Freitag, 11. September 2015

DANZIG - RIGA TEIL 1

Unser Kurier, der Soldat, fuhr uns ein letztes Mal zum Bahnhof. Karl auf der Quetsche, der Bäcker Paul mit der Mundharmonika :"Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, bleib´nicht so lange fort..." Der Rest machte an Deck "Winke, Winke". Der Abschied von den "Pomuchelsköppen", wie sich die Pommern nach ihrem Wappenfisch, dem Dorsch, nannten, fiel nicht leicht. Hans und ich fuhren einer neuen Zukunft entgegen.



Ankunft in Danzig
Die "Brake" von der "Union" lag in Neufahrwasser, im Hafenkanal an der Danziger Bucht, gegenüber dem ehemaligen Fort der Polen, der "Westerplatte". Hier, am 1. September 1939, hatte alles mit dem Beschuss, durch das deutsche Kriegsschiff "Schleswig - Holstein", begonnen.


Hafeneinfahrt Neufahrwasser, rechts die Westerplatte (Aus: Danzig und seine
Ostseebäder)

Danzig empfing uns mit einem milden Sommertag. Auf der "Brake" herrschte hektisches Treiben. Sie war für die Passagierfahrt her gerichtet worden, und die letzten Tage der Ausrüstung brachte alle auf Trab. Ich wurde unsanft aus beschaulicher Pölitzer Ruhe gerissen. Das fing ja gut an!
In die Luken 1 und 2 hatte man mit Holzwänden Kabinen, bessere Verschläge, eingebaut. Vieles war vom Schiffszimmermann mit Bordmitteln errichtet worden, worauf er sehr stolz war. Die Kabinen hatten naturlich keine Bullaugen. Zwecks Lüftung hatte man einfach die Decken weg gelassen. Darauf musste man Ehepaare besonders hinweisen.


 
                          Die "Brake"


Von der Mannschaft war mir niemand bekannt. Der Bootsmann, scheinbar ein ganz
 Lustiger, schaute kurz beim Auspacken zu. Ein Kollege stellte sich als Gottfried vor. Er hatte seine Segelschiffzeit schon hinter sich. Gottfried war landfein. "Komm´mit!" Neugierig, wie ich war, liess ich mir das nicht zwei Mal sagen. Mit der Strassenbahn, der Linie 8, mit der wir gerade gekommen waren, ging es wieder zurück. Oft würde ich diese Tour noch machen. Es war schönstes Wetter, Frieden, die Strassen waren bevölkert und Danzig war deutsch. Gottfrieds Ziel war eine urige Kneipe, mit einer entzückenden Wirtin, Gisela. Mich von oben bis unten musternd, fragte sie :"Wo hast du denn diesen Bocher her?" Kleider machen Leute. Mit meinem amerikanischen Second Hand - Anzug, meinem "Borsalino", und den italienischen Schuhen, konnte ich nur ein vornehmer Jüngling aus der besseren Gesellschaft sein. Das Gegenteil vom "Bocher" war der "Danziger Bowke". Darunter gab es nur noch eine Schicht, die "Danziger Sackträger". Die lernte ich schon am nächsten Tag kennen. Ein Frachtschiff lag achteraus mit Mehl. Den ganzen Tag pendelten die Träger, auf dem Buckel einen Zweizentnersack, vom Schiff zum Getreidespeicher. Auch für mich, in Pölitz von der Arbeit entwöhnt, war "Schluss mit lustig". Hafenarbeiter waren knapp. Ich stand seit Langem mal wieder an der Winsch. Auch die "Brake" war, im Gegensatz zur "Bremerhaven", unterbesetzt. Hans hatte dafür eine Erklärung. Die "Bremerhaven" wurde mit der Mannschaft, als Wohnschiff  voll vom Staat bezahlt. Während die "Brake Geld einbringen musste.

