Ein einmaliges Zeitdokument aus einem 90jährigen Leben, verbunden mit profundem Wissen in Wirtschaft und Politik. Der Letzte seiner Art.
Mittwoch, 29. April 2015
WOHIN GEHT DIE REISE ?
Die ersten Meldungen, die aufs Schiff kamen: Wir laufen südlichen Kurs. Wir rätselten, wohin die Reise gehen mochte. Dann drehten wir auf einmal auf nördlichen Kurs.Warum? Wir wunderten uns mehr über all die sonderbaren Dinge, die geschahen, als das wir darüber nachdachten.
Alle, die nichts zu tun hatten, auch die Stewards, sie hatten ja keine Passagiere mehr zu betreuen, bekamen einen Pott Farbe und einen Pinsel in die Hand gedrückt. Das elegante Weiss des Schiffs, der Stolz jedes Bootsmanns - "Kumm mi nich an de frische Farv!" - verwandelte, verschandelte sich in einen schmutzigen, undefinierbaren Ton. Man hatte alle verfügbaren Farben zusammen gekippt. Die gepflegten Decksplanken bekamen auch ihren Teil ab. Deckwaschen fiel aber erst mal aus. Wir freuten uns, der Bootsmann weinte.
Die Temperaturmessungen wurden, wegen der angespannten Situation, jetzt von höherer Stelle vorgenommen. Täglich zeigte das Thermometer niedrigere Werte an, ein Zeichen von immer nördlicherem Kurs. Ewiger Nebel war unser Begleiter, hoffentlich nicht auch Eisberge. Der Ausguck - mit meiner halb geputzten Glocke - war doppelt besetzt. Wir Decksleute standen unter der Führung eines der zahlreichen III. und IV. Offiziere, Brückenmoses genannt, rund ums Schiff und hielten Auschau nach anderen Schiffen und Eisbergen.
Wir Leute "vor dem Mast" waren zu Mittschiffsleuten befördert worden. Wir schliefen jetzt in den Passagierkbinen - aber nur dritte Klasse -, um bei einer "Ramming" besser geschützt zu sein.
Was muss ein Seemann auf dem Weg zum Kapitän nicht alles lernen. Matrazen schleppen gehörte anscheinend auch dazu. Für den Fall, dass wir aussteigen müssten, gab es allerhand Maßnahmen. Die Boote wurden mit Proviant und Decken bestückt und ausgeschwenkt. Order:"Schlaft in warmen Klamotten, das Eismeer hat keine Badetemperatur." Wir bekamen jeder drei Dollars für Notfälle. Für welche Notfälle? Die Bootsmotoren, sie liefen schon in New York Probe, mussten noch einmal überprüft werden. Man überließ nichts dem Zufall.Die Matrazen stapelten wir - nur die aus der dritten Klasse, der Lloyd ging sparsam mit seinem Eigentum um - und anderes brennbares Material, in den grossen Salons. Wir wurden eingeteilt, um im Fall der Versenkung Feuer zu legen und alle Bullaugen zu öffnen. Falls es Krieg geben würde, sollte das Schiff nicht in Feindeshand fallen.
Ich jedoch machte mir keine Sorgen und freute mich, nach all der Arbeit am 9. September meinen Urlaub antreten zu können, doch die Zukunft hatte mit mir und der ganzen Welt etwas anderes vor.
NICHTS AHNEND
JULI 1939
"What ever will be, will be, the future´s not ours to see..."
Noch lagen sie alle friedlich zusammen an den Piers.Wir am Lloydpier 86, daneben die "Normandie"- Frankreich, die "Rex -Italien, die "Queen Mary" - Grossbritanien. Auch die Hollandlinie und die Polen waren mit von der Partie.
Der Sport vereinte die Mannschaften. Erst kürzlich war es um den Atlantikpokal im Fußball zwischen der "Normandie" und der "Bremen" gegangen. An mir waren die sportlichen Aktivitäten vorbei gegangen, obwohl ich 1936 zu Hause in einer Jugendmeistermannschaft gespielt hatte.
Viele Besucher waren täglich an Bord, um das Schiff zu besichtigen. Ich glaubte endlich mal echte Cowboys zu sehen. Aber es waren nur Texaner in ihrer "Landestracht". Für Cowboys waren ihre Stiefel zu hochhackig und die Hüte zu groß. Die Hüte nannte man nach ihrem Fassungsvermögen "3 gallon hat". Das entspricht etwa 10 Liter. Es hiess, "Je größer der Hut, umso größer die Herde. Es gab aber auch den Spruch "A big hat and no cattle".
AUGUST 1939
Die Urlaubsliste hing am schwarzen Brett. Ich trug mich ein zum 9. Sptember. Neben mir stand der Matrose, der nicht lesen konnte:" Les mi dat mol vör, ick heb min brill nich dorbi."
Bremerhaven empfing uns wie immer. Nächstes Auslaufen, wie immer pünktlich, 22. August. Die letzte Reise vor meinem Urlaub. Wenn überhaupt Fragen, Zweifel, Diskussionen wegen eines eventuellen Krieges gab, in unserem kleinen Dunstkreis spürten wir davon nichts.
Obwohl er ihn nicht mehr mochte, war Grossvater der Meinung:" Das hätte der Kaiser nicht mit gemacht, diese ganzen Verhandlungen über Kriegsabkommen mit England, Russland, Frankreich. Der hätte losgelegt." Der Kaiser war aber nach Holland abgehauen, hackte dort Holz und aß von goldenen Löffeln. Letzteres hatte meine Tante erfahren, als ein Flügeladjutant des Kaisers bei einer Führung durchs Haus, stolz auf das goldene Besteck hinwies. "Ein Geschenk des deutschen Volkes." Da war ihr klar geworden, wo die von ihr und meiner Mutter in der Jugendzeit gesparten Goldstücke geblieben waren. "Gold gab ich für Eisen." Hurra".
