Samstag, 13. Juli 2013

Noch immer Bella Italia

Dieses und Jenes

 

Ein Erlebnis in Palermo

Ich sollte einem Kollegen helfen, den guten Freilagertabak -Blackstar- in holländischer Güte, am Körper versteckt an Land bringen.
Wir beide gingen, den Tabak unter der Jacke verstaut, an Land. Nach einigen hundert Metern, noch an der Pier, kommt uns einer vom Zoll entgegen. Mein Herz, sprichwörtlich in der Hose, Angst machte sich breit, ich wollte zurück. "Bleib!" Sagte meine Kumpel. "Auf den warten wir doch!"
Ich hatte kein Unrechtsbewusstsein, aber in Zukunft weniger Respekt vor der Obrigkeit.

Wieder in Venedig


Als wir wieder einmal Venedig ansteuerten wurde ein hoher Besuch gemeldet. Robert Ley, der Chef persönlich wollte mal nach dem Rechten sehen. Schwerarbeit für die Deckscrew. Es hieß erneut: "Pönen mit allen Pinseln".
Seewasser soll gesund sein, ein Schiff jedoch leidet. Rost, Algen, auch Pocken, Seepocken, die aber nicht ansteckend, jedoch schwer loszuwerden sind. Mit welcher Seite gehen wir an die Pier? Steuerbord! Die ganze Pinselaktion nur an der Steuerbordseite. All Hands on deck. Farbe Außenbords!
Läßt man beim englischen "paint" das t weg kommt man zu "pain" auf deutsch: Schmerz. Den hatte der Bootsmann mit unserem alten Kahn, den er so kurz vor Venedig zumindest an einer Seite, der Land zugewandten, auf Hochglanz bringen lassen mußte.

Der Kabelgattsteward, der aber kein Steward ist, sondern ein Matrose, hatte alle Hände voll zu tun. Er, der das Kabelgatt unter sich hatte, musste für den Nachschub an Farbe und sonstiges Gedöns für die Verschönerung sorgen.
Ich merke an: Ein Kabelgatt ist das, was man an Land ein Lager nennen würde. Neben dieser Funktion hatte er noch eine besondere Aufgabe. Er war an Bord das, was man an Land einen "politischen Kreisleiter" nennen würde. Für diesen Zweck hatte er eine schöne braune Uniform, die er bei besonderen Anlässen gegen seine Matrosenkluft eintauschte. Was immer ein Anlass war, sich zu besaufen. Anders kannten wir ihn nicht.
Beim Besuch von Robert Ley musste er sowieso den Saufkumpanen spielen. Öfters ging er auch uniformgeschmückt an Land. Er besuchte dann seine Kollegen von der  italienischen Fakultät, die Faschisten. Öfter auch den "Verein der Auslandsdeutschen" die seltsamerweise die größten Bewunderer von Adolf Hitler waren. Ein Spruch unter Seeleuten: "Gott schütze uns vor Sturm und Wind und allen Deutschen, die im Ausland sind."
Wir nahmen unseren Kabelgattsteward in seiner braunen Eigenschaft nicht ernst. Man hatte aber ein gesundes Misstrauen. In seiner Gegenwart wurde das Schweigen immer lauter. Ich begriff das alles erst viel später.

Jedenfalls strahlte unser alter Kahn, wenn auch nur einseitig, dem hohen Besuch entgegen.

Ein Bootsmann flucht immer, meistens unbegründet. Diesmal zurecht.
Hatten doch die da oben, die gottähnlichen auf der Brücke sich jetzt entschlossen, anstatt mit der Steuerbordseite, mit der Backbordseite anzulegen. Unsere schön aufgefrischte Steuerbordseite sah Robert Ley nun gar nicht.

