Im Offizierskasino immer noch Nudeln mit Fleischklösschen.
Ein Zirkus war in der Stadt. Ich sah zum ersten Mal einen Weißclown. Wenn alle lachten, lachte ich mit. Ich verstand ja kein Lettisch.
Unser alter Käpt´n fehlte mir, und nicht nur mir an allen Ecken und Kanten. Sechs Wochen Urlaub waren vorgesehen. Weihnachten sollten wir ihn wieder haben. Doch erst mal bekamen wir wieder einen neuen Ersatzkapitän. Wieder von der "Union". Ich war wieder Fremdkörper, da mir der Unionsstallgeruch fehlte. Ich hätte verzweifeln können, wenn Hans nicht gewesen wäre. Die Alhambra wurde für uns tabu. Die neue Mittschiffsgang hatte sich in unserer Hausbar fest gesetzt. Hans und mir blieb als Anlaufstelle nur die "Holzgasse 29". Durch Marianne hatten wir ein Ohr an unserer obersten Schiffsführung, interessant und lustig.

                                  
                                       St. Marien, Danzig