Sonntag, 7. Juni 2015

AN DER MINENSPERRE IM KLEINEN BELT

Als wir Hamburg im Frühjahr 1940 verliessen, wusste ich noch nicht, dass ich die Stadt, so, nie wieder sehen würde. Für mich, als Fünfzehnjährigen, war die Welt noch in Ordnung.
Dieses Mal kannten wir unser neues Ziel: Flensburg. Über unsere neue Aufgabe wurde weiter gerätselt. Kiel - Kanal, wie oft noch?Wir lagen im Hafen mitten in der Stadt und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Noch einmal wurde Freilager empfangen. Flensburg = Bommerlunder. Es sollte das letzte Mal sein. Nach der nächsten Fahrt würden wir, wegen des Kriegs, heimische Gewässer nicht mehr verlassen. Besuch kam an Bord, hochrangige Militärs von der Marine und vom Heer. Generatoren wurden an Bord gesetzt. Überall waren Kabel verlegt. Wir dampften die Flensburger Förde auf und ab. An Bord war hektisches Treiben. Dauernd wurde irgend etwas am Schiff gemessen, anscheinend mit Erfolg. Es gab Sekt für Alle. Für die hohen Herren etwas mehr. Man hatte es geschafft, das Schiff zu entmagnetisieren. Später sah man an allen Metallschiffen die Kabelanlagen zur Abwehr von Magnetminen. Beim Auslaufen hiess dann immer :"MES  (Mineneigenschutz) einschalten." Die Minensuchboote waren aus Holz. Auf sie reagierten die Magnetminen nicht. Doch da es schwierig war, auf der weiten Fläche alle Minen zu finden, mussten alle Metallschiffe geschützt werden. Die Flugzeuge warfen die Minen nachts ab. So wusste man nie, wo sie lagen, und oft gingen sie erst nach mehrmaligem Überfahren hoch. Bei Geräuschminen, die auf Maschinengeräusche reagierten, musste man anders vor gehen. Man versuchte den Biestern beizukommen, mit Hilfe einer Rabatzboje, auch Klabautermann genannt. Sie liefen Aussenbords mit, machten voraus mehr Krach, als die Maschine und brachten so die Minen zum Explodieren. Krieg bedeutet auch immer wissentschaftlichen Fortschritt.

Wenn wir im Hafen lagen, lagen auf der faulen Haut. Paul, unser Fischdampferkoch lief zur Höchstform auf. Schon in Hamburg hatte er uns mit Fisch aller Art verwöhnt. Wo er den, bei dem vielen Eis, her hatte, blieb sein Geheimnis. Er konnte es nicht begreifen, wenn es hiess, es käme zu viel Fisch auf den Tisch. In der Fischerei gab es jeden Tag Fisch. Hier in Flensburg kam er mit Makrelen oder Muscheln vom Einkauf zurück. Beides kannte ich nicht, aber es schmeckte mir, und unseren Fischdampferleuten sowieso.

Müssiggang ist aller Laster Anfang und war das Ende etlicher Flaschen "Bommerlunder". So auch an einem schönen, sonnigen Tag. "Supen mokt Spaß." Wir sassen an Deck und der Alkoholspiegel war schon ordentlich hoch. Ich hinkte wegen mangelnder Routine sehr hinterher und nippte erst an meinem dritten Glas. Daher war ich auch der Einzige, der die kommende Situatuon überblickte. Theo Narloch, der auf der Verschanzung saß, ging langsam in Rückenlage. Ich machte einen Hechtsprung, und bekam gerade noch seine Beine zu fassen. Weil die Rehling nicht sehr hoch war, blubberte sein Kopf schon im Wasser der Förde. Es dauerte, bis mir die Anderen zur Hilfe kamen. Am Ufer sammelten sich Zuschauer. Einige empörten sich, andere waren belustigt und klatschten Beifall. Es wurde nicht mit guten Ratschlägen gespart. Mit vereinten Kräften bekamen wir Theo wieder an Bord. Nach der Menge Hafenwasser war Theos, ansonsten so großer Durst, erst einmal gelöscht. Über die Gangway kam die Obrigkeit, in Form zweier Polizisten. "Was ist hier los? Wo ist der Kapitän?" Hein Berlin, besoffen, wie er war, meldete sich: "Dat bünn ick." Sein zweifelhafter Anblick liess die Ordnungsmacht zweifeln. Aber sie fühlten sich auf den Decksplanken der rechtlichen Situation nicht gewachsen. Gefahr schien nicht im Verzuge. "Herr Kapitän, sorgen sie für Ruhe!" Damit zogen sie sich zurück. Hein konnte nicht mal mehr sein "Usus" anbringen. Für uns war er aber jetzt auch noch zum Kapitän aufgestiegen.