Mit Robert Ley an Bord, kam immer Hektik auf. Alles zum Zahlmeisterbüro. Lange Schlange mit Fragezeichen. Gibt es von Robert Biermarken, oder vielleicht einen Orden für tapfere "Kraft-durch-Freude- Fahrer". Nichts dergleichen. Mit einer Unterschrift wurden wir Mitglieder der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront". Ein Mitgliedsbuch mit einem Zahnrad, wohl ein Zeichen für Arbeit, gab es dazu, aber keine Biermarken. Jetzt konnte Robert Ley wohl Vollzug an den Führer melden: "Die Mannschaft vom KDF Schiff "Der Deutsche" trat geschlossen der Arbeitsfront bei." Folgen hatte das keine. Es geriet in Vergessenheit. Sogar bei der Entnazifizierung durch die Engländer 1945 in Hamburg habe ich nicht daran gedacht, dass zu erwähnen. Auch das hatte keine Folgen.

Die Hälfte der Wintersaison mit "Kraft durch Freude" in Italien 1938/39 lag hinter uns. Das Weihnachtsfest 1938 nahte. Der billige Chianti in den Korbflaschen gehörte der Vergangenheit an. Die meisten kehrten zum Urgetränk der Deutschen, dem Bier zurück, es sei denn, man kannte die besseren Weine. Ich denke an den "La Crima Christi", den Wein von den Hängen des Vesuvs. Oder die feinen Liköre. Bananen, Apfelsinen und so weiter. Hier waren die Italiener Weltmeister. Beliebt war der Absinth mit dem Wermutzweig in der Flasche.
Hans G. einer von uns Jungs, ein Tiroler, sammelte die leeren Flaschen, um an den verzuckerten Wermutzweig zu kommen. Süßes Gift, er war voll Alkohol. Hans wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Wir sahen ihn nie wieder. Er fühlte sich in seiner Heimat, den Bergen in Tirol wohl besser aufgehoben, als bei der christlichen Seefahrt.

Bei den Heizern in der Maschine gab es, wie bei uns an Deck, die Heizerjungs. Sie begannen ihre Laufbahn zum Heizer, zum Oberheizer als Kohlenzieher. Ihre Aufgabe: Kohlen aus den Bunkern mit Schiebkarren schnell zum Heizraum, zu den Heizern zu bringen. Eine elende Plackerei, besonders in den Tropen. Bei diesen Jungen gab es einen blonden, einen semmelblonden, wenn der aus dem Heizraum kam, sah man nicht viel davon. Aber an Land gab es immer einen kleinen Aufruhr. Die italienische Weiblichkeit war verrückt danach seine Haare zu streicheln. Vielfach nur die alten, dicken Mammis. Es hieß aber: "Er hat Schlag bei den Weibern!" Hoffentlich auch bei den Jüngeren. Dieses Erlebnis beschränkte sich im Wesentlichen auf Süditalien.
Im Norden gab es ebenfalls etliche Blonde, auch Rothaarige Italiener. Sie sind, wie wir in der Schule lernten, ein Überbleibsel der Goten, der nordischen Rasse der Germanen.

Das Grab in Busento:
                                                       "...ziehen die Schatten
                                                        Tapferer Goten
                                                        Die den Alerich beweinen
                                                        Ihres Volkes besten Toten..."

Das war die Weisheit meiner Schulzeit.
                                                     
                                                        Völker sterben,
                                                        Sippen sterben.
                                                        Du selbst stirbst wie sie.
                                                        Nur eins bleibt ewig
                                                        Der Toten Taten Ruhm.

Die "Edda" war die Bibel der neuen Zeit.

Von "Goethe", der auch ein Italienreisender war, erfuhr ich erst hier in Italien von einer italienischen Familie. Ich hatte inzwischen eine Freundin und damit Familienanschluss. Dazu später mehr.

Die seemännische Ausbildung ging schon über ins Pauken. Kompass, auch schon mal durch den Sechstanten gucken, ein ewiger Spruch für angehende Kapitäne: Der kürzeste Weg auf der Erde (und natürlich auch auf dem Wasser) ist der Bogen, des durch ihn gelegten Kreises.
Nichts mit Geradeausfahren und auch nichts mit Bergauffahrt oder Abwärtsfahrt bei Kurs Süd oder Nord.

