Samstag, 16. Mai 2015

EIN WILDER HAUFEN

Deutschland hatte drei Walfangflotten gehabt, "Unitas", "Jan Willem" und die "Rauflotte". Sie hatten seit 1936 in der Anarktis gejagt. Deutschland war auf das Fett, den Tran, angewiesen. Jeweils ein Mutterschiff, auf dem die Wale verarbeitet wurden, wurde von ungefähr zehn Fangbooten begleitet. Die Kapitäne waren alles erfahrene, norwegische Harpunierer. Die jungen, deutschen Walfänger hatten noch keine Erfahrung. Die mit ihnen besetzten Boote konnten nur Zubringerdienste leisten. Der Kriegsbeginn erfreute die Wale. Sie hatten Ruhe vor den Killerflotten, da alle Norweger entlassen wurden.
Der "Blitzkrieg" mit Polen war beendet. Es herrschte Ruhe vor dem Sturm.Die Schiffe und Boote wurden umgerüstet. Wir lagen mit einigen "Unitas"- Booten zur Ausrüstung bei der Nordsee Reederei in  Geestemünde. Die Bauaufsicht hatte ein ehemaliger Walfänger. Bluhm, wegen seiner geringen Grösse Blümchen genannt, erzählte sehr spannend von den sechs Monate dauernden Jagden. Die Wale wurden mit Harpunen an armdicken Seilen beschossen. Diese wurden von großen Winschen gehalten. Die Leine lief über starke Federn, die jeden Ruck des Wals vom Boot fern hielten. Notfalls wurde noch eine Harpune mit Sprengstoff abgeschossen. Die Wale hatten keine Chance. Als letztes kam die Druckluftharpune dran, die den Wal an der Wasseroberfläche hielt. Der Wal bekam ein Fähnchen mit der Nummer des jeweiligen Fängerboots, dann wurde er zum Mutterschiff geschleppt.Jeder war am Fang beteiligt, man verdiente gut. Die Kapitäne und Harpunierer waren sehr wohlhabend.
Für welche Aufgaben sollten die Schiffe jetzt umgebaut werden? Wieder mal wusste keiner was. Wie immer: "Alles geheim, es ist Krieg." Unser Boot, die "Unitas II." war völlig entkernt worden. Noch hatten wir weder Koje, noch Tisch, noch Stuhl. Wir sassen auf Bierkisten. Es gab keine Beschäftigung, kein Putzen, kein Pönen. Das Schiff kam ja gerade frisch aus der Werft. Wir vertrieben uns die Langeweile mit Bier trinken. Dafür, dass wir an Land schliefen und aßen, zu Hause oder im Seemannsheim, bekamen wie Extrageld. Uns ging es gut. Die ersten Matrosen, die eintrudelten, kamen aus der Fischerei. Der Fischfang war sehr reduziert worden. Ich habe nie wieder Menschen gesehen, die fauler waren als Fischersleute, wenn kein Fisch da war. Sonst arbeiteten sie rund um die Uhr, aber ohne Fisch, schien Arbeiten unvorstellbar zu sein. Ihnen und mir gefiel unsere momentane Lage. Beim "Lloyd" hätte ich, beim Bier trinken erwischt, welche an die Backen bekommen. Ich fing auch an, zu rauchen Einer der Matrosen bot mir so überraschend eine Zigarette an, das ich ganz verdattert annahm. Bald kaufte ich mir selbst "Eckstein" , "wo der Hund dran pisst", wie wir immer sagten, oder "Golddollar". Drei Packungen für einen Groschen. Es war der Beginn einer langen Sucht.
Mit meinen alten Schulkameraden hatte ich keinen Kontakt mehr. Mein Kumpel Herbert vom Fischdampfer war stolzer Mariner geworden. Wie kam er wohl bei seinem Getränkekonsum mit dem mageren Sold zurecht. Ich habe ihn nie wieder gesehen. War Mildred, meine "Flamme", wohl noch nach Kreigsbeginn nach Bremerhaven zurück gekommen? Ich schlich öfter um die Kneipe ihrer Eltern herum, Traute mich aber nicht, nach zu fragen. Auch sie habe ich nie wieder gesehen.