An Krieg verschwendeten wir keinen Gedanken. Wer sollte uns angreifen? Nach Frankreich hin das Bollwerk des Westwalls. Dafür hatte der Führer gesorgt. Die Polen würden gegen unsere schlagkräftige Wehrmacht keinen Angriff wagen. Und was konnte uns Englands veraltete Flotte anhaben? Hatten wir nicht die modernsten Kriegsschiffe, die "Scheer", die "Spee". Auf der hatte Vater seit 1935 als "Silberling" - Die Verwaltung trug silberne, die Kämpfenden goldene Abzeichen - seinen Posten.
Von Grossvater hing noch ein Spruch im Wohnzimmer:" Ruft einst das Vaterland uns wieder, als Reservist, oder Landwehrmann, so legen wir die Arbeit nieder, und folgen treu der Fahne dann."
Montag, 22. August
Wir liefen, pünktlich wie immer, aus. Die Reise verlief normal, putzen und pönen. Am Gepäck konnte man erkennen, dass wenig deutsche Passagiere, dafür aber viele Amerikaner an Bord waren. Was hatte das zu bedeuten? Warum wollten die alle nach Hause? Brockmann musste seinen Spruch ändern:" Denn Fall het wi noch nich haat."
Das Gleiche wird er wohl gedacht haben, als am schwarzen Brett die Nachricht stand: Nichtangriffspakt mit Stalin. Jetzt konnte es wirklich keinen Krieg geben!
Die Verbrüderung mit Russland war für mich und viele andere unvorstellbar gewesen. War er nun, anders als wir es gelernt hatten, kein Verbrecher mehr? Hatte er nicht Millionen von Bauern erschlagen? Saßen nicht die meisten der verfluchten deutschen Kommunisten in Moskau? - Die Propaganda damals verbreitete, dass die ganzen verschwundenen Kommunisten nach Moskau gegangen wären. auf wenige traf das auch zu. Die meisten aber saßen im Gefängnis oder waren ermordet worden.
Mir fiel die "Boxerbude" auf den Schützenfesten meiner Kinderzeit ein. Die Zuschauer konnten sich 20 Mark verdienen. Sie mussten nur einen der Budenboxer k.o. schlagen. das tollste war die voran gehende, gegenseitige Beschimpfung übelster Art. Es schien für mich blanker, blutrünstiger Hass zwischen den Kontrahenten zu sein - eine Riesengaudi! Das musste man sehen! Für 20 Pfennig rein in die Bude. Der Schock kam für mich nach dem Fest, als ich zufällig sah, wie die grausam verfeindeten Boxer, die aus der Bude und die aus dem Volk, einträchtig ihre Bude abbauten. Da wusste ich auf einmal, was einer von Grossvaters Lieblingssätzen bedeutete: "Die Welt will betrogen sein".
Die "Bremen" lief ganz normal mit ihren 1700 Passagieren Kurs New York. Keiner wusste, dass es das letzte mal sein würde. Aber irgendetwas stimmte nicht. Bei meinen nächtlichen Temperaturmessungen wurde das Wasser immer wärmer. wir liefen nicht mehr auf der nördlichen Sommerroute.Wir liefen, trotz fehlender Schlechtwettermeldung, auf südlicher Route. Der pünktliche Lloyd, man sah es an den täglichen Positions-meldungen, bekam Verspätung.
Montag, 29. August
Immer noch 300 Meilen bis New York. Jeder der von der Brücke kam, wurde bestürmt: "Wo sind wir? Warum auf dieser Route?"
Acht Uhr Nantucket Fireship. Jetzt war es gewiss, die "Bremen" hielt den Fahrplan nicht ein. Vorm Abend wären wir nicht an der Pier.
Meine Sorge war, ob wir noch zeitig von Bord kämen. Ich hatte ein paar Dollars gespart und wollte mir noch in der 42. Strasse einen Second Hand Anzug kaufen, bevor ich rüber nach Hoboken führe.
Laufende Kursmeldungen: Fire Island, Ambrose Fireship. Das hiess, wenn alles glatt liefe, 18 Uhr fest an der Pier. 12 Stunden Verspätung. Wofür? Die "Normandie", die wir ausgangs Ärmelkanal, als Mitläufer hatten, lag schon an ihrer Pier. Die müssen sich auch über unsere Verspätung gewundert haben.
Ein erster "Kriegsschaden"
Sobald wir Landgang hatten, lief ich schnell in die 42. Str. in einen Second Hand Shop. Dort hing ein brauner Anzug, wie für mich gemacht. Acht Dollar, wir einigten uns auf vier. Die hatte ich zwar, wollte aber noch etwas in Reserve behalten. Auch er wusste, das wir pro Reise nur zwei Dollars bekamen und machte den Vorschlag, jetzt zwei Dollars, und nächste Reise die anderen zwei zu bezahlen. Auch er dachte nicht an Krieg. Ein Irrtum, der ihn zwei Dollars kosten sollte, und mir zu einem billigen Anzug verhalf.
Auf nach Hoboken. Die Zeitungsschreier überschlugen sich. Je nach Zeitung brüllten sie: "War now" oder "No war now". Ich hatte mich nicht angemeldet, platzte in meine "Familie" und wurde mit:" Es gibt Krieg!" empfangen. Ich war gerade erst noch im friedlichen Deutschland gewesen und versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Es gelang mir aber nicht. Sie waren gegenüber der "Friedensliebe" des Führers und der neuen Freundschaft mit Stalin mißtrauisch. Es wollte keine frohe Stimmung aufkommen, obwohl auch noch Mildred, meine neue Freundin auftauchte.
"Good bye, bis zum nächsten Mal" hiess es aber trotz Allem, als ich zurück an Bord musste. Mildred wollte auch zurück nach Bremerhaven. Da die "Bremen" aber unverständlicher Weise keine Passagiere mitnahm, hatte sie für die "Saint Louis" gebucht.
