Freitag, 8. Mai 2015

MURMANSK - LENINGRAD - BREMERHAVEN

Meinen Urlaub am 9. September musste ich wohl verschieben. Eine Küste kam in Sicht, aber wir liefen nicht Bremerhaven an. Norwegen, hiess es. Aber ich, der ich Norwegen kannte, wusste es besser. Norwegen war anders, andere Landschaft, anderes Klima. Ich konnte mich auf meine Nase verlassen. Norwegen roch anders. Dann sprach es sich herum. Es war Russland, die Halbinsel Kola. Ein Torpedoboot oder ähnliches tauchte achteraus auf. Wir schienen keine Chance zu haben. Die "Bremen" drehte noch einmal auf. Bald müssten wir in russischem Hoheitsgebiet sein. Das Boot holte auf. Woher kam es? Was wollte man von uns? Dann kam das übliche hin- und her Gefunke und das Flaggen setzen. Wir sahen die Lotsenflagge, Erleichterung! Das Boot kam längsseits. Es war ein Glücksfall, einer der Stewards sprach russisch. Einlauf in die Kolabucht, in den Hafen von Murmansk. Wir waren nicht die Ersten, die bei unserem neuen Freund, Stalin, Schutz gesucht hatten, und täglich liefen neue Schiffe ein. In der Nähe lag auch die "Saint Louis". Wie war Mildred wohl nach Hause gekommen?
Die Heimat und der Krieg waren erst mal weit weg. Wir schliefen wieder, ohne warme Klamotten, in unseren Kojen "vor dem Mast". An einem der nächstenTage musste ich zum Zahlmeister. Der Bootsmann war mißtrauisch. Was hatte der Kerl jetzt wieder angestellt? Es war Mannschaftskontrolle durch die Russen. Alle Seefahrtsbücher wurden kontrolliert. Da hatte doch einer zwei Seefahrtsbücher. Mein altes Buch aus Italien, das mir beim Anheuern auf der "Bremen" gefehlt hatte, und mein neues Buch. Das Russisch unseres Stewards reichte wohl für die Übersetzung dieser schwierigen Sachlage nicht aus. Die Mienen der Russen zeigten, dass sie die Geschichte für sehr fragwürdig hielten. Die Situation entspannte sich erst, als der Zahlmeister mir auf Befehl der Russen die Auflage machte, mir in Bremerhaven nachtraglich den Abmusterungsstempel zu holen. Die alte Ordnung war wieder hergestellt.