Endlich lüftete sich das Geheimnis der Kammern. Nach und nach trudelten fünf Leute ein, alles Lotsen. Das warf natürlich wieder Fragen auf.
Erst einmal waren die Neuen von unserem Bommerlundervorrat überwältigt. Es wurde ein rauschendes Besäufnis. Diesmal machte ich mit. Es endete mit einem elenden Brand. Lange noch drehte sich mir der Magen um, wenn ich nur Bommerlunder oder ähnliche Getränke roch. Wir erfuhren vom Brand und dem Untergang der "Bremen" an der Columbuskaje in Bremerhaven. Ein gewisser Schmidt sollte der Brandstifter gewesen sein. War es der Schmidt, der in der Koje unter mir gelegen hatte? Die Lotsen erzählten uns auch, dass es für uns in den kleinen Belt auf Lotsenstation ginge. Zwischen dem dänischen Festland und der Insel Fünen sollte die Schifffahrt durch die Minensperre gelotst werden. Dort angekommen, gingen wir für 14 Tage vor Anker. Ein Fischkutter diente als Lotsen-versetzboot. Der Kutter mit Heimathafen Lübeck - Schlutrup gehörte Kapitän Wilwater. Er und sein Sohn hatten die Fischerei an den Nagel gehängt.
Der Schiffsverkehr hielt sich in Grenzen. Für uns war es eine Sommerfrische. Baden, Dorsch fangen und viel klönen. Leute abeiten lassen, nur um der Arbeit Willen war zum Glück nicht die Sache unserer Herren.

Dorsch mit einem Blinker zu angeln, war mühsam. Wir erwischten nur kleine Fische. Die Grossen waren wohl zu schlau. Kapitän Wilwater lachte und hatte ein Einsehen mit uns. Er fummelte ein kleines Schleppnetz zurecht, und brachte uns vom Lotseneinsatz oft ein paar ordentliche Dorsche mit. Auch von vorbei kommenden Fischdampfern wurden wir versorgt. Man kannte sich aus Bremerhaven. Geld wurde nie verlangt.
Die Fischersleute aßen am liebsten die Köpfe, Pomuchelsköppe genannt. Sie sagten, es sei das Beste am Fisch. So ein Kopf wurde gespalten und füllte die ganze Pfanne aus. Wir anderen hielten uns an den Rest, gekocht oder gebraten. Einen wahrhaften Segen an Fischen bekamen wir, als das uns ablösende Schiff einmal beim Drehen eine Mine erwischte. So viele und so grosse Fische hatte ich noch nicht gesehen. Zum Glück war ausser den Fischen niemandem etwas passiert.

 Als Moses war ich der Einzige, der in den täglichen Arbeitsablauf eingespannt war. Die Fischdampferleute meinten, dass der Bestmann, wie der Moses bei ihnen genannt wurde, ein weit schlechteres Leben hätte. Er müsse neben seiner Arbeit und der im Fisch auch noch den Kanonenofen im Logis mit Bunkerkohle am Laufen halten, bei schlechtem Wetter kein Vergnügen.
Ich hatte aber genügend Freizeit, auch, um auf blöde Ideen zu kommen. Meine Tabakspfeife musste gereinigt werden. Ich wollte es gründlich, aber ohne viel Arbeit machen. An der Vorkante der Brücke war noch das Ventil für den Druckluftschlauch, mit dem die Wale, um sie an der Wasseroberfläche zu halten, aufgepumpt worden waren. Mit Druckluft durch gepustet, wäre meine Pfeife schnell picobello sauber. Ich hielt das Mundstück vors Ventil, und öffnete es. Schneller, als ich gucken konnte, sauste meine halbe Pfeife im hohen bogen durch die Luft, und verschwand im Belt, wo sie wohl noch heute liegt.
Unser Kapitän hatte als Assistenten einen Schwaben. Als er mal mit seinem Glas den  Strand von Fünen beobachtete, meinte er: "Schöne Metschen." Wir starrten ihn verwundert an. Metschen sind in Norddeutschland Regenwürmer. Er aber meinte schöne Mädchen. Unsere Fischersleute sprachen meistens Plattdeutsch, besonders gerne in Gegenwart unseres Schwaben. Er versuchte es auch immer wieder. Dabei kamen dann solche lustigen Missverständnisse zustande.
Ich dachte in meiner jugendlichen Unbedarftheit wie schon so oft, Krieg sei doch gar nicht so schlimm. Aber es kam immer öfter über die Lautsprecher die Sondermeldungsfanfare. Da hatte wieder irgend ein U-Bootheld zig Bruttoregistertonnen Schiffsraum versenkt. Unsere gute Stimmung ließ langsam nach. Es waren nicht nur Kameraden ums Leben gekommen. Für uns Seeleute hatte auch jedes Schiff, und wars der älteste Pott, eine Seele. Sie wurden nur selten abgewrackt. Das einzig richtige Ende war absaufen. Zum Abschied läutete dann bei Lloyds - London die Glocke.