Im Schiff tat sich einiges. Jeder verfügbare Raum wurde mit Kammern ausgebaut. Unsere Behausung vor dem Mast bekam Kojen, Bänke und einen Tisch, alles neu. Der Winter 39/40 war ein böser Eiswinter, aber im Schiff verbreitete die Heizung wohlige Wärme. Nur die Brücke hatte keine Heizung. Das wunderte uns bei einem Schiff, das in der Antarktis zu Hause war. Die Mannschaft war vollzählig. Morgens wurden wir freundlich von "Hein, tut mol" geweckt. Hein war Schipper auf einem der kleinen Werftarbeiterboote. Er liebte seine Tute, und machte reichlich Gebrauch davon. Ein Zuruf genügte: "Hein, tut mol!" Tuuut, Tuuut.
Die Freilagerjuden, wie die dort ansässigen Händler genannt wurden, versorgten uns mit den üblichen zollfreien Waren: Mit "Lucky Strike" statt der billigen "Eckstein", gutem holländischem Tabak, "Black Star" in Halbpfundspaketen, und billigem, aber gutem Schnaps. Ein Zeichen, dass es bald los ginge. Alles war noch unter Zollverschluss. Wir sollten die Ware sofort bezahlen und nicht erst wie früher üblich am Ende der Fahrt, wenn Alle ihre Heuer bekommen hatten. Die Händler glaubten wohl nicht an unsere Rückkehr.   Abtretung an die Reederei ging auch nicht. Wir wussten gar nicht, zu welcher wir gehörten, haben es auch nie erfahren. Es war Krieg, alles geheim. "Unitas" gab es nicht mehr und zur Kriegsmarine gehörten wir nicht.
Wir lagen mit fünf ehemaligen "Unitas"- Booten an der Ausrüstungspier der "Nordseewerft. Nach Wochen des süssem Nichtstuns wurde es Ernst. Proviantaufnahme und Auslaufen zur Probefahrt Richtung Helgoland. Am ersten Tag mit warmer Bordküche gab es die berühmte Erbsensuppe, etwas, was es beim Lloyd nie gegeben hatte. Dann     hiess es "Leinen los" und damit begann das Theater. Der Kapitän und der "Erste", beide von Dickschiffen, erwarteten, dass jemand an Land wäre, der die Leinen losschmeissen würde. Hein Berliner kannte es von der Fischerei, dass einer dafür an Land sprang . Man so einfach geht es nicht auf grosser Fahrt, auch nicht mit kleinen Schiffen. Der "Erste": "Berlin, kommen Sie sofort zurück!" Hein hatte Widerworte: "Stüer!"  Das war zuviel. Wie konnte er den "Ersten" zum Steuermann degradieren. "Berlin, das ist hier bei uns nicht Usus.""Hein tut mol" tutete zum Abschied. Die auf der Brücke glaubten jetzt auch noch, wir bekämen Schlepperhilfe für unseren Kahn. Aber nichts da. Es gab noch ein unmögliches Herumgekurve im Hafenbecken und die Fischersleute hatten jeglichen Respekt verloren.  
Kriegsbebingt, war die Mannschaft ein zusammen gewürfelter Haufen. Der Kapitän war ein Hapagfahrer aus Hamburg, der I. Offizier kam vom Lloyd. Wir wurden ein Zweiwachen-Schiff. 6 -12 und 12 - 6 rund um die Uhr. Hein Berliner aus der Fischerei , und der Leichtmatrose Fred Wagner wurden der Kapitänswache zugeteilt. Zur Wache des "Ersten" gehörten Willy Münchmeyer und Karl Palluch, auch beide vom Fisch. Willi und Berliner waren Freunde. Das merkten wir besonders beim Skat. Sie waren ein ein- gespieltes Team und gewannen fast immer. Auf unserer späteren Station in Warnemünde gingen sie immer in die Hafenkneipe zum Bierskat. Das wurde immer, auch für mich fiel was ab, ein billiger Abend.
Hein und Willy hatten in der Fischerei gut verdient, aber zuviel Geld für Kleidung ausgeben, das musste nicht sein. Sie hatten zusammen nur eine der warmen Filzhosen für den Winter. Das gab manchmal Probleme bei der Ablösung am Ruder. Der "Erste" wartete auf seinen Matrosen zum Wachwechsel. Auf solch einem kleinen Schiff lief alles gut durch Zuruf: "Münchmeyer, wollen Sie nicht ablösen?"  "De schall mi ers mol min Büx trüch geben!" Jeder behauptete, es wäre seine Hose. Ich, als Jünster war wieder zum Moses degradiert worden und ging keine Wache, stand aber die meiste Zeitden für irgend jemanden am Ruder. Es war die faulste Besatzung meiner ganzen Seefahrtszeit. Nur ich als Moses hatte ich immer was zu tun. Backen und Banken, wie man das Dienen an Bord nennt. Dazu die Buden sauber halten und der elende, ewige Abwasch.