Die Kolabucht im hohen Norden hatte für mich etwas trist-melancholisches. wir waren hier dem Winter schon sehr nah. Die kaum bewaldeten Berge ringsum wirkten düster. Es fehlten die, sonst immer zahlreichen, Menschen, die freudig, neugierig am Ufer standen, "Schiffe gucken". Vielleicht war es verboten.
 Wir mussten unseren Notgroschen, die drei Dollars wieder abgeben. Devisen waren knapp. Bekämen wir jetzt Rubel? Sind das auch Devisen? Wir brauchten uns keine Gedanken darüber machen, wir bekamen keinen Landgang.
Ich hatte aber doch Gelegenheit, etwas von Murmansk zu sehen. Die grossen Motorrettungsboote der "Bremen" wurden als Versorgungsboote für die anderen in der Bucht ankernden Schiffen eingesetzt. Die "Bremen" gab Einiges von ihrem überschüssigen Proviant ab, aber sie wurden auch durch Einkäufe in Murmansk versorgt und es gab einen regen Tausch von Filmen. Mehl fehlte auf allen Schiffen. Angeliefert wurde es uns an einer maroden Kaje. Im Stundentakt kam ein wunderliches Vehikel, das mit einem Sack  ausgelastet war. Eine kleine Holzbude der Hafenarbeiter diente uns in der Wartezeit zum Aufwärmen. Es stank fürchterlich in der Bude. Die Russen qualmten ihre Papirossi, bestaunten uns schweigend, und lehnten unsere edlen "Lucky Strike", die eigentlich immer halfen, um Sprachbarrieren zu überwinden, ab. Die Packung lag am nächsten Tag noch unberührt auf dem Tisch. Die Russen wollten keinen Kontakt.
Unsere Touren von Schiff zu Schiff waren eine willkommene Abwechslung im täglichen Einerlei. Gut eine Woche war es her, dass wir mit den Booten vor der Kulisse von New York unseren Manöverzirkus veranstaltet hatten, jetzt belebten wir, einige 1000 Kilometer östlich, die Bucht von Murmansk und taten ein gutes Werk. Der Urlaubsplan mit den Daten meines ersten Urlaubs meiner seemännischen Laufbahn hing noch immer am schwarzen Brett. Mein Urlaub war dahin. "Wenn das der Führer wüsste!" Hätte ich es gewusst, wäre ich in New York geblieben.
Hermann Göring, der Reichsfischfuttermeister - das war sein Spitzname bei der Marine -  schickte in seiner Eigenschaft als Reichsinnenminister ein Telegramm, in dem er unsere Heldentat besang. Am 18. September war Ordensverleihung für uns Blockadebrecher. Wir sollten fast vier Wochen nach dem letzten Auslaufen aus Bremerhaven, die Heimat wieder sehen.
Doch nicht per Schiff, wie es sich für einen ordentlichen Seemann gehört, sondern mit der Bahn durch Russland, von Murmansk nach Leningrad fuhren wir nach Hause.
Schon einmal fuhr ich mit der Eisenbahn mehr als 1000 Kilometer in die Heimat, von Italien aus. Jetzt, auch wieder nur mit Handgepäck, ging es durch die Weite Russlands bis nach Leningrad, und von dort mit dem Schiff weiter.
Ich sah in meinen jungen Jahren schon viel von der Welt. Darum hatte ich mich ja auch für eine Seefahrtslaufbahn entschieden. Doch die jetzigen Umstände, der Krieg, darauf hätte ich gerne verzichtet.
Im Moment zuckelten wir durch die Stille der russischen Wälder. Birken, nichts als Birken. Als Bahnhöfe dienende Schuppen erkannte ich nur als solche, durch, in für mich unleserlichen Zeichen, angebrachte Schilder. Frauen bei der Eisenbahn, für uns ein ungewohntes Bild. Sie klopften, was ich vorher auch noch nie gesehen hatte, mit Hämmerchen die Bremsen und Räder ab. Sie sorgten für unsere Sicherheit.
Tempo:" Blumenflücken während der Fahrt verboten".
Für die Fahrt von drei Tagen und drei Nächten waren Liegewagen notwendig. Die Länge der Fahrt war bedingt durch die Eingleisigkeit der Strecke. Wir mussten alle paar Kilometer auf einem Ausweichgleis warten. Entgegen kommende Züge waren überwiegend Truppen - transporte Richtung Norden. Unsere Verbündeten. Stalin mit dem Führer gegen Engelland?
Der Krieg konnte nicht mehr lange dauern. Polen war schon "abgehakt".
"Aber nicht alles muss so sein, wie es zu sein scheint." ( Kant)
Wir alle im Zug irrten, und das im Verlauf der großen Weltgeschichte nicht zum letzten Mal. Stalin hatte vorerst einen kleinen Privatkrieg mit Finnland zu erledigen. Der Führer hielt still, er schaute zu.
Mit dem Zugpersonal kamen wir uns in den drei Tagen auch ohne Sprache näher. Wussten sie etwas von der Freundschaft ihres großen Führers mit dem neu gewonnenen Freund aus Berlin? Es gab weder Radio, noch Zeitungen im Zug. Unser Steward-Dolmetscher, der meist beschäftigte Mann, fand heraus, dass keiner etwas wusste, auch nichts von einem Krieg. Oder durften sie nichts sagen? Spione konnten überall sein. Zu den Transporten ihrer eigenen Truppen, sie waren ja nicht zu übersehen, meinten sie, nach ihrem Wissen wäre das immer so.
Das Essen war gut. Es gab viel Kohl. Alle waren freundlich zu uns. Tee gab es zu jeder Tages- und Nachtzeit aus einer wunderlichen Maschine.
Ankunft in Leningrad. Was wusste ich noch aus der Schule? War ja noch nicht lange her. Früher hiess die Stadt St. Petersburg, davor Petrograd. Die Namen wechselten immer mit den Herrschenden. In Deutschland gab es noch kein "Hitlerburg". Das würde sicher nach dem Sieg kommen. Welche Stadt müsste ihren Namen hergeben? München oder Nürnberg? Vielleicht auch Berlin.