Das obligatorische Bootsmanöver, das am ersten Tag nach Auslaufen, mit allen Passagieren stattfand, war auch zur Routine verkommen. Ich drückte mich, wenn möglich, um das "Vergnügen", dem Volk beim Anlegen der Schwimmwesten behilflich zu sein. Manche hatten noch immer, besonders bei den weiblichen Passagieren ihre Freude daran. Das für den Ernstfall hoffentlich niemals zu erlebende Ereignis, war für die Passagiere immer eine Gaudi. Vom Reiseleiter über Lautsprecher mit anfeuernden Rufen wurde jedes Mal ein neuer Schnelligkeitsrekord aufgestellt. Man konnte es schon nicht mehr hören.

Weihnachtsurlaub stand vor der Tür. Von Venedig, mit Sonderzug der Reichsbahn Richtung Heimat, Endstation Bremerhaven. Bis auf eine Stallwache sollte die ganze Mannschaft auf die Reise. Ich hätte gerne auf die Heimfahrt verzichtet und mit jemandem getauscht, auf den zu Hause eine Familie wartete. Die Familie meiner Freundin lud mich nämlich ein, zu Weihnachten ihr Gast zu sein.
Ich bin davon überzeugt, dass ich jemandem damit eine Freude bereitet hätte. Nur es gab einen nicht erklärlicher Zwang durch die Obrigkeit. Es wurde gehorcht und das nicht nur von uns Jugendlichen.
Ich wagte es nicht, meine Bitte zum Bleiben vorzutragen. Es war eine Zeit der Disziplin, oft auch falscher.
In der Familie meiner Freundin erlebte ich eine andere Welt.

Abfahrt des Weihnachtszuges von Venedig. Vom Zoll unkontrolliert ein wahrer Schmugglerzug. Körbe mit Apfelsinen, zentnerweise, Kisten mit Wein und vieles Mehr füllten jede freie Ecke. Ein süßer Duft von Apfelsinen wehte durch die Reichsbahn. Die  Schaffner meinten: Den Duft kriegen wir nie mehr raus, es wird der "Italienexpress" bleiben. Apfelsinen und manche Flasche Wein war ein extra für das Bahnpersonal. Apfelsinen mit Blättern dran, so wurden sie in Italien geerntet, war etwas Neues, kannte man zu Hause nicht und war ein Zeichen, dass Apfelsinen auf Bäumen wachsen. In den Abteilen stieg die Fröhlichkeit mit der Anzahl der leeren  Flaschen.

Auffällig in den Abteilen waren die Hüte. Standard, wie genormt, die italienischen so preiswerten Borsolino-Hüte. Es war die Zeit, man ging nicht ohne Hut. Nach der Strohhutzeit folgten die vornehmen "Homburger" oder man trug "Landschaftsmalerhüte" á la Herrmann Löns, dem Heidedichter. Auch die amerikanischen á la Humphrey Bogart traf man in Bremerhaven an. Man erkannte nach Jahren noch die italienischen KDF Fahrer an ihren Hüten. Wenn nicht der Stahlhelm die neue Mode wurde.

Über den Brenner, auf dieser Seiter hieß er noch Brennero, ging es in den nordischen südlichen Winter. War es nun schon ein deutscher oder ein österreichischer Winter? Die Meinungen im Abteil gingen durcheinander. Hieß doch Österreich jetzt "Ostmark" und ist so deutsch wie unser Führer Adolf Hitler. Es ist seine Heimat. Gebetsmühle in der Schule: Adolf Hitler, 20. April 1889 zu Braunau am Inn. "Eine Meinung: Braunau soll der Schlüssel der braunen Uniformen sein.
Der Name "Schicklgruber" fiel. Mit dem konnte ich nichts anfangen. Darüber war im Schulunterricht nichts gelehrt worden.. Jedenfalls hieß es: "Heil Hitler" und nicht "Heil Schicklgruber". Für mich war in diesem Land Österreich oder Ostmark im Gegensatz zu Bremerhaven nichts deutsches zu entdecken.

Innsbruck, der Zwischenstopp fürs Mittagessen im Gasthaus "Brennnoisl", deutsch Brennnessel. Aus Innsbruck ist nicht viel nennenswertes zu berichten. Die hohen Berge und im Tal ein Lokal mit einem seltsamen Namen und wunderlichen Kartoffeln, die nichts mit dem zu tun hatten, was ich als Kartoffel kannte. Es geht nichts über eine Kartoffel aus norddeutschem Boden.


Venedig von Egbert Patzig




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