"Wir sehen uns in Bremerhaven". Ein Irrtum!
Unter den Seeleuten war schlechte Stimmung. Am nächsten Tag sollte das Schiff durch amerikanische Behörden kontrolliert werden. An der Mannschaftsbar saßen wie immer, unsere Policemen und andere Freunde. Keiner glaubte an einen Krieg, keiner ahnte, dass es für lange Zeit das letzte deutsche billige Bier war, dass sie tranken.
Dienstag,30. August
Parolen liefen durch das Schiff :"Wir laufen erst heute Abend aus". Die Durchsuchung begann. Zoll und Polizei filzten jeden Winkel, auf der Suche nach Waffen. Während dessen schleppte ich Schwimmwesten. Ich war endlich mal raus aus dem täglichen Trott. Wir sammelten alle Schwimmwesten aus dem ganzen Schiff, es waren ca. 3000, auf dem Bootsdeck, überprüften sie, und lagerten sie in Fünferpacken griffbereit im Salon. Für mich war das Ganze ein Spaß.
Das ganze Schiff war in Aufruhr. Die Inspektoren steckten ihre Nasen überall hinein. Es war reine Schikane. Viele von ihnen waren alte Bekannte, Freunde, die mit uns an der Mannschaftsbar gesessen hatten. Ihnen war es sehr peinlich. Doch sie waren nur die Ausführenden. Wer die Durchsuchung angeordnet hatte, und warum, wussten wir damals noch nicht.
Eine Enscheidung
Mit dem Auslaufen an diesem Abend wurde es nichts. Die Inspektion dauerte an. Noch einmal überraschend Landgang. Schnell wieder nach Hoboken. Als ich bei Millers ankam, hingen alle vorm Radio. Überrascht schauten sie mich an, wie einen Geist. " Es gibt Krieg. Heinz, bleib´ hier." Ich scherzte :"Wenn ihr mir einen 40 Dollar Wochenjob verschafft (das war viel Geld), bleibe ich." Die Antwort kam ganz ernst:" Bleib´ und sei mit 25 zufrieden.
Ich blieb nicht. "Du hast keinen savvy!" "Du hast keinen Verstand."
Wie sich die Dinge gleichen. Schon in Italien wollte man mich zum Bleiben überreden. Auch dort blieb ein geliebtes Wesen zurück, Maria. Hier in Amerika war es Mildred, von der ich hoffte, sie in Bremerhaven wieder zu sehen. Leider sah ich auch sie nie wieder. Wie konnte ich so kurzsichtig sein, oder war es Naivität, zu glauben, die Welt bliebe friedlich.
An dem Abend sah ich viele liebe Menschen zum letzten Mal.
Mittwoch, 31.August
An Bord wurde es immer bunter. Erst Bootsmanöver, alle Boote mussten ins Wasser. Dort dümpelten sie, zur Freude zahlreicher Zuschauer, auf dem Hudson herum. Dann Feuerübung, alle Mann auf Station, alle Bullaugen - es gab davon eine Menge - verschliessen, um ein schnelles Sinken zu verhindern. Jeder, dem ein Feuerlöscher unterstand, musste an sein Gerät. Ich war stolz, denn ich war verantwortlich für einen Feuerlöscher, der Tetrachlorkohlenstoff enhielt, geeignet für jede Brandart.
Abends, sie konnten uns wohl nicht länger aufhalten, Leinen los. Keiner der Mannschaft hatte in New York abgeheuert. Es glaubte wohl wirklich niemand an Krieg.
Die Schlepper drehten uns von der Pier weg. Drei lange Töne, zum Abschied von New York. Anstatt der Passagiere stand die ganze freie Mannschaft auf den Decks. Die Besatzung der "Normandie", welche in New York blieb, winkte uns zum Abschied.
"What ever will be, will be, the future´s not ours to see..."
Noch lagen sie alle friedlich zusammen an den Piers.Wir am Lloydpier 86, daneben die "Normandie"- Frankreich, die "Rex -Italien, die "Queen Mary" - Grossbritanien. Auch die Hollandlinie und die Polen waren mit von der Partie.
Der Sport vereinte die Mannschaften. Erst kürzlich war es um den Atlantikpokal im Fußball zwischen der "Normandie" und der "Bremen" gegangen. An mir waren die sportlichen Aktivitäten vorbei gegangen, obwohl ich 1936 zu Hause in einer Jugendmeistermannschaft gespielt hatte.
Viele Besucher waren täglich an Bord, um das Schiff zu besichtigen. Ich glaubte endlich mal echte Cowboys zu sehen. Aber es waren nur Texaner in ihrer "Landestracht". Für Cowboys waren ihre Stiefel zu hochhackig und die Hüte zu groß. Die Hüte nannte man nach ihrem Fassungsvermögen "3 gallon hat". Das entspricht etwa 10 Liter. Es hiess, "Je größer der Hut, umso größer die Herde. Es gab aber auch den Spruch "A big hat and no cattle".
AUGUST 1939
Die Urlaubsliste hing am schwarzen Brett. Ich trug mich ein zum 9. Sptember. Neben mir stand der Matrose, der nicht lesen konnte:" Les mi dat mol vör, ick heb min brill nich dorbi."
Bremerhaven empfing uns wie immer. Nächstes Auslaufen, wie immer pünktlich, 22. August. Die letzte Reise vor meinem Urlaub. Wenn überhaupt Fragen, Zweifel, Diskussionen wegen eines eventuellen Krieges gab, in unserem kleinen Dunstkreis spürten wir davon nichts.
Obwohl er ihn nicht mehr mochte, war Grossvater der Meinung:" Das hätte der Kaiser nicht mit gemacht, diese ganzen Verhandlungen über Kriegsabkommen mit England, Russland, Frankreich. Der hätte losgelegt." Der Kaiser war aber nach Holland abgehauen, hackte dort Holz und aß von goldenen Löffeln. Letzteres hatte meine Tante erfahren, als ein Flügeladjutant des Kaisers bei einer Führung durchs Haus, stolz auf das goldene Besteck hinwies. "Ein Geschenk des deutschen Volkes." Da war ihr klar geworden, wo die von ihr und meiner Mutter in der Jugendzeit gesparten Goldstücke geblieben waren. "Gold gab ich für Eisen." Hurra".