Der Leichtmatrose Wagner tat sehr vornehm. Er sprach nicht mit Jedem, vor allem nicht mit dem "unghobelten" Schiffsvolk aus der Fischerei. Er war, wie ich auf dem Weg zum Kapitän, hatte aber Abitur.
Der I. Ingenieur kam von Woehrmann, von der Afrikafahrt. Er und der Heizer Bertie Bramman kannten sich von einem gemeinsamen Schiff. Berties Spruch war immer: " Wer dreissig Mal Suez bei 50° C erlebt hat, und auf jeder Wache einen halben Liter Rum schluckt, Tripper und Syphillis überstanden hat, der ist immun gegen alles, auch gegen den Krieg. Nur im Kopf stimmt nicht mehr alles." Seinen Chief, den I. Ing schloss er dabei ein. Der Chief war von Woehrmann grössere Maschinen gewohnt. Dort hatte er seine Leute gehabt. Von unserer kleinen, aber starken Maschine verstand er nicht viel. Er überliess alles dem II. Ing, der aus der Fischerei ähnliche Maschinen kannte. Die Ingenieure von dort, wurden Meister genannt. Sie hatten kleinere Patente, und wurden von den "Grossen" scheel angesehen, aber nur unser Meister beherrschte die Maschine. Ein Beispiel bei einem Wachwechsel: I. Ing :" Ich habe die Pumpe aufnehmen lassen." II. Ing an seinen Heizer:" Mach´ wieder dicht." Theo Narloch kam auch vom Fisch. Sein Name führte zu einem eher unschönen Spitznamen. Er nahm es gelassen. Der Meister und er duzten sich. Theo war auch der Älteste an Bord.
Der "Erste" lauschte immer in die Maschine hinein. "Brammann, hören Sie etwas?" "Nein." So ganz befriedigte ihn das nie. Er drehte auch nie bei "Voll voraus" alles auf: "Brammann, sehen Sie mal nach, wer uns da verfolgt." Brammann:" Feindliche U-Boote". "Brammann, Sie sind ein Trottel." Drehte aber voll auf.
Bertie Brammann kam aus Barmbeck, nicht aus Hamburg. Darauf war er stolz. Er war überzeugter Kommunist gewesen, bis er den Sirenenrufen unseres Führers gefolgt war. Ganz Barmbeck war rot und Teddy Thälmann bezeichnete er als Freund. Er war ledig und sein "Zuhause" war die Kneipe von "Sahling". Er schwärmte von den herrlichen Saalschlachten mit den Nazis, die er dort erlebt hatte.
Seltsamerweise war das ganze gemeine Schiffsvolk ledig. Nur der Koch machte eine Ausnahme. Er war kein Deutscher, wie er immer betonte, sondern Ostfriese. Er war ein Meister in der Zubereitung von Eintöpfen, insbesondere Erbsensuppe. Sein zweites Spezialgebiet waren Fischgerichte. Er schlief achtern beim vornehmen Volk. Sein Kochsmaat vorne bei uns. Nur der Kapitän war ein echter Mitschiffsmann. Wie jeder ordenliche Kapitän der christlichen Seefahrt hatte er seine Bude hinter der Brücke. Mit dem Schiffsmaat waren unsere Kojen alle besetzt. Was mit den anderen Kammern passieren sollte, war immer noch geheim. Sollten wir Spione an irgend welchen Küsten absetzen? Die Fantasie blühte.

Bis vor Helgoland wären die Engländer noch nicht vorgedrungen, dachten wir. Wir sollten uns täuschen. Es war der 18. Dezember. Auf der Weser trieben große Eisschollen. Wir krachten durch sie hindurch. In unserer Kammer waren zwischen uns und dem Eis nur ein paar Zentimeter dicke Stahlplatten. Es rummste ordentlich, ein Höllenlärm. Unser erster Gedanke war: Eine Mine! Es ist doch Krieg. Dazu heulte das neue Boschhorn infernalisch in unserem kleinen Raum. Wir hatten es vorher noch gar nicht zur Kenntnis genommen und die Lautstärke haute uns um. Uns fielen fast die Ohren ab und das Schiff war für alle Zeiten kakerlakenfrei. Das Chaos war komplett. Wir stürzten nach oben. Es war falscher Alarm. Der Lotse drückte mit seinem Bauch auf den Alarmknopf unter dem Brücken-fenster. Der Meister, der Praktiker von der Fischerei, musste ran. Mit Bordmitteln wurde ein Schutzblech gegen dicke Bäuche installiert. Er löste auch das Problem der heizungslosen Brücke. Ein Paar Kupferrohre mit Dampfanschluss wurden rundherum knapp über dem Boden verlegt. Es half gegen die grösste Kälte, brachte aber neue Probleme. Man kam beim Reinigen der Brücke mit dem nassen Feudel andauernd an die glühend heissen Rohre. Das Wasser verdampfte zischend. Es stank fürchterlich und die Scheiben beschlugen. Order vom Kapitän: "Nur noch Trockenreinigung." Kam jemand aus Versehen mit den Schuhen den Rohren einen Augenblick lang zu nahe, hörte man Schmerzensschreie und die Socken qualmten. Wir drehten unsere Runde in der deutschen Bucht. Die See war kabbelig und alles war ruhig. Kein Gedanke an Krieg, als das Boschhorn wieder los brüllte.Hatte da wieder jemand seinen Bauch nicht unter Kontrolle? Es war doch eine Sicherung angebracht worden.
