Montag, 29. April 2013

Ich werde Kapitän!

 Die Lehrzeit beginnt


Von der Zeit nach der Rückkehr aus Kiel, gibt es nicht viel Gutes zu berichten. Nach den glückliche Tagen der Sommerferien in Kiel kam es ziemlich dick für mich.
Ein Badeunfall mit einer unerkannten Gehirnerschütterung, dann noch Scharlach, zu spät diagnostiziert. Ich saß apathisch in der Schule, in den Pausen in der Sonne und musste dann sechs Wochen in Quarantäne im Leher Krankenhaus. Mein Zimmer wurde ausgeräuchert, das war der Stand der Medizin.

Mit neuer Kenntnis, dass in der christlichen Seefahrt der Weg zum Kapitän auch ohne Abitur möglich sei, war die Schule abgemeldet. Es gab nicht einmal familiären Ärger. Im Gegenteil, Großvater nutzte seine Drähte, um mich bei allerlei Reedereibüros und dabei auch dem Direktor des Norddeutschen Lloyds, als Moses auf dem Weg zum Kapitän, vorzustellen.

Kontor Norddeutscher Lloyd, Lloydstraße, Bremerhaven um 1910

Moses, ist die unterste Stufe eines Seemannes bei der Seefahrt.
Es gibt noch einen Brückenmoses, das ist der, der als 4. Offizier auf der Brücke "stört".

Zunächst war die theoretische Ausbildung zu absolvieren. Ein alter im Hafen von Bremerhaven festvertäuter Frachter diente als Schulschiff "Nawitka". Ein stolzer Name, die Bedeutung wurde nie ergründet. Auch als ich das Schiff und den Namen einmal im Schiffahrtsmueum Bremerhaven erwähnte hatte noch niemand davon gehört.
Bis heute. Nach Recherche im Internet komme ich zu diesem Ergebnis:
Die "Nawitka" war ein 1919, in Texas von der National Shipbuilding, gebauter Frachter, der 1938 vom Norddeutschen Lloyd zum Ausbildungsschiff umfunktioniert wurde.
Nawitka kommt wahrscheinlich aus dem "Chenook", einer Indianersprache und bedeutet: ja, na sicher, natürlich im bejahenden Sinne.

Die "Nawitka" in Bremerhaven

Den Laderaum hatte man unter Leitung eines invaliden Kapitäns zum Lehrsaal umfunktioniert. Da wir wohl die ersten waren, die dort unterrichtet wurden, war mir die dann noch erfolgte Umbennenung in "Admiral Brommy" nicht bekannt und muss nach meiner Zeit dort gewesen sein. Bei einem Bombenangriff im Dezember 1943 wurde das Schiff zerstört.
Die Ausbildung lag in den Händen eines bissigen, aber lustigen Bootsmannes. Wir paukten alles: Sicherheitsübungen, für alle mögliche Gefahren auf See für Schiff und Mensch, Einsatz eines Dräger Sauerstoffgerätes, Feuerlöscher aller Art. Wir lernten, dass man Brände nicht mit Wasser, sondern Tetrachlorkohlenstoff löschen muss.
Auf dem Programm standen allen seemännischen Knote, einschließlich jenen, die man später niemals braucht. Sie hatten klangvolle Namen wie Webleinstek, Kreuzknoten, Palstek, lange und kurze Trompete, Weiberknoten, Türkenbund und noch mehr.
Wir übten Bootsmannöver und mussten ein Rettungsboot möglichst schnell und waagerecht ins Wasser befördern. Unsere Schulschiff hatte zu diesem Zweck noch die Technik aus der frühen Steinzeit der Seefahrt. Davits englisch Devits sind Aufhängevorrichtungen für Rettungsboote, die ich in dieser Ausführung, außer bei Museumsschiffen, nie wieder sah. Schweißtreibend, aber wichtig war es das Boot mit Muskelkraft durchs Wasser zu bewegen. Wir legten uns in die sogenannten Riemen. Auch heißt es bei den Seeleuten nicht rudern, sondern pullen, das ist das englische Wort für ziehen.



Nach bestandener Prüfung, Bootsschein genannt, meinte ein Mitstreiter, das wir jetzt Offiziersanwärter wären und heftete sich einen silbernen Stern an den Kragen. Mit dem Bootsschein und einem Seegesundheitszeugnis, einem Seefahrtsbuch, dass sogar einen weltweiten Pass ersetzte, war man berechtigt die Planken aller Schiffe, die auf den sieben Weltmeeren schifften, zu betreten und sich dem Fron eines Bootsmannes zu unterwerfen.




Alles aus "Schiffsbemannungen gestern und heute" von Paul Nagel






























































Nach Kenntnis von Recht und Gesetz, betrat ich, ich hatte das Gefühl von "entern" glaube ich, den Ostasien Liner Potsdam vom Norddeutschen Lloyd.
Das Schiff lag zur Ausrüstung am Schuppen F, beim Kühlhaus Frigus, in Bremerhaven. Ziel der Reise mit Zwischenstation Hamburg war Ostasien.
Ein Laie denkt vermutlich, das Seefahrt mit Wasser beginnt, bei mir Begann die Fahrtzeit mit Sand.
Auf dem Oberdeck lag ein Berg Sand, der mit Pützen, hochdeutsch Eimer, auf verschiedene Decks (an Land sind das Etagen) auf Kisten verteilt werden musste. Der Zweck blieb im Dunkeln. Ich wußte bisher nicht schwer Sand sein kann und wie schwer und sandig der Weg zum Kapitän ist. Über Treppen Sandeimer schleppen, ließen meine Beine immer kürzer und meine Arme immer länger werden. Wenn ich das später erzählte, hatte mancher den Eindruck, dass ich mich davon nicht erholt habe. Die Seefahrt formt den Menschen.