An Krieg verschwendeten wir keinen Gedanken. Wer sollte uns angreifen? Nach Frankreich hin das Bollwerk des Westwalls. Dafür hatte der Führer gesorgt. Die Polen würden gegen unsere schlagkräftige Wehrmacht keinen Angriff wagen. Und was konnte uns Englands veraltete Flotte anhaben? Hatten wir nicht die modernsten Kriegsschiffe, die "Scheer", die "Spee". Auf der hatte Vater seit 1935 als "Silberling" - Die Verwaltung trug silberne, die Kämpfenden goldene Abzeichen - seinen Posten.
Von Grossvater hing noch ein Spruch im Wohnzimmer:" Ruft einst das Vaterland uns wieder, als Reservist, oder Landwehrmann, so legen wir die Arbeit nieder, und folgen treu der Fahne dann."
Montag, 22. August
Wir liefen, pünktlich wie immer, aus. Die Reise verlief normal, putzen und pönen. Am Gepäck konnte man erkennen, dass wenig deutsche Passagiere, dafür aber viele Amerikaner an Bord waren. Was hatte das zu bedeuten? Warum wollten die alle nach Hause? Brockmann musste seinen Spruch ändern:" Denn Fall het wi noch nich haat."
Das Gleiche wird er wohl gedacht haben, als am schwarzen Brett die Nachricht stand: Nichtangriffspakt mit Stalin. Jetzt konnte es wirklich keinen Krieg geben!
Die Verbrüderung mit Russland war für mich und viele andere unvorstellbar gewesen. War er nun, anders als wir es gelernt hatten, kein Verbrecher mehr? Hatte er nicht Millionen von Bauern erschlagen? Saßen nicht die meisten der verfluchten deutschen Kommunisten in Moskau? - Die Propaganda damals verbreitete, dass die ganzen verschwundenen Kommunisten nach Moskau gegangen wären. auf wenige traf das auch zu. Die meisten aber saßen im Gefängnis oder waren ermordet worden.
Mir fiel die "Boxerbude" auf den Schützenfesten meiner Kinderzeit ein. Die Zuschauer konnten sich 20 Mark verdienen. Sie mussten nur einen der Budenboxer k.o. schlagen. das tollste war die voran gehende, gegenseitige Beschimpfung übelster Art. Es schien für mich blanker, blutrünstiger Hass zwischen den Kontrahenten zu sein - eine Riesengaudi! Das musste man sehen! Für 20 Pfennig rein in die Bude. Der Schock kam für mich nach dem Fest, als ich zufällig sah, wie die grausam verfeindeten Boxer, die aus der Bude und die aus dem Volk, einträchtig ihre Bude abbauten. Da wusste ich auf einmal, was einer von Grossvaters Lieblingssätzen bedeutete: "Die Welt will betrogen sein".
Die "Bremen" lief ganz normal mit ihren 1700 Passagieren Kurs New York. Keiner wusste, dass es das letzte mal sein würde. Aber irgendetwas stimmte nicht. Bei meinen nächtlichen Temperaturmessungen wurde das Wasser immer wärmer. wir liefen nicht mehr auf der nördlichen Sommerroute.Wir liefen, trotz fehlender Schlechtwettermeldung, auf südlicher Route. Der pünktliche Lloyd, man sah es an den täglichen Positions-meldungen, bekam Verspätung.
Montag, 29. August
Immer noch 300 Meilen bis New York. Jeder der von der Brücke kam, wurde bestürmt: "Wo sind wir? Warum auf dieser Route?"
Acht Uhr Nantucket Fireship. Jetzt war es gewiss, die "Bremen" hielt den Fahrplan nicht ein. Vorm Abend wären wir nicht an der Pier.
Meine Sorge war, ob wir noch zeitig von Bord kämen. Ich hatte ein paar Dollars gespart und wollte mir noch in der 42. Strasse einen Second Hand Anzug kaufen, bevor ich rüber nach Hoboken führe.
Laufende Kursmeldungen: Fire Island, Ambrose Fireship. Das hiess, wenn alles glatt liefe, 18 Uhr fest an der Pier. 12 Stunden Verspätung. Wofür? Die "Normandie", die wir ausgangs Ärmelkanal, als Mitläufer hatten, lag schon an ihrer Pier. Die müssen sich auch über unsere Verspätung gewundert haben.
Ein erster "Kriegsschaden"
Sobald wir Landgang hatten, lief ich schnell in die 42. Str. in einen Second Hand Shop. Dort hing ein brauner Anzug, wie für mich gemacht. Acht Dollar, wir einigten uns auf vier. Die hatte ich zwar, wollte aber noch etwas in Reserve behalten. Auch er wusste, das wir pro Reise nur zwei Dollars bekamen und machte den Vorschlag, jetzt zwei Dollars, und nächste Reise die anderen zwei zu bezahlen. Auch er dachte nicht an Krieg. Ein Irrtum, der ihn zwei Dollars kosten sollte, und mir zu einem billigen Anzug verhalf.
Auf nach Hoboken. Die Zeitungsschreier überschlugen sich. Je nach Zeitung brüllten sie: "War now" oder "No war now". Ich hatte mich nicht angemeldet, platzte in meine "Familie" und wurde mit:" Es gibt Krieg!" empfangen. Ich war gerade erst noch im friedlichen Deutschland gewesen und versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Es gelang mir aber nicht. Sie waren gegenüber der "Friedensliebe" des Führers und der neuen Freundschaft mit Stalin mißtrauisch. Es wollte keine frohe Stimmung aufkommen, obwohl auch noch Mildred, meine neue Freundin auftauchte.
