Montag, 30. März 2015

HOBOKEN

 

Jetzt war ich ein Amerikafahrer. Meine erste größere Tour durch New York ging damit los, die Auftrage aus der Heimat zu erfüllen. Willis Büffelkopfgürtel und die Lockenschere für die Nachbarin. Doch zuerst wollte ich die Schallplatte bei Herberts Tante in Hoboken abgeben.
An der Pier gab es ein Telefon, reichlich fremd. Ich fand keine Wählscheibe." Hello?" kam es aus dem Höhrer." Hello?" - wohl das meist benutzte Wort in Amerika beim telefonieren- "Hoboken 3-2878". Diese Telefonnummer werde ich, weil viel geübt, nie vergessen. "Hello!" Was noch? Ah ja! Money in den Schlitz! 5 cent, 1 Nickel.

Ein Nickel
In Amerika schien alles einen Nickel zu kosten. Ganz Amerika war  "vernickelt". "Coca Cola", Subway, Bus, Kaffee, zweite Tasse frei, oder auch satt, alles ein Nickel; bei Kaffee auch kein Wunder. Trotz des schönen Namens "Maxwell" war es dünne Plörre. Kaugummi, ein Nickel; alles kaute, dann klebte es auf der Strasse. An allen möglichen Orten standen "Wurlitzer" juke boxes, auch "nickel odeon" genannt. 5 Cents, ein Nickel, was sonst, und ab ging die Musik: "Rosamunde", die "böhmische Polka", "The donkee serenade" oder: "Roll out the barrell, roll out the barell of beer. Die Kästen machten sogar für sich selbst Reklame: "Put another nickel into the nickel odeon".

Ich versuchte, Tante Lissies telefonischer Wegbeschreibung zu folgen: Zwei Blocks bis zur 42. Strasse, 42.street ferry über den Hudson nach New Jersey, Weehawken Bus.

  Mein Schulenglisch war keine grosse Hilfe beim Durchfragen nach der 42. Strasse. Die Strassenschilder waren nicht wie zu Hause "ordentlich" an den Häusern angebracht, sondern an irgendwelchen Pfählen irgendwo an den Strassenecken. Warum überhaupt
Nummern statt Namen? Alles war sehr verwirrend für mich. Wenn ich fragte, wurde ich immer nur zu irdendwelchen Blocks geschickt. An jeder Strassenecke begann ein Block. Als ich es begriffen hatte, merkte ich,wie praktisch diese Einteilung war. Ich fragte wieder:
" Is this the fourty two street?" Antwort: "No, this is the fourty second street". Eine humorvolle Antwort. Da entdeckte ich auch das Schild an einem Laternenpfahl. Fourty second werde ich nie vergessen.
 In einem Gebäude schien ein Kino zu sein.Ich hatte lange schon keinen Film mehr gesehen und opferte einen Quarter, 25 cents. Das Publikum johlte. Es wurde geraucht und getrunken, untermalt von Gelächter und Babygeschrei. Aus Riesentüten wurde Pop Corn gefuttert. Mais kannte ich nur als Hühnerfutter. Später lernte ich, dass man ganze Kolben essen konnte; mit Salz und triefend vor Butter.
Von Kinntopp keine Spur.Auf der Bühne wurde herum gehopst. Die Attraktion sollten wohl ein paar spährlich bekleidete Damen sein, die, als wären sie Dekoration, reglos herum standen. Man erklärte mir, dass ich in einem "French Follies" gelandet sei. Es war Einiges erlaubt, es wurde Einiges geboten, aber es war den Damen verboten, sich zu bewegen. Ich hatte mich auf Kino gefreut. Der Quarter tat mir noch lange leid.

In Hoboken fand ich keine Bushaltestelle. Die gab es in New York auch nicht. Man winkte einfach einem heran nahenden Bus. Der Busfahrer  sprach Deutsch, wie die meisten Menschen dort. Als ich ihm die Adresse nannte, erwiderte er:" Ick lat di dor rut". Hoboken war fest in deutscher Hand.
 Tante Lissies Haus, war ein "boarding house", eine Art Pension mit Verpflegung und Familienanschluss. Sie war eine richtige runde Tante, wie man sie sich vorstellt. Sie freute sich, etwas aus der Heimat zu hören. Insbesondere, mit Tränen in den Augen, die "Nordseewellen" auf dem Grammophon.
 Als Erstes aber wurde ich im Bekanntenkreis herum gereicht. Hier lernte ich die gebutterten Maiskolben kennen, traute mich aber nicht, etwas so Fremdes zu probieren. Sieht er verhungert aus? Mein "Lloydbäuchlein" beantwortete die Frage von selbst. Erst später verstand ich den Sinn der Frage. Man lebte gedanklich noch im Amerika der dreissiger Jahre mit sechs Millionen Arbeitslosen. Doch diese Zeit war längst vorüber. 1936 hatte Roosewelt mit Hilfe von Keynes durch den "new deal" die Wirtschaft angekurbelt.  Die Rezession war beendet. Alle waren in Lohn und Brot.
Was ich in Deutschland noch nicht kennen gelernt hatte, erlebte ich in Amerika- Judenhass. "Du siehst ja gar nicht verhungert aus. Das ist alles Propaganda der Juden, man sollte nochmal in die 42.Str., die Juden bescheissen und dann zurück nach Deutschland.
Um die Ecke hatten die Millers ihren"Delicatess Store". Es schien , als seien alle diese Läden in New York in deutscher Hand. Hier gab es rund um die Uhr alles, was essbar war. Hatte jemand um Mitternacht Appetit auf ein Chicken Sandwich, dann auf zu Miller.
In deren Sohn Fredy fand ich einen Freund. Er ging noch zur Schule, war Anführer einer Strassengang, die, ich dabei, Hoboken unsicher machte. Mein Name war "fifty eight". Den hatte ich von Vater Miller. "Heinz Soup" gab es in 57 Variationen. Ich war die achtund-fünfzigste.
Vater Miller hatte sich ein Auto gekauft. Um den Stolz und die Bedeutung auszudrücken, hiess es immer:" A 2000 Dollar car". War auch ein stolzer Preis für ein Auto. Zum Einkauf, wir Jungs fuhren mit, ging es durch den Lincoln Tunnel. Wir besuchten eine "Life Poultry". Wieder viel Neues. Die Fahrt durch durch den Tunnel war kostenpflichtig. Sicherlich mehr als ein Nickel. Die Life Poultry war ein großer Schuppen voller Käfige mit Geflügel aller Art. Man suchte sich eine fette Henne aus. Sie wurde geschlachtet und gerupft und lag bald gekocht und zerteilt zwischen Sandwichscheiben in Millers Store.

Alles war neu und spannend für mich. Meine Freizeit in New York verlebte ich jetzt immer bei Tante Lissy und den Millers.




 

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