Sonntag, 10. Mai 2015

AUF DER "POTSDAM" INS BALTIKUM

In Bremerhaven blieb mir nicht viel Zeit. Es vergingen nur ein paar Tage bis zur nächsten Anmusterung. Die Sache mit dem fehlenden Abmusterungsstempel in meinem Italien- seefahrtsbuch war schnell erledigt.
Das Neue Schiff, auf das ich kam, war der Schnelldampfer "Potsdam". Das Schiff, auf dem mein Weg zum Kapitän mit Sandschleppen begann, und wo ich meinen ersten "Sack", meinen ersten Rausschmiss erlebte. Der Bootsmann von damals war noch an Bord. Das gefiel mir gar nicht.
Auf dem Schiff war Hektik. Wahrscheinlich musste der Lloyd sein Schiffsvolk unbedingt unterbringen, um es nicht an die Konkurenz zu verlieren. Man wusste ja nicht, wie es weiter ginge, hoffte aber, dass bald wieder die ganze Welt für die Seefahrt zur Verfügung stände. Die meisten Stewards, bis auf die alten, bekamen die "Ehre", Soldat zu werden.
Die "Potsdam" war überbelegt. Aus Mangel an Mannschaftsräumen schliefen drei andere Schiffsjungen und ich im Schiffshospital. In dieser etwas abgelegenen Bleibe wurden wir völlig vergessen. Keiner weckte uns, keiner wollte etwas von uns; wunderbar! Die Arbeit ging an uns vorbei. Wir erkundeten das Schiff von oben bis unten, und in der
Messe gab es immer was zu Essen. So schön konnte Krieg sein, so liess er sich aushalten. Ohne Krieg müsste ich jetzt Deck schrubben. Aber alles Gute hat einmal ein Ende.
"Wer bist du denn? Dich habe ich noch gar nicht gesehen." Erwischt! So konnte nur mein "Freund" , der Bootsmann fragen. "Wir schlafen im Hospital", rutschte es mir heraus. Aus war es mit dem schönen Leben. Für meine Mitbewohner war ich ein Verräter, sie hielten mir aber zu Gute, dass ich dem Bootsmann vorgelogen hatte, wir hätten schon die ganze Zeit mit den Anderen Matrazen geschleppt.
Mit Matrazen, sie wurden zu Hunderten mit Kränen aufs Schiff gebracht, hatte ich von der "Bremen" her meine Erfahrung. Matrazen schleppen schien Seemannslos zu sein. Nur diesmal war es lustiger. In der Funkerbude stand ein Plattenspieler, der fleissig bedient wurde. Aus allen Lautsprechern schallte Musik über die Decks. Wo man ging und stand, traf man auf Männer mit Stapeln von Matrazen. Sie wurden in alle Salons und sonstigen Räume verteilt. Es schien Eile geboten, sogar die Offiziere waren zum Schleppen abgestellt. Was war der Zeck der Aktion? Keiner wusste was, aber alle waren am spekulieren, und jeder schien genau zu wissen, was los war.
Lazarettschiff? Truppentransporter? Gefangenentransporte? Viele Fragen, keine Antworten. Warum wurden die Stengen von den Masten genommen? Ohne sie war das ganze Schiff verschandelt. Wofür war das gut? Sollten die Masten bei Feindberührung nicht so schnell über der Kimm auszumachen sein?
Keine Idee war zu abwegig, um nicht geglaubt zu werden.
Banal war dann die Lösung des Rätsels. Wir fuhren durch den Kiel- Kanal und wären mit ungekürzten Masten mit den Brücken in Konflikt geraten.
Ich hatte den Kanal erst kürzlich von Ost nach West kennen gelernt. Nun ging es zur Abwechslung mal in die andere Richtung. Was war das Ziel der Reise? Die Gerüchteküche kochte. Die beste Aussage war: "Im Krieg ist alles geheim!" So geheim wars nun doch nicht. Auf der Brücke sickerte etwas durch. Ein unerlaubter Blick auf den Kartentisch, war nicht immer zu verhindern: Lettland, Riga. Also doch Verwundete. Falsch, ganz falsch!