"Good bye, bis zum nächsten Mal" hiess es aber trotz Allem, als ich zurück an Bord musste. Mildred wollte auch zurück nach Bremerhaven. Da die "Bremen" aber unverständlicher Weise keine Passagiere mitnahm, hatte sie für die "Saint Louis" gebucht.
"Wir sehen uns in Bremerhaven". Ein Irrtum!
Unter den Seeleuten war schlechte Stimmung. Am nächsten Tag sollte das Schiff durch amerikanische Behörden kontrolliert werden. An der Mannschaftsbar saßen wie immer, unsere Policemen und andere Freunde. Keiner glaubte an einen Krieg, keiner ahnte, dass es für lange Zeit das letzte deutsche billige Bier war, dass sie tranken.
Dienstag,30. August
Parolen liefen durch das Schiff :"Wir laufen erst heute Abend aus". Die Durchsuchung begann. Zoll und Polizei filzten jeden Winkel, auf der Suche nach Waffen. Während dessen schleppte ich Schwimmwesten. Ich war endlich mal raus aus dem täglichen Trott. Wir sammelten alle Schwimmwesten aus dem ganzen Schiff, es waren ca. 3000, auf dem Bootsdeck, überprüften sie, und lagerten sie in Fünferpacken griffbereit im Salon. Für mich war das Ganze ein Spaß.
Das ganze Schiff war in Aufruhr. Die Inspektoren steckten ihre Nasen überall hinein. Es war reine Schikane. Viele von ihnen waren alte Bekannte, Freunde, die mit uns an der Mannschaftsbar gesessen hatten. Ihnen war es sehr peinlich. Doch sie waren nur die Ausführenden. Wer die Durchsuchung angeordnet hatte, und warum, wussten wir damals noch nicht.
Eine Enscheidung
Mit dem Auslaufen an diesem Abend wurde es nichts. Die Inspektion dauerte an. Noch einmal überraschend Landgang. Schnell wieder nach Hoboken. Als ich bei Millers ankam, hingen alle vorm Radio. Überrascht schauten sie mich an, wie einen Geist. " Es gibt Krieg. Heinz, bleib´ hier." Ich scherzte :"Wenn ihr mir einen 40 Dollar Wochenjob verschafft (das war viel Geld), bleibe ich." Die Antwort kam ganz ernst:" Bleib´ und sei mit 25 zufrieden.
Ich blieb nicht. "Du hast keinen savvy!" "Du hast keinen Verstand."
Wie sich die Dinge gleichen. Schon in Italien wollte man mich zum Bleiben überreden. Auch dort blieb ein geliebtes Wesen zurück, Maria. Hier in Amerika war es Mildred, von der ich hoffte, sie in Bremerhaven wieder zu sehen. Leider sah ich auch sie nie wieder. Wie konnte ich so kurzsichtig sein, oder war es Naivität, zu glauben, die Welt bliebe friedlich.
An dem Abend sah ich viele liebe Menschen zum letzten Mal.
Mittwoch, 31.August
An Bord wurde es immer bunter. Erst Bootsmanöver, alle Boote mussten ins Wasser. Dort dümpelten sie, zur Freude zahlreicher Zuschauer, auf dem Hudson herum. Dann Feuerübung, alle Mann auf Station, alle Bullaugen - es gab davon eine Menge - verschliessen, um ein schnelles Sinken zu verhindern. Jeder, dem ein Feuerlöscher unterstand, musste an sein Gerät. Ich war stolz, denn ich war verantwortlich für einen Feuerlöscher, der Tetrachlorkohlenstoff enhielt, geeignet für jede Brandart.
Abends, sie konnten uns wohl nicht länger aufhalten, Leinen los. Keiner der Mannschaft hatte in New York abgeheuert. Es glaubte wohl wirklich niemand an Krieg.
Die Schlepper drehten uns von der Pier weg. Drei lange Töne, zum Abschied von New York. Anstatt der Passagiere stand die ganze freie Mannschaft auf den Decks. Die Besatzung der "Normandie", welche in New York blieb, winkte uns zum Abschied.
Sonntag, 12. April 2015
ORANGE JUICE
In New York war wieder alles spannend für mich. Wir besichtigten vieles; auch die Freiheitsstatue, damit ich zu Hause endlich wahrheitsgemäß davon berichten könnte. Einmal gingen wir mit der ganzen Hobokenfamilie zur Washington Street. Ein grosser Saal, es wurde gesungen, gebetet und jeder bekam einen Apfel. "Salvation Army!" Die hatte es in Deutschland auch mal gegeben: "Heilsarmee".
An manche Dinge hatte ich mich aber auch schon gewöhnt. Wenn ich "orange juice" trank, dachte ich immer an meine erste Fahrt mit der 42er Fähre nach Hoboken. Bei der Ankunft in New Jersey, fiel mir als erstes ein riesiger Obststand mit einem riesigen Berg Apfelsinen auf.
In Deutschland gab es nur selten mal Apfelsinen, in der Weihnachtszeit - Komisch, Italien war doch unser "Freund"-. 1938 zum Weihnachtsurlaub, waren körbeweise Apfelsinen im Zug von Italien mit nach Hause geschleppt worden.
Hier in Amerika gab es drei für fünf cents. Während sie zu Hause vorsichtig geschält und spaltenweise genossen wurden, schnitt Tante Heitmann die schönen Apfelsinen einfach in zwei Hälften - wie schrecklich!- Kurz darauf nahm ich aber meinen ersten Schluck "Orange juice" - köstlich! - Amerika gefiel mir.
An manche Dinge hatte ich mich aber auch schon gewöhnt. Wenn ich "orange juice" trank, dachte ich immer an meine erste Fahrt mit der 42er Fähre nach Hoboken. Bei der Ankunft in New Jersey, fiel mir als erstes ein riesiger Obststand mit einem riesigen Berg Apfelsinen auf.
