Montag, 15. Juni 2015

ZUGFAHRT MIT KARL UND QUETSCHE

In meiner Karriere war ich jetzt zum Leichtmatrosen aufgestiegen; noch zu leicht für einen Vollmatrosen, der so hiess, weil er meistens voll war, und deshalb nicht für voll genommen wurde. Das waren "Schnacks", die man immer wieder hörte.  
Meine Anwesenheit in Bremerhaven blieb dem Heuerbaas nicht lange verborgen. Ich nannte meine Heimatstadt immer noch "Bremerhaven", obwohl sie 1939 in das hannoversche Wesermünde eingegliedert worden war, und ihren Namen verloren hatte. "Wesermünde" wollte mir nicht über die Lippen. Nach Kriegsende bekam sie zum Glück ihren Namen zurück.
Seeleute waren knapp geworden. Viele trugen jetzt die Mütze mit den goldenen Lettern: "Kriegsmarine". Ich wurde wieder mal, ohne zu wissen :"Wie, was, warum?" gemustert. Ich fühlte mich, als würde ich "shangheit". Der Heuerbaas:"Das Schiff liegt in Stettin und soll als Lebensmittelfrachter nach Schweden fahren." Hörte sich möglich an, entsprach aber nicht der Wahrheit. Es war die "Bremerhaven", ein alter Bananendampfer der "United Fruit Companie", ein so genannter Gurkendampfer. Er gehörte zur Union - Reederei und fuhr vor dem Krieg die Strecke Bremerhaven - Santa Martha. Bananen waren nicht kriegswichtig.
"Morgen früh, sieben Uhr am Hauptbahnhof!" Er kaufte persönlich unsere Fahrkarten. Aus Erfahrung wusste er, dass die Seeleute, sobald sie Geld in den Händen hatten, es sofort in die Kneipe trugen. "Alles muss man selbst machen" auch die Überwachung der Verschiffung seiner "Schäfchen" bzw. "Böckchen", per Reichsbahn nach Stettin. Bezahlt wurde man erst nachAnkunft.

Wir waren zu fünft. Einer reiste mit leichtem Gepäck, einem Hebammenkoffer und einem Behältnis, das auf eine Quetschkommode schliessen liess. Der Besitzer, Karl Wolle sah aus, als hätte er in der kräftig Abschied gefeiert und dann irgendwo den Rest der Nacht hinter einem Busch geschlafen. Karl hatte Nachdurst. Er belatscherte den Heuerbaas:" Gib mal einen aus." "Der Zug fährt gleich." Karl:" Guck´ auf die Uhr." Der Baas:" Gut, ihr bleibt hier." Damit waren wir Anderen gemeint. Karl:" Nichts da, die haben auch Durst." Alle rein in den Wartesaal, halbe Liter bestellen. Karl holte seine Quetsche raus. Er begann zu spielen, im Saal gab es ein grosses Hallo. Der Heuerbaas begann zu schwitzen:" Ihr verpasst den Zug!" Karl überredete ihn noch zu einem Bier, zum Mitnehmen. Der Baas spielte für Karl den Gepäckträger. Geld gab es nur für gelieferte menschliche Ware. Bis Bremen holte Karl Schlaf nach. Als wir in Osterholz - Scharmbeck hielten, murmelte er im Halbschlaf :"Oh, der Holzschandarm ist weg." Es war Karls Heimatdorf. Ab Bremen führte der Zug einen Speisewagen mit. Ein Umstand, der Karl munter werden liess. "Wir trinken erst mal ein Bier." Wir machten einen Zug, nicht durch die Gemeinde, sondern durch den Zug, Karl voran mit Musike. Er hatte das Richtige auf dem Kasten: "Auf dem Dach der Welt, da steht ein Storchennest", "Stern von Rio" und vieles mehr. Volksbelustigung im Krieg. Im Speisewagen lief Karl zur Höchstform auf. Es ging schließlich um Bier. Die Volksgenossen applaudierten und spendierten Getränke. Karls Talent würde uns noch zu manch einem lustigen Abend verhelfen. Bis Berlin hatten wir viel Spass. Dort mussten wir umsteigen. Wir fuhren mitsamt dem Gepäck mit der Strassenbahn zum Stettiner Bahnhof ( Nordbahnhof).Das war erforderlich, weil Berlin nur Kopfbahnhöfe hatte.
Am späten Nachmittag kamen wir in Stettin an. Karl, seine Führungsrolle hatte sich schon gefestigt, gab die Richtung vor :"Ein Schiff liegt immer im Hafen!" Und :"Gepäck am Bahnhof lassen!" So trotteten wir in Richtung Hafen mit der historischen "Hakenterrasse". Solch einen Hafen hatte ich noch nirgendwo gesehen.

    Blick auf die Hakenterrasse


Von unserem Schiff, der "Bremerhaven" keine Spur. Scharfsinnig stellte Karl fest :"Jedes Schiff hat eine Mannschaft, und jede Mannschaft hat eine Stammkneipe. Unsere Suche bescherte uns einige Biere, aber keinen Hinweis auf unser Schiff. In irgend einem Hafenamt konnte man uns schliesslich helfen.

    Stettin Hafen

Die "Bremerhaven" lag in Pölitz, ca. 20 km von Stettin entfernt. Die Fahrkarten mussten wir aus eigener Tasche bezahlen. Wir schworen :"Das holen wir uns wieder."

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