Die "Sierra Cordoba", ein ehemaliges  "Kraft durch Freude"- Schiff, lag bereit, uns abzu- holen. Man wartete aber noch auf weitere Züge aus Murmansk. Die Liegezeit nutzte ich für einen Bummel durch die Stadt. Ich verlief mich prompt, wurde aber durch die Entdeckung eines herrlichen Museums entschädigt. Der Eintritt war frei. Völkerfeundschaft? oder  Stalinismus? Auf jeden Fall sparte ich meine wertvollen Dollars. Der Weg zurück zum Schiff wurde für mich zum Problem. Ich hatte, und habe immer noch keinen Orientierungssinn. Ich verstand kein Russisch und hatte keinen Kompass. Erst mal an den Fluss, an die Newa. Nur wo Wasser war, konnte ein Schiff sein. Dann in die Richtung, zu der hin der Fluss breiter wurde und die Strömung lief. Es war in Leningrad schon sehr kalt, 10 Grad Minus. Für mich erstaunlich war, dass ich in meinen Sommerklamotten nicht fror. Ich kannte nur die feuchte Kälte bei uns zu Hause. Die Russen liefen aber schon in Pelzmänteln und -mützen. solch eine schöne Mütze wollte ich auch haben. Ich versuchte es im Geschäft mit meinen Dollars. Aber nix Dollar, Kopeken. Keine Kopeken, keine Mütze. Schade.
Auf der Reise durch die Ostsee genossen wir es, Passagiere zu sein. Als Seeleute hatten wir aber nicht das Bedürfnis, auf den Decks zu flanieren und uns den Mond, oder die Sonnenuntergänge anzusehen. Wir pendelten zwischen Speisesaal und Salon. Ich vervollkommnete meine Skatkenntnisse, dabei erlebte ich zum ersten Mal einen "Neger" (damals noch kein Schimpfwort), der Skat spielen konnte und Hamburger Platt sprach. Er war Heizer von einem Woermannschiff der Afrikalinie. Weiss der Teufel, wie sich ein Afkikafahrer nach Murmansk verirren konnte, aber im Krieg war alles möglich. Auf dem Umweg - Murmansk - Leningrad - Kielkanal - traf nach wochenlanger Reise der größte Teil der Bremenbesatzung wieder in Bremerhaven ein. Der Rest der Mannschaft blieb in Murmansk, um das Schiff zu versorgen.
Die Rückkehr ohne eigenes Schiff aber war eine Niederlage, wie ein Schiffbruch. Sogar unserem grimmigen Bootsmann, von der 12-4 Wache hatten beim Abschied von der "Bremen" Tränen in den Augen gestanden. Seine schiefe, plattgedrückte Mütz , ein Zeichen langer Lloydzugehörigkeit - fünfzig Jahre war er dort- hing ihm noch schiefer auf dem Kopf. Er ging danach in Rente, und blieb mir als ein lieber, grimmiger Kerl in Erinnerung.
Es war eine lange Reise gewesen. 20.000 Seemeilen dürften zusammen gekommen sein. So hatte ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt.

    


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