In Deutschland gab es nur selten mal Apfelsinen, in der Weihnachtszeit - Komisch, Italien war doch unser "Freund"-. 1938 zum Weihnachtsurlaub, waren körbeweise Apfelsinen im Zug von Italien mit nach Hause geschleppt worden.
Hier in Amerika gab es drei für fünf cents. Während sie zu Hause vorsichtig geschält und spaltenweise genossen wurden, schnitt Tante Heitmann die schönen Apfelsinen einfach in zwei Hälften - wie schrecklich!- Kurz darauf nahm ich aber meinen ersten Schluck "Orange juice" - köstlich! - Amerika gefiel mir.
CATSKILL HILLS
Wir machten einen Ausflug. Fredy Miller war ungefähr in meinem Alter, fuhr aber schon das Familienauto.Es war eine Tour in die Catskill Hills notwendig. Über den Winter hatten sich irgendwelche Viecher durch den Boden der Hütte gefressen. Neben Holz und Werkzeug hatten wir noch eine angenehme Zuladung an "Bord". Fredies Freundin und Mildred, eine Gastwirtstochter aus Bremerhaven, die zu Besuch war.
Wir fuhren den Hudson hinauf. Die "Hills" waren eine wunderschöne Gegend, hügelig und viel Wald, sehr beliebt beim New Yorker Mittelstand.
Unterwegs mussten wir nach dem Weg fragen. Wir sprachen eine Frau auf englisch an, sie antwortete auch in Englisch, nur ihr Kind fragte:" Mama, wat het he seggt?" Wir waren noch in Pennsylvania, wo noch sehr viel Deutsch gesprochen wurde.
Es war eine lustige Reise. Da die Reparatur nicht fertig wurde, wir aber zurück mussten, konnten wir uns auf einen weiteren Ausflug freuen.
Wir fuhren den Hudson hinauf. Die "Hills" waren eine wunderschöne Gegend, hügelig und viel Wald, sehr beliebt beim New Yorker Mittelstand.
Unterwegs mussten wir nach dem Weg fragen. Wir sprachen eine Frau auf englisch an, sie antwortete auch in Englisch, nur ihr Kind fragte:" Mama, wat het he seggt?" Wir waren noch in Pennsylvania, wo noch sehr viel Deutsch gesprochen wurde.
Es war eine lustige Reise. Da die Reparatur nicht fertig wurde, wir aber zurück mussten, konnten wir uns auf einen weiteren Ausflug freuen.
PINTS AND POUNDS
Die Millers hatten, wie viele New Yorker ein paar Autostunden entfernt in den "Catskill Hills", einer wunderschönen Waldgegend, ein Sommerhaus Man fuhr mal eben dort hin. Entfernungen spielten in Amerika keine grosse Rolle, Benzin auch nicht. Der Verbrauch wurde in gallons per mile gerechnet. Es war lustig für mich. Ganz Amerika rechnet mit krummen Zahlen.
"A pint, a pound the world around" war ein gängiger Spruch damals. Es stimmte zwar nicht,aber reimte sich so schön.
Eine Gallone sind genau 3,785 liter. Krummer gehts nicht. Um die Temperatur festzustellen, musste ich rechnen und rechnen. Die haben immer noch den alten "Fahrenheit" beim Wickel. Längen werden in yard und mile und foot angegeben - Welche Schuhgrösse? - Drei feet sind ein yard. Ein yard sind 91,44 cm. Wie umständlich!
Fredy wollte messen. Wackelnd setzte er Fuß vor Fuß. Nach 20 Schritten empfing ich ihn und behauptete: 60 feet. Er war verblüfft, dass ein Schritt drei feet sein sollten. Obwohl das vorn und hinten nicht stimmte, musste Fredy diese Neuigkeit allen verkünden.
Mir reichte schon der seemännische Wirrwarr mit Meilen Knoten und Faden.
"A pint, a pound the world around" war ein gängiger Spruch damals. Es stimmte zwar nicht,aber reimte sich so schön.
Eine Gallone sind genau 3,785 liter. Krummer gehts nicht. Um die Temperatur festzustellen, musste ich rechnen und rechnen. Die haben immer noch den alten "Fahrenheit" beim Wickel. Längen werden in yard und mile und foot angegeben - Welche Schuhgrösse? - Drei feet sind ein yard. Ein yard sind 91,44 cm. Wie umständlich!
Fredy wollte messen. Wackelnd setzte er Fuß vor Fuß. Nach 20 Schritten empfing ich ihn und behauptete: 60 feet. Er war verblüfft, dass ein Schritt drei feet sein sollten. Obwohl das vorn und hinten nicht stimmte, musste Fredy diese Neuigkeit allen verkünden.
Mir reichte schon der seemännische Wirrwarr mit Meilen Knoten und Faden.
ZWEI DOLLARS
So pendelten wir mit der "Bremen" im Sommer 1939 in gewohnter Weise zwischen den Welten hin und her.
Immer volle Kaft voraus, auch wenn bei schwerem Wetter der Wintergarten unterhalb der Brücke eimal dran glauben musste. Der Lloyd hielt den Fahrplan ein. Pünktlich im Hafen zu sein war Alles. Wieder verteilte ich in Bremerhaven die in Auftrag gegebenen Waren aus Amerika. Ich machte dabei immer ein Minus. Bezahlt wurde ich in Mark, die nichts wert waren, kaufen musste ich aber in harten Dollars. Ich habe nie gelernt, nein zu sagen.
Im Eiscafé an der Kaiserstrasse war ich mit Riesenportionen Stammgast. "Tarantella", "Rote Mühle" und "Clou" waren Ankerplätze für Herbert vom Fischdampfer und mich.