Und warum unser Zickzackkurs? Kampfflugzeuge waren über uns. Erst in Cuxhaven erfuhren wir, dass die Engländer Wilhelmshaven angegriffen hatten und wir in die Luftschlacht über der deutschen Bucht geraten waren. Das hatte uns nicht direkt in Gefahr gebracht, aber in helle Aufregung versetzt. Bei der Kurverei waren zwei unserer Boote zusammen gestossen. Es war aber nicht viel passiert. Nur den Chief des einen konnte man vielleicht als ersten Gefangenen des Krieges bezeichnen. Seine Kammertür hatte sich  verklemmt und er kam nicht raus.Ich hatte nur die Kurverei und die Flugzeuge mit bekommen. Wenn das Krieg war, war er auszuhalten.
Jetzt lagen wir schon wieder untätig an einer Kaje, in Cuxhaven am Lenzkai. Was unsere Bestimmung war, wussten wir noch immer nicht.
 Das Eis hatte uns im Griff. Wir würden wohl hier überwintern müssen.Unser Freilager war gut gefüllt. Schnaps und Zigaretten würden reichen. Böse Zungen behaupteten, wir wären nur bis Helgoland geschippert, um ausserhalb des Hohheitsgebiets die Zollplombe loszuwerden.
Das "Usus" vom "Ersten" ging Hein immer noch nicht aus dem Kopf. Was bedeutete "Usus" ? Unser vornehmer Leichtmatrose, Fred Wagner wusste es:" Usus, lateinisch für gebräuchlich. Es wurde Heins Lieblingswort. Bei allen Gelegenheiten, passend oder nicht, kam von ihm: "Das ist nicht Usus", auch wenn der "Erste"in der Nähe war. Später, in Warnemünde, als Hein und Willy ihr Abzockskat spielten, hörte ein Gast neben mir an der Theke Heins "Usus". Er meinte, dass sei wohl ein Studierter. Hein genoss die hohe Ehre, und hatte einen neuen Spruch: "Ick hebb studeert!"
Dann ging es aber doch los. Die Ablegemanöver klappten jetzt besser. Die Fischdampferleute hatten sich mit ihrer Methode durchgesetzt. Es ging Elbe aufwärts. Wohin, wurde uns immer noch nicht gesagt. Wieder das laute Gerumse der Eisschollen. Es wurden immer mehr. Wir waren Führerboot und kamen nur langsam voran. Unsere Schwesterschiffe in der freien Kiellinie hatten es leichter. Die Boote hatten wegen ihres ursprünglichen Einsatzgebiets in der Antarktis die Eisklasse, den verstärkten Bug. Rechts und links lagen schon mehrere Schiffe, die es nicht weiter geschafft hatten. Spät abends liefen wir in Hamburg ein. Wofür brauchte man hier Walfänger ? Am nächsten Tag wurden wir aufgeklärt. Wir sollten Eisbrecher im Hafen spielen, Versorgungsschiff für die, im Eis fest liegenden Schiffe - Proviant, Bunkeröl, Post. Auch mancher Reedereivertreter nutzte unsere Dienste für Besuche. Arzt- und Zahnarzt- besuche der Mannschaften standen auf dem Programm. Wir gingen nur Tageswache. Doch abends waren wir völlig geschafft. Das Schaukeln bei Seegang hat einen Rythmus, den man ausgleichen kann. Das Eis aber schmeisst das Schiff ruckartig hin und her. Man muss immer irgendwo festen Halt finden. "Mors an Poller".

































ich

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