                              Danziger Sackträger (Aus: "Einst in Danzig")


                    
Rechts der Getreidespeicher (Aus: "Danzig und seine Ostseebäder")


Noch machte mir das hektische Treiben Spass, später sehnte ich mich oft ins beschauliche Pölitz zurück. Wir beschäftigten uns einige Tage mit den Rettungsbooten. Sicherheit war im Krieg noch wichtiger als sonst. Seemännische Arbeit, lang wars her, war wieder gefragt. Neue Manntaue, im Ernstfall hangelt man sich damit ins Boot, mussten gespleisst werden. Dann verlangten die Blöcke auf dem alten Kasten, sogenannte "Taljen", mit denen die Boote zu Wasser gelassen werden, nach Schmiere, und mussten mit neuem Tauwerk bestückt werden. Die Wassertanks wurden befüllt und die luftdichten Zinkkästen mit frischem Schiffszwiback gefüllt. Dabei fiel mir Pölitz ein. Dort hatten wir uns oft, wegen der saumässigen Verpflegung, an die Zwiebäcke in den Rettungsbooten gemacht. Das war streng verboten, aber wohl verzeihlich. Die "Bremerhaven" lag schliesslich fest vertäut in der Oder. Die alten Dinger schmeckten abscheulich, waren aber nicht, wie oft auf alten Seglern voller Maden. Wie heisst es in einem Shanty so schön :"De Beschüten lepen von alleen wech." Beschüten sind Zwieback, und die Maden machten ihn lebendig.Noch waren wir nicht klar zum Auslaufen, und immer war mal einer verschwunden. Hundert Meter entfernt lag eine Namen lose Kneipe, die wir "Petroleumquelle" nannten, unter der Regie einer resoluten Wirtin, spanischen Geblüts mit beachtlichem Umfang. Unser Bootsmann stand später in Verdacht, sein Bier nicht bezahlen zu müssen. Er nannte sie liebevoll  :"Meine mujer".


Unser Liegeplatz (Aus: "Danzig und seine Ostseebäder)

Während der Arbeit an den Booten, sah ich zum ersten mal unseren "Alten". Er fragte mich ein Loch in den Bauch nach meinem Werdegang. Es stellte sich heraus ,dass wir beide als Einzige auf dem Schiff den Blockadebrecherorden hatten. Wir unterhielten oft darüber. Ich hatte meinen ja von der Bremenfahrt, er hatte ihn für eine navigatorische Glanzleistung erhalten. Bei Kriegsausbruch er mit der "Brake" in Vigo in Spanien ein gelaufen. Im Oktober ´39 kam ein Befehl des Reichsverkehrsministerium :"Auslaufen, Kurs Heimat!" Ein Befehl, von dem die in Berlin nicht wussten, was das bedeutete. Aber Befehl war Befehl. Südlich von Island gelang der "Brake", unter norwegischer Flagge der Durchbruch. Die "Brake", und die "Bremerhaven", waren alte englische Pötte. Es lohnte sich für die Engländer nicht, so der Kapitän, uns auf zu bringen. Vor Norwegen ging es dann, ohne Lotse, durch die Schären Kristianssund. Das war eine reife seemännische Leistung.
Die "Brake" war das erste Schiff, auf dem ich eine fundierte Ausbildung erlebte. Der Kapitän legte viel Wert darauf. Die jungen Leute von der Steuermannsschule mussten, auch im Hafen, mittags die Sonne schiessen. Auch wir zukünftigen Steuermannsschüler mussten ran. Man durfte sich nicht, beim von Bord gehen, erwischen lassen. Erst mussten wir an den Kartentisch, um "Brüster Ort" zu umschiffen. "Das ist unser "Kap Hoorn", sagte er. Wir sollten noch merken, dass es oft nicht leicht war,  die "Ecke" an der Bernsteinküste zu umschiffen. Häufig waren, wegen Fliegeralarm, alle Feuer gelöscht. Auch den Bootsmann, und für mich besonders Hans Neuss, muss ich in Sachen Ausbildung lobend erwähnen. Mit dem II. hatte ich wieder mal die 12 -4 Wache. Herrliche Sommernächte erlebten wir, beim Schippern entlang der Ostseeküste. Der Wind vom Land war voller Duft nach Gras und Heu. Man vergass, das Krieg war. Der dritte Mann auf unserer Wache war  Jerzy, ein eingedeutschter Pole mit vielen sz, cz im Nachnamen. Er sprach ausgezeichnet Deutsch und überraschte uns immer wieder mit seinem enormen Wissen. Er wartete auf das Kriegsende - Weihnachten bestimmt - , um nach Polen zurück zu gehen. Alle wussten mit Sicherheit, das der Krieg dann beendet wäre. Oder war es bloss Hoffnung? Nach Weihnachten hiess es dann :"Wenn der weisse Flieder wieder blüht...".
Die erste Reise sollte lieber vergessen werden. Es war keine seemännische Glanzleistung.
Pillau, der erste Hafen, hatte noch eine ziemlich problemlose Kaje. Unser Alter kannte seinen Kahn. Er hatte ihn aber nur selten ohne Schlepperhilfe an die Kaje gebracht.
Der nächste Hafen war Memel bei Nacht. Es bedurfte mehrerer Anläufe.
In Libau, wir hatten das erste Mal einen Lotsen, stand ich am Ruder. Die Einfahrt in den  Hafen war schmall. Links lagen die Hafenbecken. Das hinterste war das Ziel des Lotsen. Es gab Abstimmungsschwierigkeiten, da ich nur zwei sah, wir aber ins dritte, noch nicht einsehbare sollten, aber es ging noch gut. Der Alte :"Lass´das Denken sein", und seiner ewiger Spruch :"Der Seemann an Bord, das bin ich." Der war bei der Kurverei wohl fehl am Platz.
Der Törn nach Riga war der längste, und brachte Ruhe ins Schiff. Es wurde später, nach den drei kurz aufeinander folgenden Häfen, unser Erholungstörn. Nach Libau folgte eine lange Revierfahrt auf der Düna, lettisch "Daugav". In Riga wurde uns endlich Schlepperhilfe angeboten. Er war etwas maschinenschwach, eignete sich nur zum Leinen verholen. Später kam er nicht mehr wieder. Unsere Probleme, ohne Schlepper einzulaufen währten nicht lange. Wir bekamen das bald in Griff.