Die Baltendeutschen wollten heim ins Reich. Der Führer hatte gerufen. Ein neues Kapitel der Weltgeschichte fing an. In Riga stömten die Menschenmassen an Bord. Jemand bat mich :"Helfen Sie doch bitte der Baronin bei dem Gepäck." Es war die erste Baronin meines Lebens, und ich erhielt von ihr ein wunderbares Dankeschön :" Ich wünsche Ihnen eine reiche Frau." "Na denn man to."
In meiner Freizeit butscherte ich gerne durch Riga. Ich kaufte mir, wie auch schon in Portugal, Italien und Amerika Briefmarken, um meine Sammlung zu vervollständigen. Später bedauerte ich es sehr, auf der "Bremen" nicht das Schiffspostamt genutzt zu haben. Die Schiffspoststempel wurden bei Sammlern sehr begehrt. Noch interessanter wäre die Post vom Katapultflugzeug gewesen. Doch leider war das vor meiner Zeit. Man liess, damit die Post einen Tag eher New York erreichte, ein kleines Wasserflugzeug per Katapult von der "Bremen" starten. Es soll sich aber nicht bewährt haben. In Riga gab ich für Marken meine letzten Dollars aus. Als ich mein Geld in einer Bank tauschen wollte, sprach mich davor ein Mann an. "Lats? Geld tauschen?" "Ja, Dollars." Er wurde ganz aufgeregt und blass. Als er aber hörte, dass ich nur ein paar einzelne hatte, beruhigte er sich wieder. Dollars hatten wohl schon immer ihren Reiz.
Auf drei Fahrten zwischen Riga und Gotenhafen bei Danzig, ehemals und heute wieder Gdynia evakuierten wir 50000 Flüchtlinge. Dann hatten wir das "Deutsche Blut" aus dem Baltikum gerettet. Auf der letzten Reise hatte sich das Publikum geändert. Die Reichen und Adeligen hatten, wie immer im Leben, Vorrang gehabt. Jetzt kamen mehr bäuerliche und einfache Flüchtlinge an Bord. Es waren die "Hirschendörfer", und sie brachten blinde Passagiere mit. Flöhe. Überall auf dem Schiff konnte man ihre artistischen Sprünge bewundern. Sie vermehrten sich rasant. In Gotenhafen war es schwer, wirksames Flohmittel zu bekommen. Ich lag bis nach Hause in einer gelben Wolke in meiner Koje. Wieder kam ein Abschied von einem Schiff. Lebe wohl "Potsdam".
In Bremerhaven gab es eine Überraschung. Die "Bemen" lag an der Pier. Man hatte sie
auf einer gefährlichen Fahrt durch englisch kontrolliertes Seegebiet, heim geholt. Als  Belohnung dafür erhielt die Mannschaft einen warmen Händedruck vom Führer. Ich hatte noch Klamotten an Bord. Obwohl sie mir schon vergütet worden waren, konnte ich sie trotzdem abholen, und musste wieder für den Erhalt von "Effekten" unterschreiben. 
      So, gut ausgerüstet, dauerte es nicht lange, bis ich wieder Planken unter die Füsse bekam.Von der grossen "Bremen", die "Potsdam"war auch nicht klein, kam ich jetzt auf ein Schiff, kleiner als ein Fischdampfer. Mit Fischen, obwohl es ein Fangschiff war, hatte es aber auch nichts zu tun. Ich war auf einem Schiff der Walfangflotte "Unitas" gelandet. Mein Weg zum Kapitän verlief nicht gradlinig. Mir fiel auf, dass ich bisher noch nie gefragt wurde :" Willst du auf dieses oder jenes Schiff?" Ich wurde immer geschickt, ohne ein "Geschickter" zu sein, oder zu werden. Es wurde auch niemals eine Erklärung über die Art des Schiffes, und seines Einsatzes, abgegeben.

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