So pendelten wir zwischen kleinem Belt und Flensburg. Dann, nach ein paar Ruhetagen, ging es zur Ablösung in eine andere Minensperre, nach Warnemünde - Gedser. Die Minensperre lag in der engsten Stelle der Ostsee, der Kadetrinne. Dort herrschte  erheblicher Schiffsverkehr. Die Lotsen waren Tag und Nacht im Einsatz. Wir verbrachten unsere Freizeit in der Hafenkneipe. Unsere Skatexperten waren wieder am Werk. Ich, als Moses bekam meinen Teil ab, und Hein Berlin fiel wieder als Intellektueller auf. So war es bei uns "Usus". Die Zeit wurde ausgefüllt mit Erzählungen der alten Fahrensleute.
       Die lustigsten Geschichten hatte Bertie Brammann von der Afrikafahrt. Es war alles, beschwor er, immer die reine Wahrheit. Angeblich hätte er alle Geschlechtskrankheiten, auch so seltene, wie "Bubo", überstanden. Er sei jetzt immun. Sich zu schützen, wäre für ihn nicht mehr nötig. Gegen die afrikanischen Biester helfe sowieso kein Gummi, nicht mal in Fahrradschlauchstärke.
      Eins seiner Döntjes ist mir noch in Erinnerung geblieben: Bei 50°C standen die Heizer nackt, nur mit einer Lederschürze bekleidet, vor den Feuern. Manchmal wollten Gäste die Maschine und den Heizraum besichtigen. Das war die Aufgabe des Chiefs. In weisser Tropenuniform übernahm er die Führung. "Achtung, der Chief kommt!" Die Feuertüren wurden aufgerissen, und es wurde eifrig mit den Krücken - den Schürhaken der Heizer - das Feuer geschürt. Es wurde hell und noch heisser. Nicht nur die Hitze, auch die Heizerrücken mit Anhang, trieben zumindest den Damen den Schweiss auf die Stirn. "Bammann, ihr seid Schweine!" Der Chief war empört. Dass er während dessen, von hinten, mit kleinen Kohlestückchen beworfen worden war, und aussah wie ein Dalmatiner, wurde ihm erst bewusst, als man ihn an Deck, unter Gelächter, darauf aufmerksam machte
Zwischen unserem Chief und Bertie bestand trotzdem ein freundliches Miteinander. "Fünfzig Mal Suez bei 50°C, das schweisst zusammen." Auf Wache erlaubte sich Bertie oftmals Spässchen. Er schoss polternd aus dem Maschinenraum hoch und hielt horchend eine Hand ans Ohr. Der Chief, der immer Angst um seine Maschine hatte, schreckte aus seinem Nickerchen, auf der Twistkiste, hoch. "Hören sie was, Brammann?" "Nein," antwortete Bertie lakonisch und verschwand wieder nach unten. Er konnte nie an Schlaf denken. Der Chief kam alle Nase lang in den Heizraum, um den Dampfdruck, auf dem  Manometer, zu kontrollieren. Bertie lieh sich meinen Knipskasten. Er hatte sich schon wieder etwas ausgedacht. Aus einer Blechdose schnitt er einen Orden, ein eisernes Kreuz. Das heftete er seinem, auf der Twistkiste schlafenden, Chief an die Brust, und knipste  den so Ausgezeichneten. Als der es merkte, hiess es nur :"Brammann, was soll das?" Ärger gab es für seinen Afrikakollegen nicht. Das Foto war wegen der schlechten Lichtverhältnisse in der Maschine ziemlich dunkel geraten, machte aber noch eine Zeit  lang, ohne dass der Chief es wusste, die Runde auf dem Schiff.
     Während unseres nur achttägigen Aufenthalts in Warnemünde gab es einen Zusatzauftrag. Die "Unitas IX." war überfällig. Auslaufen, zum Suchen. Kein Boot hatte eine Funkausrüstung. Die "Unitas IX." war kein Boot unserer Klasse. Es war ein alter Norweger und hatte als Übungsboot für die deutschen Harpuniere dienen sollen. Denen fehlte aber noch so viel Übung, dass das Boot zum Einsammeln der getöteten Wale eingesetzt worden war.. Jetzt war die IX. verschwunden. Wo, in der nicht so kleinen Ostsee, sollte man suchen? Vielleicht war sie auch versenkt worden. Bald stellte sich heraus, dass sie, anstatt nach Warnemünde, nach Flensburg gedampft war.

Mir hat die Art von Seefahrt auf der "Unitas II." gefallen. Ich stand oft am Ruder. Die Matrosen liessen sich, besonders Nachts, gerne ablösen. Nur das schwache Kompasslicht vor mir, fuhr ich in eine scheinbare Unendlichkeit. Oft waren der Mond und die Sterne stille Begleiter. Im Gegensatz zu den grossen Pötten, spürte ich unseren kleinen Kahn mit jeder Faser des Körpers, dazu kam die Melodie der dreifachen Expansionsmaschine. Am Ruder war ich glücklich und vergass die Zeit.

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