Das oben geschilderte spielte sich im April/Mai 1938 nach meiner Schulentlassung ab. Somit vor meinem 14. Geburtstag am 19. Mai und damit war ich damals einer der jüngsten Seemänner der Handelsmarine.

Bald erfuhr ich, wofür man den Sand auf Schiffen benötigt. Mit Besen und Sand wurden mühsam die Holzdecks geschrubbt. Meine Hoffnung: Als Kapitän muss man keine Decks mehr schrubben. ich wollte mich also beeilen Kapitän zu werden.
Die erste Seereise, Weser runter, bei Cuxhaven um "die Ecke", Elbe rauf bis Hamburg, hatte keine schiffahrtsgeschichtliche Bedeutung.
Die Potsdam war kein alter Kohlenfresser, es war das modernste, ein Elektro-Turbinen-Schiff. Trotzdem hießen die Heizer immer noch Heizer. Sie war eins der ersten Schiffe mit gemeinsamer Messe der Decks- und Maschinenbesatzung. Möglich, weil die Heizer nicht mehr kohlenverstaubt von der Wache kamen. Das Essen, für mich das erste bei der Seefahrt, war fürstlich. Ich kannte ja nur eine, wenn auch gute, bürgerliche Küche. Schweinebraten gab es reichlich und das beste war die Kruste, die der heimische Herd in dieser Form nicht schaffte. Unvergesslich.
Es dauerte nicht lange bis ich mir ein kleines "Lloyd-Bäuchlein" angefressen hatte.

Gesprächsstoff am Tisch immer: Das schlechte Essen. Auf dem jeweils vorherigen Schiff war das Essen, nach Erzählung der "alten Hasen" immer besser. Später als ich selber das Schiff wechselte, bekam ich heraus, dass der vorherige Koch, über den Gestern noch geschimpft wurde, viel besser war, als der jetzige. Das wiederholte sich mit jedem Schiffswechsel.

Ankunft in Hamburg bei der Werft Blohm und Voss. Der erste angelaufene Hafen in meiner seemännischen Laufbahn. Wir lagen zur Ausrüstung in der Werft.
Auf einmal ein Ruf: "Schuss holen!" Alles rannte und ich mit und war plötzlich 5 Reichsmark reicher.




Der erste große Reichtum meines Lebens und das mit selbst verdientem Geld und ich wußte für alle Zeiten was "Schuß" hieß: Vorschuß, auch Abschlagzahlung. Es war der siebte Teil der Monatsheuer eines Moses.
5 Reichsmark. Was tun damit. Seeleute gingen an jedem Hafen an Land. Heute, bei den kurzen Liegezeiten, leider nicht mehr möglich.
Das erste große Wunder: Der Elbtunnel, das war ein Erlebnis. Wir "Seeleute", ein halbes Dutzend Jungs, die fröhlich singend durch den Elbtunnel liefen. Ein paar Werftarbeiter, es war wohl gerade Schichtwechsel auf der Werft, begeneten uns höchst und wirkten amüsiert.
An den Landungsbrücken um die Ecke trotteln erlebnishungrige Seeleute ins Nachleben, ich trottelte mit. Die Faust in der Tasche umklammerten den ersten Schuss. Eine Straße mit viel Licht, es muss, spätere Erkenntnis, die Reeperbahn gewesen sein. Irgendwie trennte sich unsere Bande und ein Erinnerung an, ich weiß nicht wo, einen Saal mit einer großen Kapelle ist mir geblieben. Zurück, fest in meiner Erinnerung,  wieder durch den Elbtunnel zur Werft.
Mein Reichtum, die 5 Mark überstanden den Orkus von Hamburg.

Die Rückreise zur Endausrüstung nach Bremerhaven verlief ohne besondere Vorkommnisse.
In Bremerhaven kam meine erste unerwartete Talfahrt auf der Achterbahn meines Seemannslebens. Der Bootsmann hatte Ärger mit seinen Matrosen. Die, es war Sonnabend, wollten an Land, der Bootsmann jedoch verlangte Überstunden. Keiner von den Matrosen meldete sich, ich, keine Ahnung um was ging, auch nicht, aber als schwächstes Glied in der Truppe traf mich die volle Wucht des Bootsmanns. Ich wusste nicht warum, aber nach 14 Tagen Seefahrt bekam ich meinen ersten "Sack". So nannte man bei der Seefahrt einen Rausschmiss, und es bedeutete, das man seinen (See)Sack zu packen hatte. Der "Sack" hatte keine großen Auswirkungen auf meine jetzt schon zweiwöchentliche seemännische Laufbahn. Es war nur ein normaler, noch oft erlebter Schiffswechsel auf ein Schiff mit dem schönen Namen "Der Deutsche".
Warum nicht, wie üblich, alle Schiffe sind weiblich, "Die Deutsche". Hätte doch auch gepasst.
Die Welt war Durcheinander.


Aus meinem Archiv


Aus "Capital" 2007






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