Die Kneipen waren voll. Die Fischdampferleute verdienten gutes Geld. Beim Heuerbüro in der Schleusenstrasse verbrachten die Seeleute die Wartezeit, bis zu den Aufrufen des Heuerbaas, in der Sonne liegend am Deich. "Für die "Stuttgart" zwei Heizer!" "Dat mach ich nich, denn bin ich ja schwarz". Gelächter und weiter warten. Es gab ja genug.
Ich bekam von einem Nachbarn zwei Dollars geschenkt. Sie sahen anders aus, als die, die ich kannte, hatten ein anderes Format. Sie stammten aus der Inflationszeit. Mein Grossvater hatte einen ganzen Schuhkarton voll Inflationsmark und glaubte fest an die Aufwertung.
Auch Vater Miller kannte die Dollarscheine nicht. Er ging damit zur Bank und kam mit zwei neuen Dollarnoten zurück. In Amerika verfiel kein Geld. War ich jetzt ein "Devisenschieber"?
Immer volle Kaft voraus, auch wenn bei schwerem Wetter der Wintergarten unterhalb der Brücke eimal dran glauben musste. Der Lloyd hielt den Fahrplan ein. Pünktlich im Hafen zu sein war Alles. Wieder verteilte ich in Bremerhaven die in Auftrag gegebenen Waren aus Amerika. Ich machte dabei immer ein Minus. Bezahlt wurde ich in Mark, die nichts wert waren, kaufen musste ich aber in harten Dollars. Ich habe nie gelernt, nein zu sagen.
Im Eiscafé an der Kaiserstrasse war ich mit Riesenportionen Stammgast. "Tarantella", "Rote Mühle" und "Clou" waren Ankerplätze für Herbert vom Fischdampfer und mich.
Die Kneipen waren voll. Die Fischdampferleute verdienten gutes Geld. Beim Heuerbüro in der Schleusenstrasse verbrachten die Seeleute die Wartezeit, bis zu den Aufrufen des Heuerbaas, in der Sonne liegend am Deich. "Für die "Stuttgart" zwei Heizer!" "Dat mach ich nich, denn bin ich ja schwarz". Gelächter und weiter warten. Es gab ja genug.
Ich bekam von einem Nachbarn zwei Dollars geschenkt. Sie sahen anders aus, als die, die ich kannte, hatten ein anderes Format. Sie stammten aus der Inflationszeit. Mein Grossvater hatte einen ganzen Schuhkarton voll Inflationsmark und glaubte fest an die Aufwertung.
Auch Vater Miller kannte die Dollarscheine nicht. Er ging damit zur Bank und kam mit zwei neuen Dollarnoten zurück. In Amerika verfiel kein Geld. War ich jetzt ein "Devisenschieber"?
Donnerstag, 2. April 2015
1939, EIN HEISSER SOMMER
Es war heiss in New York. Mittags, nach dem Essen ein kleiner Schlummer an Deck. Die sonne meinte es gut. Zu gut für meine Füsse, die in den Gummistiefeln kochten. Gut, dass ein Hydrant zum abkühlen in der Nähe war, bloss keinen Sonnenstich bekommen.
Warum wird man Seemann? Um Messing zu putzen! Was ging im Kopf des Bootsmanns vor, bei dieser Hitze Bernie und mich, uns Leidensbrüder, in den Mast zu jagen, um die Glocke am Mastkorb zu putzen. Mit Mast und Korb hatte dieses 30 Meter hohe Ding nichts mehr zu tun. Die Bezeichnungen kamen noch von den Segelschiffen; auch nichts mit einem "Krähennest". Es hatte seine ursprüngliche Wichtigkeit weitest gehend verloren.
Auf den Segelschiffen mit ihrer geringen Wendigkeit, war es notwendig, um möglichst früh einen Entgegenkommer auszumachen. Das war vom Ausguck, dem höchsten Punkt des Schiffs einfacher, als von der Brücke. Es war der einzige Platz damals, von dem aus man die Krümmung der Erde sehen konnte. Über die Kimm, dem Horizont sah man zuerst die Masten, bevor das ganze Schiff auftauchte.
Die Glocke diente als Verständigungsmittel mit der Brücke. nicht nur bei Gefahr, sondern auch jede halbe Stunde, ertönte die Glocke der Brücke, und der Ausgucksmann antwortete. Die Zeitspanne wurde "Glasen" genannt. Jede Wache bestand aus acht Glasen.Das stammt aus der Zeit, als die Sanduhr auf der Brücke alle halbe Stunde gedreht werden musste. Das wurde mit der Glocke angezeigt und der Ausgucksmann antwortete, um anzuzeigen, dass er nicht pennte.
Neben der Bimmelei war vom Ausguck zu melden:"Auf der Back ist alles wohl, und die Lampen brennen." - das Vorschiff und die Lampen waren von dort oben, besser zu über-
blicken. Von der Brücke kam dann ein "O.K". Auf Englisch hiess es:"Light shines right, Sir." Bei Sturm auch mal so:"May I fuck you wife, Sir?" Durch das Heulen des Windes klang es gleich. Von der Brücke kam ein "O.K." und der Ausguck grinste.
Also, unser "Mast" war eine Metallröhre, in der man innen hoch kletterte, bis zu einer Art Kasten, dem modernen "Krähennest". Wir hatten eine Aussicht. Unten am Pier schwitzte ein Shoe shine boy in der Sonne. Nach fast jedem Kunden, das Geschäft lief gut, sauste er über die Strasse zum nächsten Diner und holte sich für 5 cents diese schwarze Brause, eine "Coca Cola". Der Wirtschaftskreislauf funktionierte.
Ich hatte wieder etwas für mich Neues, von dem ich in der Heimat berichten könnte: "Shoe shine boy", "Diner" und "Coca Cola".
"Coca Cola" hatte in Deutschland noch keine grosse Verbreitung gefunden. Man legte darauf, es kostete schliesslich Devisen, auch keinen grossen Wert. Um die Bevölkerung abzuschrecken, hatte Deutschland es geschafft, dass auf der weltweiten Standardflasche die Warnung:"koffeinhaltig" stehen musste. Doch der Schuss ging nach hinten los. Kaffee wurde immer knapper, da kam "Coca Cola" gerade recht.