Ich kam mit Wihelm Willems an die Vorspring. Er war ein alter Hase mit kleinem Patent und jetzt, wie ich, Offiziersanwärter. Bald wussten wir, wir sind, als Team für die Spring, wie geschaffen. Die Vorspring, ein Festmacherdraht, ist für ein Schiff die einzige Bremse. Als erster Draht, an Land fest gemacht,achterlich nach hinten aus gerichtet, nimmt er die Fahrt vom Schiff. Es sollte aber nicht mehr zu viel Fahrt auf dem Schiff sein. Wir haben damit Abenteuerliches erlebt. Manchmal war der Draht bis zum Zerreissen gespannt. Wir hielten fest. Der Alte auf der Brücke zitterte um seinen Draht. "Der Seemann an Bord, dass bin ich." Doch Wilhelm schwor darauf :" Gute alte englische Arbeit". In Libau kam unser unersätzlicher Draht einmal in grosse Gefahr. Nach dem Ablegen, das Schiff machte schon Fahrt, hakte der Draht unter Wasser fest. Er lief, war nicht mehr zu halten. Bald würde er zu Ende sein. Von der Brücke kam der Rat :"Lass´laufen, der Seemann an Bord, dass bin ich!" Aber wir schmissen mit letzter Verzweiflung das eingspleisste Auge über einen Poller. Die "Brake", kein kleines Schiff, verneigte sich respektvoll vor der Kaje. Der Draht war frei. "Der Seemann an Bord, dass bin ich!"


Blick vom Dominikswall in Richtung Kohlenmarkt, hinten: Stockturm und St. Georgshalle
                                    (Aus: "Einst in Dresden")


Die geringe Mannschaftsstärke macht sich überall an Bord bemerkbar. Wir waren neben dem II. Hans Neuss nur nur Zwei auf der Wache. Jerzy, ein Leichtmatrose und ich.
Oft musste der II. das Ruder übernehmen. Wir waren fast rund um die Uhr im Einsatz, Im Ausguck, auf dem Peildeck, oder auf der Back. Die kurz auf einander folgenden Häfen hielten alle Decksleute auf Trab. Nach den ganzen An- und Ablegemannövern folgte häufig gleich im Anschluss die reguläre Wache. Ausserdem gab es auch noch oft Alarm. Ich war ewig müde. Das nächste Mal in Danzig würde ich einmal richtig ausschlafen. Ein frommer Wunsch! Das Danziger Nachtleben, noch friedenszeitmässig, fand mich in der "Eulenbar", Musik, Tanz und Danziger Goldwasser. Ich traf Bremerhavener Fischleute - es wurde nur noch in der Ostsee gefischt - und erfuhr das Neueste aus der Heimat.


                                       Krantor, Danzig


                                      Milchkannentor, Danzig





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