Bernie und ich saßen hoch oben im Krähennest und sahen unten die Leute schwitzen. Hier oben sorgte immerhin ein Lüftchen für etwas Kühlung. Für wen bloß sollten wir der Glocke Glanz verpassen, Glanz wie auf den Schuhen unseres Shoe Shine Boys.
Hier oben war ich dran mit der Angst. Während Bernie hier vor der Leichenkammer sicher war, Liess mir meine Höhenangst kaum Zeit zum putzen. Ich zitterte. Wenn am Lade-
baum eine Last hing, zitterte der mast mit mir um die Wette. Von der Brücke aus glaubte der Bootsmann, mit dem Fernglas, den Fortschritt des Glockenglanzes zu sehen. Im Blechkasten klingelte das Telefon. Es war ein modernes Krähennest! Daddeldu, Feierabend. Ich erreichte das rettende Deck mit immer noch schlotternden Knien. Wie sollte das bloß in der, für die Ausbildung, vorgeschriebenen Zeit auf einem Segelschiff werden. Wie würde ich in die Masten kommen, geschweige denn, wieder raus?
Die nächste Reise eastbound Bremerhaven musste die "Bremen" mit einseitigem Glockenglanz bestehen.
- Keine Beschwerden; so hoch kam die tägliche Visite nicht-
Warum wird man Seemann? Um Messing zu putzen! Was ging im Kopf des Bootsmanns vor, bei dieser Hitze Bernie und mich, uns Leidensbrüder, in den Mast zu jagen, um die Glocke am Mastkorb zu putzen. Mit Mast und Korb hatte dieses 30 Meter hohe Ding nichts mehr zu tun. Die Bezeichnungen kamen noch von den Segelschiffen; auch nichts mit einem "Krähennest". Es hatte seine ursprüngliche Wichtigkeit weitest gehend verloren.
Auf den Segelschiffen mit ihrer geringen Wendigkeit, war es notwendig, um möglichst früh einen Entgegenkommer auszumachen. Das war vom Ausguck, dem höchsten Punkt des Schiffs einfacher, als von der Brücke. Es war der einzige Platz damals, von dem aus man die Krümmung der Erde sehen konnte. Über die Kimm, dem Horizont sah man zuerst die Masten, bevor das ganze Schiff auftauchte.
Die Glocke diente als Verständigungsmittel mit der Brücke. nicht nur bei Gefahr, sondern auch jede halbe Stunde, ertönte die Glocke der Brücke, und der Ausgucksmann antwortete. Die Zeitspanne wurde "Glasen" genannt. Jede Wache bestand aus acht Glasen.Das stammt aus der Zeit, als die Sanduhr auf der Brücke alle halbe Stunde gedreht werden musste. Das wurde mit der Glocke angezeigt und der Ausgucksmann antwortete, um anzuzeigen, dass er nicht pennte.
Neben der Bimmelei war vom Ausguck zu melden:"Auf der Back ist alles wohl, und die Lampen brennen." - das Vorschiff und die Lampen waren von dort oben, besser zu über-
blicken. Von der Brücke kam dann ein "O.K". Auf Englisch hiess es:"Light shines right, Sir." Bei Sturm auch mal so:"May I fuck you wife, Sir?" Durch das Heulen des Windes klang es gleich. Von der Brücke kam ein "O.K." und der Ausguck grinste.
Also, unser "Mast" war eine Metallröhre, in der man innen hoch kletterte, bis zu einer Art Kasten, dem modernen "Krähennest". Wir hatten eine Aussicht. Unten am Pier schwitzte ein Shoe shine boy in der Sonne. Nach fast jedem Kunden, das Geschäft lief gut, sauste er über die Strasse zum nächsten Diner und holte sich für 5 cents diese schwarze Brause, eine "Coca Cola". Der Wirtschaftskreislauf funktionierte.
Ich hatte wieder etwas für mich Neues, von dem ich in der Heimat berichten könnte: "Shoe shine boy", "Diner" und "Coca Cola".
"Coca Cola" hatte in Deutschland noch keine grosse Verbreitung gefunden. Man legte darauf, es kostete schliesslich Devisen, auch keinen grossen Wert. Um die Bevölkerung abzuschrecken, hatte Deutschland es geschafft, dass auf der weltweiten Standardflasche die Warnung:"koffeinhaltig" stehen musste. Doch der Schuss ging nach hinten los. Kaffee wurde immer knapper, da kam "Coca Cola" gerade recht.
Bernie und ich saßen hoch oben im Krähennest und sahen unten die Leute schwitzen. Hier oben sorgte immerhin ein Lüftchen für etwas Kühlung. Für wen bloß sollten wir der Glocke Glanz verpassen, Glanz wie auf den Schuhen unseres Shoe Shine Boys.
Hier oben war ich dran mit der Angst. Während Bernie hier vor der Leichenkammer sicher war, Liess mir meine Höhenangst kaum Zeit zum putzen. Ich zitterte. Wenn am Lade-
baum eine Last hing, zitterte der mast mit mir um die Wette. Von der Brücke aus glaubte der Bootsmann, mit dem Fernglas, den Fortschritt des Glockenglanzes zu sehen. Im Blechkasten klingelte das Telefon. Es war ein modernes Krähennest! Daddeldu, Feierabend. Ich erreichte das rettende Deck mit immer noch schlotternden Knien. Wie sollte das bloß in der, für die Ausbildung, vorgeschriebenen Zeit auf einem Segelschiff werden. Wie würde ich in die Masten kommen, geschweige denn, wieder raus?
Die nächste Reise eastbound Bremerhaven musste die "Bremen" mit einseitigem Glockenglanz bestehen.
- Keine Beschwerden; so hoch kam die tägliche Visite nicht-
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